Wir gehören zur Familie

Johannes Feldmayer, Zentralvorstand von Siemens, sitzt in Haft, gegen weitere Manager und Aufsichtsräte von Siemens wird ermittelt. Dem Unternehmen scheint das nicht zu schaden. von daniel steinmaier

Radikalen Linken galten Gewerkschaften schon immer als verlängerter Arm des Kapitals, der vor allem zur Stabilisierung der Klassenherrschaft dient. Dass sich ein deutsches Unternehmen sogar eigens eine besonders handzahme Arbeitnehmervertretung züchtet, hätte man aber schon deshalb kaum vermutet, da sich die deutschen Gewerkschaften in den vergangenen Jahren in der Regel ohnehin darauf beschränkten, mit dem Management effektivere Sparmaßnahmen zu entwickeln.

Siemens ging die Zusammenarbeit mit der IG Metall jedoch anscheinend noch nicht reibungslos genug. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg vermutet, der Konzern habe mehrere Millionen Euro in die Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB) – eine Konkurrenzorganisation zur IG Metall – geschleust. Der Vorsitzende der AUB, Wilhelm Schelsky, geriet im Zuge des Schmiergeldskandals bei Siemens und wegen möglicher eigener Steuervergehen in den Fokus der Ermittler. Sie untersuchen derzeit Zahlungen in zweistelliger Millionenhöhe, die Siemens in den vergangenen Jahren im Rahmen eines Beratungsvertrages an Schelsky geleistet hat, ohne dass er dafür Gegenleistungen erbracht haben soll. Wofür der seit Februar wegen Verdachts auf Steuerhinterziehung in Untersuchungshaft sitzende Schelsky die Zahlungen verwendet hat, ist bislang nicht geklärt.

Die von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, der Kriminalpolizei und der Steuerfahndung gebildete Sonderkommission »Amigo« hegt den Verdacht, dass ein großer Teil des Geldes von Schelsky an die AUB weitergeleitet und dort zur Finanzierung von Mieten, Fahrzeugen und Computern, für Kinderferienlager und für mindestens 20 Beschäftigte eingesetzt wurde. Zudem sollen die Gelder von Siemens zur Mitgliederwerbung und für Wahlkämpfe bei Betriebsratswahlen verwendet worden sein. Dies entspräche einem schweren Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz, das die Beeinflussung von Betriebsratswahlen durch Unternehmen verbietet. Die AUB bestreitet die Vorwürfe. Zumindest »direkte« Zahlungen von Siemens an die AUB habe es nicht gegeben.

Auch die Ermittler glauben, dass für den Transfer vielmehr Schelsky zuständig war, seine Verbindungen zum Konzern sind die denkbar besten. Nachdem sich der frühere Beschäftigte und Betriebsrat bei Siemens selbständig gemacht hatte, brachen die Kontakte zu seinem ehemaligen Arbeitgeber nicht ab. Über seine diversen Firmen, wie etwa den »Erlanger Sicherheitsservice«, die »Gesellschaft zur Qualifizierung von Führungsaufgaben« oder die »Schelsky Unternehmensberatung GmbH« erbrachte er zahlreiche Dienstleistungen für Siemens. Der Konzern und Schelsky sind zudem zusammen an dem Elektronikdienstleister ML & S aus Greifswald beteiligt. Bei den Ermittlungen tauchte auch ein Beratervertrag auf, in dem Siemens dem Vorsitzenden der AUB bereits 1991 ein Jahreshonorar von 320 000 Euro zusicherte. Mittlerweile hegen die Fahnder den Verdacht, dass es sich bei jedem vierten Mitarbeiter der Unternehmensberatung von Schelsky um Mitarbeiter der AUB handele.

Den Vertrag aus dem Jahr 2001, nach dem Siemens 14,75 Millionen Euro an Schelsky zahlte und der im Zentrum der Ermittlungen steht, wurde von Johannes Feldmayer unterzeichnet, der damals Vorstand der Siemens-Sparte Automation & Drives (A & D) war. Feldmayer ist mitt­lerweile in den Zentralvorstand aufgerückt und gilt nach dem Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld als zweitwichtigster Mann des Konzerns. Am Dienstag vergangener Woche wurde er verhaftet. Gegen weitere heutige und ehemalige Manager und Aufsichtsräte von Siemens wird ermittelt. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, etwa gegen Hannes Apitzsch, den Bereichsvorstand der Automation & Drives, dem vorgeworfen wird, von den Zahlungen gewusst zu haben, und gegen seinen Vorgänger Alfred Ötsch, den heutigen Chef der österreichischen Fluglinie Austrian Airlines.

Der von Feldmayer geschlossene Vertrag wurde Ende 2006 von Siemens gekündigt – kurz nachdem der Konzern durch eine Großrazzia aufgeschreckt worden war, die mittlerweile mehrere Korruptionsprozesse nach sich zieht. Siemens begründete die Kündigung des Vertrags damit, dass Schelsky die verlangten Nachweise über erbrachte Leistungen schuldig blieb. Folgenlos blieben die Zahlungen an Schelsky jedoch nicht. Vertreter der IG Metall im Siemens-Konzern betonen, man habe sich schon immer gefragt, wie die AUB ihre teuren Betriebsratswahlkämpfe finanziere.

Dieter Scheitor, Beauftragter der IG Metall bei Siemens, sagte der ARD, es sei »völlig klar«, dass Siemens mit der AUB »ein Gegenwicht zur IG Metall« habe schaffen wollen. Dass Siemens durch die langjährige finanzielle Unterstützung eine eigene managementfreundliche Arbeitnehmerorganisation aufgepäppelt habe, bezeichnet Klaus Hannemann, Betriebsratsvorsitzender bei Siemens in Erlangen, als »ein subtiles System«.

In der Tat nimmt sich die Methode des VW-Managers Peter Hartz, einen Betriebsrat durch Lustreisen und die Zuführung von Prostituierten gefügig zu machen, gegen das mutmaßliche Vorgehen von Siemens vergleichsweise primitiv aus. Der Skandal der Konkurrenzorganisation AUB dient den Metallern dazu hervorzuheben, wie wichtig sie für die Vertretung der Interessen derLohnabhängigen sind. Zugleich fürchtet die IG Metall aber auch, dass die betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer noch mehr an Vertrauen verliert und so auch die Gewerkschaften des DGB in Mitleidenschaft gezogen werden.

Siemens dagegen dürfte der Skandal kaum schaden. Schließlich konnte dem Konzern auch die von der EU-Kommission verhängte Kartellstrafe in Höhe von 418 Millionen Euro kaum etwas anhaben. Auch der laufende Prozess um sechs Millionen Euro Schmiergeld, das gezahlt wurde, um Aufträge mit einem Volumen von 338,1 Millionen Euro zu erhalten, schadet dem Kurs der Siemens-Aktie nicht, ebenso wenig wie der längst nicht aufgeklärte Schmiergeldkomplex in der Telekommunikationssparte. Nach Angaben der Financial Times Deutschland prüft Siemens zurzeit selbst den Verbleib von rund 420 Millionen Euro, die aus der Konzernkasse »verschwunden« sind.

Dies alles brachte dem Siemens-Aufsichtsratschef und Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Heinrich von Pierer, und dem Vorstandschef Klaus Kleinfeld auf der vorigen Hauptversammlung Anfang des Jahres zwar scharfe Kritik seitens der Kleinanleger ein. Nachdem Kleinfeld aber den Aktionären den Milliarden-Zukauf des US-Softwareherstellers UGS und den Börsengang des Siemens-Autozulieferers VDO angekündigt hatte, herrschte an der Börse Jubelstimmung. Der Kurs der Siemens-Aktie schoss in die Höhe.

Auch das durch die Finanzaffären verzögerte Joint Venture mit Nokia (Nokia Siemens Networks) konnte zum 1. April starten. Und obwohl das Gemeinschaftsunternehmen bereits angekündigt hat, mindestens 9 000 Arbeitsplätze zu streichen, begrüßt auch der Gesamtbetriebsrat der Siemens Networks GmbH den Zusammenschluss, wie die IG Metall auf ihrer Homepage hoffnungsfroh mitteilt. Der Gesamtbetriebsrat erklärte, er sei trotz der zu erwartenden »Komplikationen« bereit, »gemeinsam mit der neuen Unternehmensleitung auch diese Herausforderungen konstruktiv im Interesse aller Beschäftigen bei NSN anzunehmen«.

In Anbetracht solcher Äußerungen fragt es sich, warum es Siemens eigentlich nötig hat, mit Millionen-Geldern eine Parallelgewerkschaft zu züchten. Dem verhafteten Topmanager Feldmayer wirft man auch nicht vor, die betriebliche Mitbestimmung der Lohnabhängigen ausgehebelt zu haben. Gegen ihn wird »wegen Untreue zum Nachteil des Unternehmens« ermittelt.