Vorsicht, Anarchist!

Die konservative griechische Regierung veranstaltet eine Jagd auf Anarchisten. Die Justiz spielt dabei aber nicht mit. von ralf dreis

Als vermummte Personen am 12. Februar kurz nach 19 Uhr Brandsätze in eine Filiale der Griechischen Nationalbank werfen, sitzt der Gewerkschafter Takis Thanasopoulos mit Freunden im Café. Pech für ihn, dass sowohl die angegriffene Bank als auch das Café im Athener Szenestadtteil Exarchia liegen und sein Äußeres – zumindest nach den Vorstellungen der Polizei – dem eines Anarchisten entspricht. Kurze Zeit später sperren Sondereinheiten ganze Straßenzüge, halten »schwarz gekleidete und langhaarige Passanten« an und nehmen die Gäste diverser Cafés fest. Den Verhafteten wird vorgeworfen, an dem Brandanschlag beteiligt gewesen zu sein. Etwa 70 Menschen, darunter auch Thanasopoulos, werden an diesem Abend ins Polizeipräsidium verschleppt. Sie müssen jedoch im Laufe der Nacht wieder entlassen werden.

Mit solchen Massenverhaftungen, häufigen Tränengaseinsätzen und dem prophylaktischen Zerschlagen von Demonstrationen versucht die Polizei seit dem Regierungsantritt der Konservativen im Jahr 2004, die anarchistische Bewegung zu bändigen. Sie genießt die Unterstützung des für seine rechtsextremen Ausfälle bekannten Ministers für öffentliche Ordnung, Byron Polydoras, der »vermummten Anarchisten und Gewalttätern« den Kampf angesagt hat. Inzwischen ist die parlamentarische Linke, die Linksallianz und die Kommunistische Partei über das Vorgehen des Ministers mehr als beunruhigt. Die Parlamentarier vermuten, die staatliche Anarchistenjagd sei nur der Probelauf zur Zerschlagung jeglichen gesellschaftlichen Widerstands.

Nach mysteriösen Briefbombenattentaten in Italien hatten so genannte Antiterrorspezialisten der europäischen Öffentlichkeit im Januar 2004 »anarcho-revolutionäre Gruppen« als neue Protagonisten des »antikapitalistischen Terrorismus« präsentiert. Herbeiphantasiert wurden mögliche »terroristische Anschläge anarchistischer Gruppen« auf die Olympischen Spiele in Athen und eine »enge Zusammenarbeit anarchistischer Organisationen aus Griechenland, Spanien und Italien«. Damit war die Jagd auf vermeintliche Anarchisten in Griechenland eröffnet.

Erleichtert wurden daher in der linken Szene die milden Urteile Anfang Januar im so genannten Athener Anarchistenprozess aufgenommen.

Die Staatsanwaltschaft hatte erstmals versucht, Anarchisten wegen »Bildung einer kriminellen Verreinigung« nach dem Antiterrorgesetz vor Berufsrichtern anzuklagen, und ihnen u.a. alle Angriffe mit Molotowcocktails in Athen seit 1998 angelastet. Der Untersuchungsrichter entschied jedoch, dass Auseinandersetzungen mit der Polizei keine terroristische Straftat darstellten, und verwies den Fall an ein in Griechenland übliches Geschworenengericht. Dieses verurteilte zwar zwei der Angeklagten zu mehrmonatigen Haftstrafen wegen Waffenbesitzes, alle drei wurden aber vom Vorwurf der »Bandenbildung« freigesprochen.

Als großer Erfolg gilt auch die Freilassung der beiden Anarchisten Tarasios Sandorosni und Gerasimos Kyriakopoulos am 6. Februar, nach 70 beziehungsweise 54 Tagen Hungerstreik. Sie saßen seit dem 6. Mai 2006 in Untersuchungshaft, nachdem es während der Demonstration zum Europäischen Sozialforum in Athen zu heftigen Straßenschlachten gekommen war. Die Anwältin des Ukrainers Sandorosni sprach in diesem Zusammenhang von »konstruierten Polizeiaussagen gegen einen politisch aktiven Flüchtling«. Eine große Solidaritätsbewegung hat mit der Besetzung von Radiosendern, Rathäusern und Universitäten, diversen Brandanschlägen, Demonstrationen und parlamentarischen Anfragen zur Freilassung »aus humanitären Gründen« beigetragen. Es gelang, endlich zu thematisieren, dass die in Griechenland bis 18 Monate dauernde U-Haft zunehmend als eigentliche Bestrafung eingesetzt wird.