Yellow Submarine

Organisationen wie die AUB sind untauglich, den sozialen Frieden zu gewährleisten. von felix klopotek

Die Schmiergeld-Affäre von Siemens hat ein Phänomen wieder aufleben lassen, das man sonst mit dem ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts in Verbindung bringt: die Existenz einer »gelben Gewerkschaft«. Heutzutage handelt es sich dabei um die Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB).

Die Gelben stammten ursprünglich aus dem katholischen Teil der französischen Arbeiterschaft, einem reaktionären, auch antisemitischen Milieu, das von der übergeordneten Einheit von Arbeiter- und Kapitalisteninteressen ausging: Läuft das Unternehmen gut, profitierten auch die Arbeiter. Streiks sind damit in letzter Konsequenz autodestruktiv.

Diesen Sätzen stimmt heute jeder Gewerkschaftsführer zu. Dennoch wäre es falsch, den DGB respektive die Einzelgewerkschaften als »gelb« zu deklarieren. Tatsache ist, dass die gelben Gewerk­schaften – in Frankreich wie in Deutschland – von Anfang an ein Instrument des Kapitals waren, eine authentische Interessenvertretung haben sie niemals darstellen können (und wollen). Die in Deutschland vorherrschende Ideologie der Sozialpartnerschaft, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg institutionalisierte, hat nichts mit dieser Instrumentalisierung zu tun. Diese Ideo­logie ist in der Tat authentisch, sie stammt mitten aus den Reihen jener Gewerkschaften, deren Vorläuferorganisationen aus der Weimarer Republik als »rot« galten.

Es stimmt, dass die Existenz des DGB die Existenz von gelben Gewerkschaften weitgehend überflüssig gemacht hat (warum bei Siemens die AUB dennoch einen gewissen Einfluss bekommen hat, dazu später). Und es stimmt, dass der DGB alles Recht der Welt hat, den Vorwurf, er sei doch längst »gelb«, weit von sich zu weisen. Denn der Gewerkschaftsbund ist kein Instrument der Klassenspaltung (das ist die historische Mission der Gelben), sondern Ausdruck einer Klassenstabilisierung; er bewahrt die Arbeiterklasse vor ihrem materiellen Untergang, um den Preis, ihre Abhängigkeit vom Kapital noch zu verfestigen. Der von einst linken Gewerkschaftstheoretikern wie Rainer Zoll attestierte »Doppelcharakter der Gewerkschaften« – auf der einen Seite die Vertretung der Arbeiterinteressen; auf der anderen Seite die Partnerschaft mit dem Kapital – ist kein prekäres Gleichgewicht, das sich unter großer Kraftanstrengung nach links hin verschieben ließe. Es ist dieser Doppelcharakter, der die Stabilisierungsfunktion erst bedingt.

Dazu ein Beispiel: Ein älterer Genosse erzählt, dass er, revolutionär gestimmt, in den frühen siebziger Jahren seine Universitätskarriere abbrach, in die Fabrik ging, auch der Gewerkschaft beitrat, wenig später einen Funk­tionärsposten bekleidete und eng mit den Betriebsräten in seiner Region kooperierte. War er nun korrumpiert, oder hatte er für seinen revolutionären Kampf die besten Voraussetzungen zur Agitation?

Weder noch, lautet die Antwort des Genossen: Man habe einfach alle Hände voll zu tun gehabt, die tagtäglichen Demütigungen und Schweinereien der Meister und Manager zu ahnden, die permanenten Nadelstiche gegen den jeweils aktuellen Tarifvertrag auszuhalten. Und auf der anderen Seite sei es darum gegangen, Gewerkschafts- und Betriebsratskollegen, die allzu großes Verständnis für die Unternehmer zeigten, bei der Stange zu halten. Zeit für revolutionäre Agitation blieb da kaum. Als die Gewerkschaft in Abstimmung mit dem Betriebsrat einer umfassenden Rationalisierungsmaßnahme zustimmte, hatte der Genosse die Faxen dicke und trat aus.

Würde man einen Oral-History-Band mit Erfahrungsberichten linker und sogar links­radikaler Gewerkschaftsaktivisten der vergangenen Jahrzehnte zusammenstellen, man bekäme vieler dieser Geschichten zu lesen. Sie alle sprächen von einem verkommenen Gewerkschaftsapparat – halsstarrig bürokratisch, autoritär organisiert, tendenziell antikommunistisch, ohne tiefe Einsicht in die Gegenrationalität des kapitalistisch organisierten Produktionsprozesses –, der aber davon lebt, ja daraus seine ganze Energie bezieht, dass es »da unten« Aktivisten gibt, die sich im Kleinkrieg mit dem Kapital aufreiben.

Das ist kein Ausdruck von Schizophrenie. Dieser Zustand soll auch nicht zum Anlass genommen werden, zur Abwechslung mal alles richtig zu machen und eine »Gewerkschaft von unten« zu gründen (denn auch eine »Gewerkschaft von unten« kommt irgendwann oben an). In diesem Wider­spruch zwischen »guten Aktivisten« und »fetten Bonzen« kristallisiert sich die Dialektik der Gewerkschaft. Sie bezieht ihre Stärke gegenüber dem Kapital aus der Produktionsmacht, die sie repräsentiert (»Alle Räder stehen still«); aber diese Stärke realisiert sich erst, wenn die Gewerkschaft ihrem Verhandlungspartner zeigt, dass sie die Produktionsmacht der Arbeiter unter Kontrolle hat. Nur dann, wenn sie für Ruhe in den eigenen Reihen sorgen kann und allzu aufmüpfige Proleten abserviert, wird sie als Verhandlungsmacht ernst genommen.

Kein Wunder, dass eine Organisation wie die AUB zumindest offiziell bei niemandem beliebt ist. Selbst die Zeit schreibt entlarvend, dass man sie »getrost als Anti-Gewerkschaft« bezeichnen könne. Das ist deshalb kein Wunder, weil jedes Mitmachen von der freiwilligen Zustimmung dessen lebt, der zum Mitmachen eigentlich genötigt wird. Mögen Betriebsräte zur Kooperation mit dem Kapital regelrecht verdonnert werden, mögen Arbeits- und Tarifrecht noch so sehr auf Einhaltung des sozialen Friedens geeicht sein – sie allein stiften nicht den sozialen Frieden.

Dazu bedarf es stets der Gewerkschaft, die auf dem Standpunkt der grundsätzlichen Interessenharmonie steht. Eine gelbe Gewerkschaft wie die AUB, deren Ziel einzig die Korruption ist (richtig gelesen: sie ist dazu da, um korrumpiert zu werden), ließe die Sozialpartnerschaft als einzigen Schwindel dastehen. Der soziale Frieden muss »von unten« kommen, von beiden Seiten gewollt werden, er konstituiert sich nicht durch Bestechung.

So wie die Gewerkschaften den Betriebsfrieden vor den Kommunisten geschützt haben – dass es durchaus erfolgreiche kommunistische Agitationen in westdeutschen Betrieben gegeben hat und die Gewerkschaften da immer sehr hellhörig waren, wäre auch einen Oral-History-Band wert –, so schützt die liberale Öffentlichkeit, und im Prinzip auch das Management großer Konzerne, die Gewerkschaften gegen die gelbe Gefahr. Weswegen jeder auf die korrumpierenden Siemens-Manager einschlagen darf. Dabei taten sie doch nur ihren Job.

Warum ist die AUB überhaupt so weit gekommen, dass sie als Komplize akzeptiert wurde? Siemens ist nicht irgendeine Klitsche, sondern ein nationales Kulturgut, der Betriebspatriotismus unter den Arbeitern ist beträchtlich. Dort arbeiten Leute, die hochqualifiziert sind, eben richtige Facharbeiter. Dass in diesen Abteilungen der Arbeiterklasse die Verlockung groß ist, sich nicht einer Gewerkschaft anzuschließen, die – wie nahe zum Kapital auch immer – für die gesamte Belegschaft streitet, liegt auf der Hand: Denn für die Facharbeiter ließe sich doch noch mehr herausholen! Wenn eine Gruppe auf den Plan tritt, die sich als »Betriebsnah. Ideologiefrei. Zukunftsorientiert« (AUB-Slogan) definiert, dann dürfte sie so manchem Kollegen direkt aus dem Herzen gesprochen haben.