Das geht besser! Aber nicht von allein

Die neoliberale Globalisierung zwingt die Gewerkschaften zu internationalem Handeln gegen die prekären Beschäftigungsverhältnisse. von jessica heyser

Der G8-Gipfel ist ein geeigneter Anlass, die Umsetzung der Decent-Work-Agenda zu fordern und auf die Probleme von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern weltweit aufmerksam zu machen.

Hinter dem Decent-Work-Ansatz steht das Ziel, menschenwürdige Arbeit für Männer und Frauen auf der ganzen Welt zu schaffen. Denn die Lage ist dramatisch: Rund 1,4 Milliarden Menschen – etwa die Hälfte der weltweit Beschäftigten – verdienen weniger als zwei Dollar am Tag und können damit weder sich noch ihre Familien ernähren. Von 1995 bis 2005 stieg die Zahl der Arbeitslosen in den Ländern, in denen Arbeitslosenstatistiken geführt werden, von 157 Millionen auf 192 Millionen. Auch die prekäre Beschäftigung nimmt überall zu. Davon sind insbesondere Jugendliche und Frauen betroffen, die wesentlich häufiger als Männer im informellen Sektor arbeiten und von sozialer Sicherheit ausgeschlossen sind.

Da gibt es zum Beispiel den jungen indonesischen Fabrikarbeiter, der für einen großen Konzern Kleidung fertigt, weniger als einen Dollar am Tag verdient und seine Kinder nicht ernähren kann. Und da ist die deutsche Verkäuferin in einem Modeladen, die eben jene Kleidung verkauft, die für einen Hungerlohn hergestellt wurde. Doch auch sie kann sich schon seit Jahren keinen Urlaub mehr leisten und muss unbezahlte Überstunden machen. Auch die Praktikantin in der Marketingabteilung dieses Konzerns ist von prekärer Beschäftigung betroffen. In der Hoffnung auf ein Job­angebot im Anschluss an das Praktikum schiebt sie Überstunden. Alles ohne Bezahlung. Darum ist sie, um ihren Lebensunterhalt zu decken, auf Sozialleistungen angewiesen.

Die beschriebenen Entwicklungen sind die Konsequenz einer Politik, die das Ziel verfolgt, bestehende Regulierungen in den Bereichen Arbeit, Soziales, Handel, Finanzen und Dienstleistungen möglichst weit reichend aufzuheben. Doch nicht nur in den Entwicklungs- und Schwellenländern, sondern auch in den reichen Ländern führt diese Politik zu Stellenabbau, Arbeitslosigkeit, Reallohnsenkung, Verarmung und einer qualitativen Verschlechterung der Dienstleistungen. Die Einkommenskluft vergrößert sich nicht nur ständig zwischen armen und reichen Ländern. Auch innerhalb der reichen Länder geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander, und auch dort nimmt die prekäre Beschäftigung zu.

Die Hauptprofiteure der Globalisierung sind die transnationalen Konzerne und Kapitalgesellschaften. Auch in Deutschland kann man das beobachten. Während hierzulande die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen zwischen 1999 und 2006 um 37 Prozent zulegten, sind die Arbeitnehmerentgelte nur um acht Prozent gestiegen. Trotz dieser überproportional wachsenden Unternehmensgewinne ist der Ruf nach dem Abbau von Arbeitnehmerrechten weiter deutlich zu hören. In Deutschland stehen das Urlaubsgeld, das 13. Monatsgehalt, der Kündigungsschutz, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Arbeitszeitverkürzungen, die Dauer von Erholungsurlaub und Pausen unter Beschuss.

Die negativen Folgen der neoliberalen Entwicklung der Globalisierung betreffen uns alle. Dennoch geben die G8 die Liberalisierung des Handels und des Kapitalverkehrs als oberstes Primat ihrer Politik nicht auf. Der exklusive Kreis der Mächtigen verfolgt zwar scheinbar positive Ziele wie zum Beispiel die Energiesicherheit oder die Entschuldung von Entwicklungsländern. Die »Lösungen«, die sie Jahr für Jahr anbieten, sind jedoch zumeist wirkungslos oder stabilisieren im Gegenteil das System, welches die Probleme erst hervorruft.

Der globale Wettbewerb und die globale Arbeitsteilung stellen auch die Gewerkschaften vor neue Herausforderungen. Die Bedingungen bei der Durchsetzung von Tarifen und Arbeitnehmerrechten werden härter. Häufig werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in transnational agierenden Konzernen gegeneinander ausgespielt. Dadurch sinken die Löhne, und lang erkämpfte Rechte und soziale Leistungen werden in Frage gestellt. Hier müssen die Gewerkschaften solidarische Antworten finden. Dazu gehört auch, dass sie sich verstärkt für die Verliererinnen und Verlierer der Globalisierung einsetzen: für prekär Beschäftigte, Arbeitslose und Illegalisierte. Die Gewerkschaften sind sowohl auf der Konzern- wie auf der Branchenebene gefordert, Handlungsmöglichkeiten für die Beschäftigten und deren Interessenvertretungen zu finden, um die Abwärtsspirale und die Dumpingkonkurrenz zu verhindern. Die politische Lobbyarbeit kann jedoch nicht auf nationaler Ebene Halt machen. Internationale Zusammenarbeit spielt eine immer größere Rolle.

Ein Beispiel dafür ist der erfolgreiche Kampf der Transportarbeiterförderation für die Grundrechte von Seeleuten. Die weltweit rund 1,5 Millionen Seeleute können künftig mit deutlich mehr Schutz für sich und ihre Familien rechnen. Das ist das Ergebnis eines jahrelangen Kampfes der Seeleute-Gewerkschaft in der internationalen Transportarbeiter-Föderation und der Kampagne gegen Billigflaggen. Festgehalten sind die entsprechenden Regelungen im See­arbeits­übereinkommen, das für alle Seeleute auf international fahrenden Schiffen mit mehr als 500 Brutto­register­tonnen gilt. Verabschiedet wurde es im Februar 2006 auf der Seeschifffahrtstagung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) in Genf von Vertretern der Seeschifffahrtsgewerkschaften und Regierungen aus über 100 Ländern. Das Übereinkommen ist das erste international gültige Instrument, das Arbeits- und Lebensbedingungen auf Seeschiffen und in den Häfen umfassend regelt.

Konkret geht es dabei um Mindestvoraussetzungen für die Beschäftigten auf See, Gesundheits- und Arbeitsschutz, Unterkunft, Verpflegung, Heimbringung, soziale Sicherheit, Verfahren zur Behandlung von Beschwerden von Seeleuten, Beschäftigungsverträge und tarifliche Mindestbedingungen sowie berufliche Qualifikation.

Eine Antwort auf die Abwärtsspirale von Sozial- und Arbeitsstandards ist die Decent-Work-Agenda, die die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) vor kurzem angenommen hat, um die negativen Folgen der Globalisierung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu bekämpfen und eine menschenwürdige Arbeit zu ermöglichen.

Menschwürdige Arbeit beinhaltet eine faire Entlohnung, die ein Leben ohne materielle Not ermöglicht. Menschenwürdige Arbeit heißt betriebliche Mitbestimmung und Demokratie. Arbeit muss eine Chance für persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Integration bieten. Männer und Frauen müssen gleiche Rechte und Chancen erhalten. Die Schaffung solcher Arbeitsplätze, die Erleichterung entsprechender Investitionen und die Einrichtung sozialer Sicherungssysteme gehören der IAO zufolge zu den wichtigsten Mitteln der Armutsbekämpfung und zu nachhaltiger und gerechter Entwicklung.

Die Gewerkschaften müssen auf internationaler Ebene gemeinsam für eine grundlegende Veränderung der Welthandelsorganisation (WTO) eintreten. Dazu gehört auch, dass die WTO in Zusammenarbeit mit der IAO die Achtung der Kernarbeitsnormen in ihrem Handelsregime sicherstellen. In den Kernarbeitsnormen wird die Beseitigung aller Formen von Zwangsarbeit, die Abschaffung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, das Verbot von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf und die Sicherung von betrieblichen Mitbestimmungsrechten gefordert. Im weltweiten Wettbewerb um Arbeit und Gewinne können Lohn- und Sozial­dumping nur durch international gültige Arbeitsnormen zurückgedrängt werden.

Der Decent-Work-Ansatz wird auch auf der internationalen Jugendkonferenz thematisiert werden, die vom DGB, dem Internationalen Gewerkschaftsbund und dem internationalen Verband »solidar« Anfang Juni in Berlin veranstaltet wird.

Junge Gewerkschafterinnen, Gewerkschafter und Aktive aus der ganzen Welt werden darüber debattieren, was »decent work« bzw. gute Arbeit für junge Menschen bedeutet und wie Strategien aussehen können, um die Arbeitsbedingungen weltweit zu verbessern.

Im Anschluss an die Konferenz sind alle dazu aufgerufen, sich an den friedlichen Gipfelprotesten und Aktivitäten in Heiligendamm zu beteiligen. Ob auf den Podien beim Alternativgipfel, bei den zahlreichen Workshops oder bei den Demonstrationen – hier können zivilgesellschaftliche Alternativen zur neoliberalen Ausgestaltung der Globalisierung gefunden werden. Die Protestveranstaltungen sind ein wichtiges Forum, um sich in dieser Sache mit Aktiven aus verschiedenen globalisierungskritischen Zusammenhängen auszutauschen und gemeinsame Konzepte zu entwickeln. Hier kann ein breites Bündnis entstehen, das zu einer starken Stimme für Alternativen zur bisherigen Politik werden kann.

Jessica Heyser ist politische Referentin beim DGB-Bundesvorstand, Bereich ­Jugend.