Aufkleber? Nein, danke!

Im nördlichsten Bundesland sind Neonazis immer aktiver. Nur in manchen Gemeinden regt sich dagegen Protest. von andreas speit

Viele Jahre stand die Gaststätte »Zur Börse« leer. Die Leuchtreklame an dem schmucklosen Gebäude unter dem Deich in Neufeld ist kaputt. Seit Monaten aber lädt die »Nationale Aktionsfront Dithmarschen« zu Veranstaltungen in die ehemalige Dorfkneipe in dem kleinen Ort bei Brunsbüttel in Schleswig-Holstein ein. Zuletzt richtete die Kameradschaft um Marko E. in dem Ort, der 650 Einwohner zählt, am 20. Januar ein Konzert aus. Die Veranstaltung mit den Bands »Sachsonia«, »Das letzte Aufgebot« und »V-Punk« wurde zur Party erklärt. An einem vereinbarten Treffpunkt überreichten Neonazis eine Einladung an die »Gäste«. Die Polizei führte nur Vorkontrollen durch. Den Besitzer der Gaststätte, den Automatenaufsteller Walter Ruesch, stören die Nutzer nicht. »Was geht Sie das an?« schimpfte er auf Anfrage.

Die Neonazis in Schleswig-Holstein werden immer aktiver. In vielen Gemeinden des Landes treten sie offensiv auf. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) verteilt eine »Bürger­zeitung«, die »Frauengruppe Nord« bietet »Ausflüge« mit Gleichgesinnten an. »Freie Nationalisten« veranstalten Kameradschaftsabende, und Rechtsrocker richten regelmäßig Konzerte aus. Seit über zehn Jahren betreiben Neonazis darüber hinaus in Neumünster den »Club 88«, in Rendsburg hingegen kehren die Kameraden gerne bei »Onkel Otto« ein.

Bereits im Jahr 2005 lag das Land auf Platz fünf der Bundesstatistik von Straftaten mit »rechtsex­tremem Hintergrund«. Im Jahr 2006 stieg die Zahl der Straftaten noch einmal um fast ein Drittel an. Von Januar bis Dezember wurden 326 rechte Straf- und 41 Gewalttaten registriert. Mittlerweile räumt Innenminister Ralf Stegner (SPD) ein: »In vielen Orten Schleswig-Holsteins treten die Rechten frecher auf.« Manchmal seien aber auch die Bürgermeister »das Problem«, sagt er, da sie nicht handeln wollten. In Neufeld etwa sorgt sich Bürgermeister Peter-Reimer Janßen (Kommunale Wählervereinigung) vor allem um den »Ruf der Gemeinde«, wenn es um die extremen Rechten geht. Er meint: »Wir wollen uns da raushalten.«

In Rieseby hingegen wollen die Bewohner der Gemeinde nicht länger nur zusehen. Unlängst gründeten Eltern, Kaufleute und Lehrer den Arbeitskreis »Wir gegen Rechts­radikalismus«. Flache Einfamilienhäuser bestimmen das Bild des kleinen Ortes mit 2 500 Einwohnern. Hier findet sich kaum ein Laternenpfahl, an dem kein Aufkleber der NPD oder der »Freien Nationalisten Eckernförde« zu sehen ist. »In unserer Gemeinde sind die Neonazis sehr aktiv«, sagt die stellvertretende Bürgermeisterin Dorit Indinger (SPD). Auch vor ihrem Haus prangt am Verkehrsschild ein Aufkleber: »Antifa, ihr könnt uns mal. Freie Nationalisten Eckern­förde«.

Um den Tourismus nicht zu gefährden, wollten in Rieseby vor allem die Männer im Gemeinderat die Entwicklungen zunächst lieber verschweigen. »Schweigen hilft aber nicht«, meint Indinger und erzählt, dass seit 1997 die Szene mal mehr, mal weniger aktiv sei. In der Nacht würden immer wieder Aufkleber angebracht und am Tag Flugblätter der NPD an den Türen verteilt. Ein rechter Jugendlicher habe zu ihr gesagt: »Ich bessere mein Taschengeld auf.«

Die »Entgrenzung« nach rechts beobachte sie im Alltag. So würden CDU-Mitglieder seit langem in einer Gaststätte einkehren, deren Wirt in der extrem rechten Szene war. Längst hätten Menschen Angst vor den Neo­nazis, die zwischen 14 und 30 Jahre alt seien. Ältere Damen hätten ihr erzählt, dass sie angepöbelt worden seien. »Abends trauen wir uns nicht mehr auf die Straße«, hätten sie gesagt.

In der Nähe von Indinger wohnt auch der Neonazi Matthias S., in dessen Wohnung die Rechten sich gerne versammeln. »Je nach Wetterlage treffen sich die rechts­orien­tierten Jugendlichen auch im Bürgerpark und am Bahnhof«, erzählt Bernd Jacobsen, der Leiter der Grund- und Hauptschule Rieseby. Im Park würden sie das »Horst-Wessel-Lied« singen, über den Friedhof robbten sie in Tarnklamotten.

Zur Gründung des Arbeitskreises führte ein Vorfall in der Schule. Eine Mutter hatte die Festplatte des Computers ihres Sohnes zum Schulleiter gebracht. Neben Rechtsrockliedern, wie etwa von der Gruppe »Landser«, fanden sich darauf Fotos, auf denen Schüler zu sehen waren, die den Hitlergruß zeigten. Die Schulleitung suchte schließlich das Gespräch mit den jeweiligen Eltern und veranstaltete Informations­abende. Das Lehrerkollegium muss sich insbesondere mit dem Schülersprecher Dustin D. auseinandersetzen, der extrem rechts orientiert ist.

Die Jugendlichen hätten über den Rechtsrock zur rechten Ideologie gefunden, glaubt Jacobsen. Die Flugblätter und Aufkleber seien erst später aufgetaucht. Per Konferenzbeschluss verbot die Schulleitung schließlich Tonträger und Szenebekleidung an der Schule.

Die Szene in Kieseby umfasst an die 30 Personen, berichtet Detlef von der regionalen Antifa-Initiative. Erst seit dem Umzug des Neonazikaders Rikky L. von Berlin nach Eckernförde agiere die Szene organisiert. Die Gruppe sei mit Tele­skop­stöcken, Pfefferspray und Gaspistolen bewaffnet, erzählt der Antifa. Schon des öfteren habe sie links oder ausländisch aussehende Jugendliche angegriffen.

Zu einer offenen Runde des Arbeitskreises hat sich am 8. Februar Innenminister Stegner selbst eingeladen. Er war von dem offenen Umgang mit dem Problem des Rechtsextremismus angetan. »Dass das unnormal ist, ist eigentlich das Unnormale«, sagte Schulleiter Jacobsen. Nun sei »bürgerschaftliches Engagement« notwendig, betont Stegner.

Seine Behörde scheint den Appell aber nicht vernommen zu haben. Am 2. März wollte eine Antifa-Initiative ein Konzert unter dem Motto »Reagieren statt tolerieren – Keinen Fußbreit dem Faschismus« in Pinneberg veranstalten. Im Geschwister-Scholl-Haus sollten »Surfits«, »Subversiv« und andere Bands auftreten. Flyer und Plakate waren entworfen, als die Polizei mitteilte, sie werde keine »durchgestrichenen Hakenkreuze« zulassen oder gar »Dinge«, die die Rechten provozieren könnten. Jede Person, die ein durchgestrichenes Hakenkreuz trage, werde festgenommen, und wenn in der Stadt »irgendwo etwas passiere«, werde das Konzert abgebrochen. Das Motto wurde untersagt. Die Ini­tiative sagte die Veranstaltung schließlich ab.