Nichts gerafft

Christian Klar will das Kapital besiegen, Inge Viett fragt sich, warum so wenige zur Waffe griffen: Steht ein Comeback der RAF bevor? von stefan wirner

Befinden wir uns in einer Zeitschleife? Während bei Airbus, bei Schering und bei der Telekom Tausende von Stellen abgebaut oder »ausgelagert« werden sollen und viele der Arbeiter nicht wissen, was die Zukunft bringt, diskutiert die Öffentlichkeit über ein leibhaftiges Gespenst: über die RAF. Seit bekannt wurde, dass Brigitte Mohnhaupt aus der Haft entlassen werden soll, richten sich die üblichen Beteiligten in den alten Stellungen ein. Die Rechtspopulisten rufen nach harten Maßnahmen, Liberale wünschen sich, dass rechtsstaatliche Prinzipien auch im Umgang mit ehemaligen Terroristen befolgt werden, die autoritäre Linke erstarrt aus Ehrfurcht vor ihren Märtyrern, und die ehemaligen Guerilleras und Guerilleros geben ihr gewohntes antiimperialistisches Kauderwelsch von sich. Ganz so, als wäre 30 Jahre lang nichts passiert auf der Welt.

Nachdem Christian Klars Grußbotschaft an die so genannte Rosa-Luxemburg-Konferenz bekannt geworden war, verlangte der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU), dass geprüft werde, ob Klar nicht auch »über 2009 hinaus« in Haft bleiben müsse. Etwas anderes war von ihm auch nicht zu erwarten. Der baden-württembergische Justizminister Ulrich Goll (FDP) meinte, Leute wie Klar solle man »auf das reduzieren, was sie sind, nämlich Verbrecher«. Die geplanten Hafterleichterung für den Gefangenen verschob er.

Die versammelte Spektakelgesellschaft von Guido Westerwelle bis Claus Peymann gab ihre Erkenntnisse von vorgestern zum Besten. Vergleichsweise scharfsinnig erkannte der FDP-Politiker Gerhart Baum in Klars Schreiben »eine verwirrte Attac-Stimme«, die vorgetragenen Ansichten seien »krude«, aber in der Gesellschaft anzutreffen; er denke dabei »an Abgeordnete der Linkspartei«. Elmar Altvater teilte vorsorglich im Namen von Attac mit, die Organisation habe mit der RAF nichts zu tun, »aber selbstverständlich ist es legitim, ja sogar notwendig, den Kapitalismus zu kritisieren«.

Ja, die Kapitalismuskritik. Sie wird heutzutage immer schärfer und immer beliebter. Klar schreibt, es gelte »die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden«. Welche Nieder­lage? Und wie sie vollenden? Sein beklommen machendes Schreiben zeigt, dass die Informationslage in deutschen Gefängnissen schlecht ist und dass eine lange Haft auch nicht schlauer macht. Er würdigte »die Inspiration, die seit einiger Zeit von verschiedenen Ländern Lateinamerikas ausgeht«. Offenbar meinte er damit auch Venezuela und seinen Präsidenten Hugo Chávez. Dieser gönnt der Demokratie gerade eine Verschnaufpause und regiert per Dekret, um den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« durchzusetzen. Nebenbei pflegt er ein herzliches Verhältnis zum Anführer der antisemitischen Internationale, zum Präsidenten des Iran, Mahmud Ahmadinejad. Sehr inspirierend, das Ganze.

Immerhin verzichtete Klar auf den einst für die RAF typischen Antiamerikanismus. Von Europa aus rolle »dieses imperiale Bündnis, das sich ermächtigt, jedes Land der Erde, das sich seiner Zurichtung für die aktuelle Neuverteilung der Profite widersetzt, aus dem Himmel herab zu züchtigen«. Auch Klars Kampf gegen die Sprache geht weiter. Ob es so schlau war, ein Gnadengesuch an den Bundespräsidenten zu stellen, dann aber in einem Brief zu fordern, die »abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche den chauvinistischen ›Rettern‹« zu entreißen, ist fraglich. Ist Horst Köhler als ehemaliger Präsident des Internationalen Währungsfonds nicht auch einer jener »chauvinistischen Retter«? Hat niemand Klar den Tipp gegeben, dass man besser den Mund hält, wenn man ein Gnadengesuch stellt? Man mag Kritik an einem »seit 24 Jahren inhaftierten Sozialisten«, wie die junge Welt Klar unverfroren nennt, wohlfeil und unsolidarisch finden. Aber wer pathetische Grußbotschaften schreibt und andere als »Meinungsblockwarte« bezeichnet, muss mit einer Antwort rechnen.

Noch dringlicher ist der Fall Inge Viett. Im Jahr 1982 ging sie aus dem Untergrund ins Exil in die DDR, entdeckte dort den Cordhütchen-Sozialismus für sich und bezeichnet sich nach Verbüßung ihrer Haftstrafe inzwischen als »Aktivistin gegen Ausbeutung und imperialistische Kriege«. In ihrer Schrift »Lust auf Freiheit«, die in der jungen Welt veröffentlicht wurde, meint sie mit einer Anmaßung ohnegleichen: »Es wird immer schwieriger, die Geschichte des antifaschistischen Widerstands und unsere nachfolgende Widerstandsgeschichte der herrschenden Denunzierung und dem Verrat zu entreißen.« Welchen Zusammenhang etwa der Mord an dem 20jährigen US-amerikanischen Soldaten Edward Pimental, der 1985 in Wiesbaden aus einer Kneipe gelockt und mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet wurde, mit dem antifaschistischen Widerstand der dreißiger Jahre haben soll, ist ihr Geheimnis.

Klar und Viett sehen sich nach wie vor als Kämpfer für eine Welt, in der »die Gespenster der Entfremdung von des Menschen gesellschaftlicher Bestimmung vertrieben sind«, wie Klar schreibt. Viett spricht von einer leidenschaftlichen »Antizipation eines anderen Lebensentwurfs«. Dass zur Verwirklichung dieses Lebensentwurfes auch getötet wurde, wird nicht in Frage gestellt. Viett wundert sich sogar: »Wieso haben nur wir – ein paar Hände voll – zu den Waffen gegriffen?« Kein Wort ist zu hören über die Verstrickung eines RAF-Mitglieds in einen Anschlag auf jüdische Auswanderer in Ungarn im Jahr 1991. Und warum wird über Ulrike Meinhofs Solidaritätserklärung mit der Gruppe »Schwarzer September«, die bei der Olympiade 1972 ins Quartier der israelischen Mannschaft eindrang und elf Israelis tötete, so anhaltend geschwiegen?

Man muss sich nur die Mühe machen und einige der zahlreichen, völlig verbissenen Bekennerschreiben der RAF lesen: Sie strotzen nur so vor Antiamerikanismus, Antizionismus und Patriotismus. In der Erklärung zum Attentat auf den damaligen Oberbefehlshaber der Nato, Alex­ander Haig, im Jahr 1979 etwa ist die Rede von »der totalen Abhängigkeit der BRD, gegen die wir kämpfen«. Das Schreiben ist mit einer Parole versehen, die die Geschichte des 20. Jahrhunderts in neuem Licht erscheinen lässt: »Solidarität mit dem Kampf des palästinensischen Widerstands gegen die imperialistische Endlösung!« Für die RAF waren die Amerikaner und die Israelis die neuen Nazis, die Deutschen hingegen ein vom Imperialismus unterdrücktes Volk.

In der Erklärung zum Bombenanschlag auf das Hauptquartier der US-Army in Heidelberg 1972 etwa hieß es, die Deutschen unterstützten die Fahndung nach den Attentätern deshalb nicht, »weil sie mit den Verbrechen des amerikanischen Imperialismus« nichts zu tun haben wollten. »Weil sie ­Auschwitz, Dresden und Hamburg nicht vergessen haben, weil sie wissen, dass gegen die Massenmörder von Viet­nam Bombenanschläge gerechtfertigt sind.«

Dass ehemalige RAF-Mitglieder sich mit diesem Kapitel ihrer Geschichte nicht befassen wollen, ist das eine. Dass viele Linke heute noch immer so denken, ist das andere. Für diese Leute ist der Völkermord, den das islamistische sudanesische Militärregime in Darfur verübt, eine Nebensächlichkeit, sie empören sich aber über eine Razzia der israelischen Armee im Westjordanland. Es ist das Spektrum, das sich in den regressiv-antikapitalistischen Gruppen der Antiglobalisierungsbewegung und zum Teil in der Linkspartei sammelt. Die Ideologie dieser Linken hat mit Emanzipation nichts zu tun. Dass Klar nach 24 Jahren Haft nichts anderes einfällt, als ihre Stimme aus dem Knast zu mimen, passt in seine Biografie.