Einig in Mekka

Die palästinensischen Politiker haben sich auf die Bildung einer Koalitionsregierung verständigt. Das stärkt die Hamas. von jörn schulz

Eigentlich ist die Zeit für die Pilgerfahrt vorbei. Der Monat Dhu al-Hijjah, in dem die Rituale in Mekka und Medina absolviert werden sollten, endete am 19. Januar. Doch muslimische Staats- und Regierungschefs mischen sich ohnehin nicht gern unter die mehr als zwei Millionen Gläubigen, die die Kaaba umrunden, zumal ihre Leibwächter dort die Waffen ablegen müssten und das Gedränge zu groß ist für Pressefotografen. Sie bevorzugen die Umrah, die »kleine Pilgerfahrt«, die jederzeit unternommen werden kann.

Theologen betonen jedoch, dass eine Pilgerfahrt nur dann verdienstvoll ist, wenn sie allein aus religiösen Motiven unternommen wird und nicht, um weltliche Ziele zu erreichen. Am Tag der Abrechnung wird es Präsident Mahmoud Abbas, Premierminister Ismail Hanija und dem Hamas-Führer Khaled Meshal daher nichts nutzen, dass sie am Freitag die Umrah absolvierten. Denn der Fototermin, bei dem die drei palästinensischen Politiker einträchtig vor der Kaaba standen, sollte das kurz zuvor geschlossene Abkommen heiligen und renitente Warlords davon überzeugen, dass es geradezu gottlos wäre, nun noch weiterzukämpfen.

Ihre weltlichen Ziele haben die drei Pilger immerhin erreicht. Am Wochenende blieb es ruhig im Gaza-Streifen, die Vertreter der Hamas und der Fatah haben sich auf die Bildung einer gemeinsamen Regierung geeinigt, und die saudischen Gastgeber versprachen, eine Milliarde Dollar zur Verfügung zu stellen. Seine Majestät habe einmal mehr »den Mantel der Versöhnung vor seinen palästinensischen Brüdern ausgebreitet«, schmeichelte Hanija dem König von Saudi-Arabien. Wohl um sicherzustellen, dass der Monarch den Mantel nicht gleich wieder in den Schrank hängt und, wie es in der Vergangenheit zuweilen geschah, seine »Brüder« vergisst, teilte Hanijas Berater Ahmed Youssef den Medien das unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegebene Zahlungsversprechen mit.

Möglicherweise kann die palästinensische Autonomiebehörde ihre Milizionäre und Zivil­angestellten bald wieder bezahlen. Das würde die Unzufriedenheit der Fatah-Basis mildern. Ansonsten hat das Treffen in Mekka vor allem die Autorität der palästinensischen Führung gerettet, die durch den offenen Ungehorsam der Milizionäre in Frage gestellt worden war. Allerdings bauen die verfeindeten Milizen ihre Stellungen im Gaza-Streifen aus, und es könnte schon bald wieder zu neuen Kämpfen kommen.

Denn die Konflikte, die zur Eskalation führten, wurden in Mekka nicht gelöst. In der ­Koalitionsregierung soll Hanija Premierminister bleiben, die Hamas darf neun Kabinettsposten besetzen. Die Fatah muss sich mit sechs Ministern begnügen, und für die besonders heiklen Jobs wie die Leitung des Innen- und des Außenministeriums werden »Unabhängige« gesucht.

Da die Fatah die Wahlen im Januar vergangenen Jahres verlor, erscheint es zunächst berechtigt, dass die Hamas mehr Minister stellt. In der gegenwärtigen Situation ist das Verhandlungsergebnis jedoch ein Sieg für die Hamas. Auch auf der symbolischen Ebene wurde die Übermacht der Islamisten sichtbar, bei den Fototerminen ließen sich Abbas, Hanija und Meshal immer gemeinsam ablichten. Meshal, der im syrischen Exil lebt, vertritt die Auslandsführung der Hamas, die noch weniger kompromissbereit ist als die in den palästinensischen Gebieten. Er hat keinen Posten in der Regierung und bei den Verhandlungen eigentlich nichts zu suchen, wurde jedoch als gleichberechtigter Partner behandelt.

Abbas muss nicht nur auf die Neuwahlen verzichten, die er noch vor kurzem gefordert hatte. Er musste auch hinnehmen, dass die Hamas die Verträge von Oslo, die rechtliche Grundlage der palästinensischen Autonomiebehörde (PA), »respektieren«, nicht aber anerkennen will.

Einzig das russische Außenministerium scheint sich damit zufrieden geben zu wollen: »Die Implementierung der Übereinkunft von Mekka sollte von einer Aufhebung der Blockade der palästinensischen Gebiete begleitet werden.«

Die EU dagegen will vorerst nicht zahlen. Was die US-Regierung betrifft, so hoffen die palästinensischen Politiker offenbar auf saudische Fürsprache. Da Präsident George W. Bush die arabisch-sunnitischen Staaten gegen den Iran vereinigen will, könnte er tatsächlich geneigt sein, ihnen Zugeständnisse zu machen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass er dies im Fall der Hamas tun wird, denn der islamistischen Organisation Unterstützung zukommen zu lassen, bevor sie Israel anerkennt und einem Gewaltverzicht zustimmt, wäre ein Bruch mit der seit mehr als fünf Jahren im »War on terror« propagierten Politik. Auch der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert will nur verhandeln, wenn die neue Regierung diese Mindestbedingungen erfüllt.

Klarzustellen, dass die Hamas an ihrem Konfrontationskurs festhält, überließen Hanija und Meshal zweitrangigen Führern, von denen sich in der vergangenen Woche gleich mehrere zu Wort meldeten. »Wir werden Israel niemals anerkennen«, sagte Nizar Rayyan, Hamas-Sprecher in Gaza. »Das, was Israel genannt wird, gibt es nicht, weder in der Realität noch in der Einbildung.«

Ohne Aussicht auf eine baldige Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen und gebunden an eine Regierung, in der die Hamas dominiert, steht die gemäßigte Fraktion der Fatah um Abbas eher schlechter da als zuvor. Es ist nicht ersichtlich, wie die innerpalästinensische Konfrontation beendet werden soll und die Milizen wieder unter Kontrolle gebracht werden könnten. Über eine Auflösung der bewaffneten Gruppen oder ihre Integration in nationale Sicherheitskräfte wurde, soweit bekannt, in Mekka nicht einmal geredet. Auch Reformen zur Demokratisierung der Institutionen, die derzeit von der Hamas und der Fatah als Parteieigentum betrachtet werden, waren kein Thema.

Mehrere Jahrzehnte lang war die Fatah die dominierende Partei. Yassir Arafat baute bereits vom Exil aus, und verstärkt nach Gründung der PA, ein Klientelsystem in den palästinensischen Gebieten auf. Die Hamas arbeitete unterdessen zielstrebig an der Schaffung eigener Institutionen und Milizen. Arafats machtpolitisches Talent und seine persönliche Autorität, aber auch die Anwesenheit israelischer Besatzungstruppen in Gaza verhinderten eine Eskalation. Doch alle Voraussetzungen für den bewaffneten Konflikt, die Feindschaft zwischen den Fraktionen und Milizen, die Militarisierung der Gesellschaft und die Politisierung der Clanstrukturen, waren bei Arafats Tod im November 2004 bereits vorhanden.

Durch eine andere Verteilung von Ministerposten lässt sich diese Entwicklung nicht rückgängig machen. Derzeit nehmen sowohl die Hamas als auch die Fatah die von den israelischen Behörden angeordnete Erneuerung einer Fußgängerbrücke nahe des Felsendoms in Jerusalem zum Anlass, religiöse Emotionen zu schüren. Doch auch mit solchen Methoden lässt sich allenfalls für eine kurze Zeit »nationale Einheit« simulieren.

Die große Koalition dürfte kaum Interesse an Reformen haben, die, wenn sie zur Deeskalation beitragen sollen, die Macht beider Parteien beschneiden müssten. Vielmehr besteht die Gefahr, dass Bürgerrechtler, Feministinnen, Gewerkschafter und säkulare Künstler noch stärker marginalisiert werden und die Demokratisierung der palästinensischen Gesellschaft in noch weitere Ferne rückt.