Ab in die Hängematte!

Synthies, Kuschelelectro, Bastard-Pop, verrückter High-Speed-Metal: Mit diesen vier Alben können Sie das Frühjahr verbringen

Für den Boyfriend

Die Schlagwörter, die das Synthiepop-Trio Au Revoir Simone betreffend fallen, lassen einen ein wenig schaudern: Als schläfrig, verträumt, mädchenhaft, sensibel und introvertiert wird die Keyboard-Musik aus New York beschrieben. Diese Zuschreibungen, deren Urheber zwischen Faszination und Abscheu schwanken, haben sicherlich primär damit zu tun, dass es sich bei Au Revoir Simone um eine reine Frauenband handelt. Die Musikerinnen haben ihren Namen, obwohl sie sich durchaus als Feministinnen zu erkennen geben, nicht als Hommage an Simone de Beauvoir ausgesucht, sondern als Referenz an eine Nebenfigur aus dem Film »Pee-wee’s Big Adventure« von Tim Burton. Ein unerwarteter Gimmick, vor allem mit Blick auf die äußerst sanfte Melancholie der elf Stücke auf »The Bird Of Music«, dem Nachfolger des Debüts »Songs of Comfort, Assurance & Salvation«.

Die beiden Alben können scheinbar gar nicht anders als geschlechtsspezifisch wahrgenommen werden. Natürlich reizen Erika, Annie und Heather, die alle drei die Synthesizer bedienen, singen und Texte schreiben, diese stereotypen Bilder ziemlich aus, wenn sie sich in sparsamen Romantik-Kleidchen zeigen und in Interviews klagen, dass es ihnen nicht gelänge, ein fröhliches Lied darüber zu komponieren, wie sehr sie ihren »Boyfriend« liebten. Trotzdem sind Assoziationen wie »Mädchenkitsch« nicht nur von gestern, sondern auch ziemlich ungeeignet, um dem so gar nicht am Dancefloor orientierten Synthiepop beizukommen. Besser trifft es Brian Howe von der Musik-Website Pitchfork. Er sagt, Au Revoir Simone entsprächen als Anti-Synthiepop-Band dem Antifolk von Moldy Peaches. Denn statt ihre Vin­tage-Keyboards und Drumcomputer genretypisch als Rhythmus- und Funmaschinen einzusetzen, betreiben die drei Frauen ein von den Beach Boys und Morr Music inspiriertes Indie-Songwriting mit langsamen Beats, gehauchtem Gesang und perfekten Harmonien, die mit Piano und Streicherarrangements unterlegt sind. Das ist in seiner Sanftheit nicht immer leicht zu ertragen, aber beständig schön.

sonja eismann

Au Revoir Simone: The Bird Of Music (Moshi Moshi/Co­operative Music)

Zwischen Spitzendeckchen und Henkelgläsern

Air lieben das Risiko. Mit »Moon Safari« haben sie ein Manifest des psychedelischen Retro-Futurismus veröffentlicht. Songs wie »Sexy Boy« ließen sich aber auch als Kuschel­electro interpretieren.

Mit ihrem sechsten Album »Pocket Symphony« sind Air noch einen Schritt weiter gegangen. Das zeigt schon das Cover: Nicolas Godin und JB Dunckel posieren dort als Glasfigürchen, wie sie auch in Großmutters Vitrine stehen könnten. Auch der Sound, eine Art »Musique d’Ameublement«, könnte gut in einem Raum gespielt werden, in dem Familienfotos, Spitzendeckchen und gravierte Henkelgläser zu finden sind. Die Vorbilder sind eher Erik Satie, Claude Debussy und Maurice Ravel als Tangerine Dream und Soft Machine. Die Musik könnte man auf Kompilationen finden, die »Schmuse­klassik« oder »Klassik zum Träumen« heißen. Die Hauptrolle spielt das Piano in dem beschaulich instrumentierten »Space Maker«, dem himmlischen »Photograph«, in »Lost Message«, einer Mischung aus John Lennons »Imagine« und Saties »Gymnopedien«, oder der von Jarvis Cocker kongenial gesungenen Hymne auf Alkohol und Amnesie, »One Hell of a Party«.

Dass Air wirklich einen neuen Stil geprägt haben, sieht man daran, dass auf dieser Platte die Selbstzitate am überzeugendsten sind, so zum Beispiel der aleatorisch angehauchte E-Piano-Schlusstrack »Night Sight«, der wie eine Wiederauflage von »Alone in Kyoto« am Schluss des Vorgängeralbums wirkt. Am schönsten aber ist »Mer du Japon«, wenn gegen Ende einen Moment lang nur noch japanische Saitenklänge vor dem Meeresrauschen stehen bleiben. In dieser Poesie der Offensichtlichkeit wird der triviale Mythos des Pop in seiner ganzen Banalität sichtbar. Die Welt steht still und der Hintergrund rückt in den Vordergrund, als ob man die Musik herunterdreht und plötzlich bemerkt, wie laut die Grillen eigentlich zirpen. Dann mischt sich der rollende Beat wieder für eine kurze Reprise ein. So sind Air. Sie weigern sich ganz einfach, Geheimnisse zu haben.

benedikt köhler

Air: Pocket Symphony (Virgin/EMI)

Lemmy im blauen Kleidchen

Dass im Kopf die besten Ideen entstehen, wenn der Körper in einer verdrehten Haltung verharrt, wurde bekanntlich schon der kleinen Alice im Land hinter den Spiegeln offenbart. Aber der Blick, den man in der Schräglage erheischt, muss schon geschult sein. Es muss dem Betrachter um Details gehen, die sonst nicht zu sehen wären, und nicht darum, das Offensichtliche mit verzerrtem Blick wahrzunehmen.

Die Frage, ob es dabei nun um einen scharfen Blick auf das Unscharfe oder einen unscharfen Blick auf das Scharfe geht, beantworten Good Enough For You auf ihrer Debüt-CD »Wer hat von meiner Installation gegessen?« aber in beiden Fällen deutlich mit: »Ja!«

Musikalisch ist das Wiener Duo durchaus der von Knarf Rellöm auf seiner letzten CD ausgerufenen »außerplanetarischen Opposition« verwandt. Es entspinnt mit Big-Fuzz-Garagenrock-Gitarren, zerbröselnden, knarzenden Basslinien synthetischer Herkunft, dem Restmüll entnommener Perkussion und elektronischen Moe-Tucker-Beats sowie hübschen Solo-Instrumenten wie der Maultrommel, der Klarinette oder der gestopften Trompete einen aufregenden Bastard-Pop. In ihm kann man durchaus gut versteckte Anleihen beim Sixties-Surf entdecken, wie er mit seinen elektronischen Klangverfremdungen aus der Ära der Fernsehserie »Familie Feuerstein« bekannt ist. Zuguterletzt blitzt in einem der einnehmend tanzbaren Electro-Songs auch noch ein frech geklautes »Teen-Spirit«-Riff auf.

Dieses durch und durch bizarre Ergebnis verwundert bei den umtriebigen Querköpfen Karin Brüll und Raumschiff Engelmayr zwar nicht wirklich. Sie spielen auch noch in den österreichischen Bands Schwestern Brüll und BulBul. Aber in der Form des Songs »Lemmy, lemme know« Lemmy Kilmister von Motörhead die Stelle des Bassisten unter der Bedingung anzubieten, dass er auf der Bühne ein blaues Kleidchen trägt, hat einen unschlagbar selbstbewussten und größenwahnsinnigen Charme.

Dazu gibt es von »Blackseat Of My Car« auch einen Remix von Acid Pauli. Demnächst kann man Good Enough For You außerdem live sehen. Die Band ist ab der Mitte des Monats mit Console auf Tour.

didi neidhart

Good Enough For You: Wer hat von meiner Installation gegessen? (22. Jahrhundert Fuchs)

Obskurer, verrückter, irritierender!

»Schneller, lauter, härter!«, lautet der Schlachtruf im Crustcore, Grindcore, Metalcore und in anderen Subgenres, die sich im Lauf der Jahre aus Punk und Metal entwickelt haben. Die Forderung verspricht längst nicht mehr notwendigerweise aufregende Musik. Wer sich an einem Samstagabend zu Tode langweilen möchte, der besuche nur einmal eine einschlägige Veranstaltung in einem besetzten Haus. Mit großer Wahrscheinlichkeit lädt dort das Klischee der extremen Musik zum Totentanz.

Man muss die drastischen Formen von Metal und Punk deshalb nicht für erledigt erklären. Man muss die Ansprüche erweitern. So geht es seit einigen Jahren an den Rändern der Rockmusik vor allem obskurer, verrückter und irritierender zu.

Die Band 7 000 Dying Rats genügt diesen Ansprüchen auf ihrem neuen Album »Season in Hell«, indem sie andauernd mit den Erwartungen der Hörer bricht. Bereits das Intro liefert ein sehr gutes Beispiel. Atmosphärische Synthesizerklänge erinnern an die Soundtracks der Filme von John Carpenter. Die Spannung baut sich auf, bricht aber wieder zusammen. Eine Stimme erzählt von Ratten. Sie wird von einem Xylophon abgelöst, das ein Kinderlied spielt.

Dann lässt es die Band auf die ganz fiese Art krachen: sägend verzerrte Metal-Gitarren, übergeschnapptes Kreischen und Trommelschläge in Hochgeschwindigkeit. Doch auch der Grindcore-Song, der sich aufbaut, fällt nach einer Minute wieder in sich zusammen. Und wieder ertönt der Synthie.

Wer nun meint, er habe das Prinzip durchschaut, irrt. 7 000 Dying Rats verstehen es vortrefflich, Haken zu schlagen. Mal sind es atonale, flirrende Geigen, mal sind es die Bruchstücke eines HipHop-Songs, mal sind es die Klimpereien eines Keyboards, die genau dort erklingen, wo man sie nicht vermuten würde. Noch dazu hat sich die Band des Stücks »Paranoid« von Black Sabbath angenommen und es in einen Techno-Country-Song verwandelt.

Wer sich diese 28 Songs umfassende Collage des musikalischen Irrsinns angehört hat, dem dürfte es genauso gehen wie den Musikern: Man hört sie manchmal unbändig lachen, wenn der Schlagzeuger einzählt. Und diese Begeisterung für das Drastische und Extreme ist ansteckend.

markus ströhlein

7000 Dying Rats: Season in Hell (Hewhocorrupts Inc.)