Mit der Hilti gegen Omis

Im sächsischen Freiberg gibt die kommunale Wohnungsgesellschaft Häuser zum Abriss frei, um Fördergeld zu erhalten. Vor allem ältere Mieter müssen umziehen. von hannes delto

Ich verstehe es einfach nicht, wie man altersgerecht gebaute Häuser jetzt regelrecht platt machen kann«, empört sich die Rentnerin Hiltraud Bedrich aus Freiberg. Ihre Wohnung liegt im Stadtteil Friedeburg, in der Kurt-Handwerk-Straße, nur wenige Meter von Wald und Kleingärten entfernt. Das Haus soll abgerissen werden, denn das kleine Städtchen im Erzgebirge ist vom »Stadtumbau Ost« betroffen. Es handelt sich um ein vom Bund und von den Ländern im Jahr 2002 ins Leben gerufenes Programm, das den Wohnungs­leerstand beheben soll, und zwar durch »Attraktivitätssteigerung der Stadt« und »Reduzierung des Angebotsüberhanges an Wohnraum«: also durch Abriss. In dem Programm sind 2,5 Milliarden Euro für Ostdeutschland vorgesehen. Der Stadtumbau in Westdeutschland wird seit 2004 mit 178 Millionen Euro gefördert.

Die kommunale Wohnungsgesellschaft in Freiberg teilte hierfür einige Stadtviertel in fünf »Fördergebiete« auf. Dort suchte sie 669 Wohnungen für den Abriss aus. »Wir haben unterschieden zwischen ›leer baufällig‹, ›leer vermietbar‹ und Objekten, die einzeln irgendwo stehen und sich für uns wirtschaftlich nicht mehr rechnen«, erläutert Erik Mädler von der Wohnungsgesellschaft der Jungle World.

Für jeden abgerissenen Quadtratmeter kassiert die Wohnungsgesellschaft 60 Euro. Im Programm »Stadtumbau Ost« sieht sie aber auch eine Möglichkeit, sich von Altschulden zu befreien, von den Krediten, die Wohnungsunternehmen zu Zeiten der DDR aufgenommen haben und nun an den Bund zurückzahlen müssen. Denn das Altschuldenhilfegesetz wurde im Jahr 2000 so geändert, dass unter bestimmten Voraussetzungen Altschulden erlassen werden können, wenn Leerstand beseitigt wird. Deshalb steckte die Wohnungsgesellschaft ein weiteres »Fördergebiet« ab und gab die geforderten 1 000 Wohnungen zum Abriss frei.

Dass sich unter den Abrisshäusern auch 331 eigens für ältere Menschen ausgestattete, noch genutzte Wohnungen befinden, können viele Mieter nicht verstehen. »Natürlich müsste mal etwas an den Fenstern gemacht werden, aber wir fühlen uns wohl hier. Die können uns doch nicht einfach rausschmeißen«, beschwert sich Bedrich. Die 81jährige Rentnerin wohnt seit über 15 Jahren in dem 1989 erbauten Haus, an dessen Stelle bald eine Wiese entstehen soll. Ausziehen will sie auf keinen Fall. Und Wohnalternativen, so sagt sie, könne man ihr auch nicht bieten.

Der Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft, Marcel Sonntag, sieht in seinem Abrissprogramm hingegen eine Chance, endlich die vielen »Missstände« in Freiberg zu beseitigen: »Es gibt ein breites Spektrum für die Nachnutzungen der frei werdenden Flächen. In den meisten Fällen werden wir einfache Begrünungen anlegen, Parkplätze, Spielplätze oder Sportplätze bauen.« »Stadtumbau Ost« eben: Wo keine alten Leute leben, gibt es auch keine »Missstände« mehr. Zumindest keine finanziellen für die Wohnungsgesellschaft.

Innerhalb eines Jahres wurden in Freiberg bereits 200 Mietparteien von der Wohnungsgesellschaft »umgesetzt«, die ersten Häuser werden bereits abgerissen. Durch Einzelgespräche oder Briefe versuchen die Mitarbeiter der Wohnungsgesellschaft, Mieter zum Umzug zu überreden. Bedrich, die Mitglied des Mieterbundes ist, sorgt sich vor allem um die älteren Menschen, die sich in ihrer Existenz bedroht fühlen und Angst haben vor einem Umzug.

Sollte der »Stadtumbau Ost« wie geplant verwirklicht werden, klingeln die Kassen in Freiberg deshalb aber noch lange nicht. Denn ein großer Teil des Gewinns der Wohnungsgesellschaft geht an die Bauverein AG Darmstadt.

Das hat mit der Vorgeschichte zu tun. Mitte der neunziger Jahre versuchte die Wohnungsgesellschaft schon einmal, sich von ihren Altschulden zu trennen. Und zwar durch Privatisierung, für die der Bund damals solche Altschulden erließ. Die Gesellschaft verkaufte deshalb einige ihrer Wohnungen an die Bauverein AG Darmstadt. In einem zusätzlichen Vertrag sei aber vorgesehen gewesen, dass die Wohnungsgesellschaft diese nach zehn Jahren wieder zurückkaufen sollte, erzählt der Vorsitzende des Mieterbunds Freiberg, Klaus-Dieter Mund, der Jungle World. So hätte sie auf elegante Weise ihre Altschulden loswerden können, ohne Wohnungen zu verlieren. Der ehemalige Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft wurde später wegen Subventionsbetrugs verurteilt.

Als dann der Rückkauf anstand, hatte die Wohnungsgesellschaft kein Geld und stand kurz vor der Insolvenz. Ein juristischer Vergleich sollte sie vor dem Bankrott bewahren. Daraufhin beschloss der Stadtrat von Freiberg im Jahr 2006, dass sie zu 49 Prozent an den Bauverein veräußert werden sollte, was dann auch geschah. Der Bauverein zahlte der Wohnungsgesellschaft darüber hinaus ein Darlehen von über neun Millionen Euro. Die fälligen Zinsen müssen aus den Gewinnen der Wohnungsgesellschaft getilgt werden. Vom »Stadtumbau Ost« würde letztlich also die Bauverein AG Darmstadt profitieren.

»Uns hat niemand gefragt. Es ist eine Zumutung, was die mit den Menschen hier machen. Eine sanfte Sanierung unseres Hauses wäre doch eine Alternative, aber die Wohnungsgesellschaft will nur abreißen«, empört sich Bedrich, die zusammen mit vielen Initiativen ein Netzwerk in Freiberg aufgebaut hat. Um ihr Ziel, 1 000 Wohnungen abzureißen, zu erreichen, kann die Wohnungsgesellschaft nur hoffen, dass die älteren Menschen schnell ausziehen – oder sterben. Denn wenn sie nicht aus ihren Wohnungen entfernt werden können, droht der Coup mit dem Abriss zu platzen.