Ham S’e noch Daten da?

Erst Informationen sammeln, dann die Gesetze ändern, damit man sie auch alle verwerten kann. So will Schäuble Deutschland sicherer machen. von carsten schnober

Nach dem 11. September 2001 ging alles ganz schnell: Der so genannte Otto-Katalog, benannt nach dem da­maligen Innenminister Otto Schily (SPD), wurde noch im Dezember desselben Jahres beschlossen und schränkte Grund­rech­te wie die Unverletzlichkeit der Woh­nung und das Postgeheimnis ein. Die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiens­ten wurde auf­gehoben, um den Behörden den Austausch von Informationen zu ermöglichen.

Das »Terrorismusbekämpfungsgesetz« blieb zunächst auf fünf Jahre beschränkt und wurde als zeitlich begrenzte Reaktion auf eine akute Bedrohung unter dem Eindruck der Anschläge in New York und Washington bezeichnet. Als die Frist Ende 2006 ablief, verlängerte die Gro­ße Koalition die Geltungsdauer der Maßnahmen nicht nur ohne großes Aufsehen um weite­re fünf Jahre, sondern erweiterte die Befugnisse der Geheimdienste im »Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz«.

Als Folge entstand die im März eingerichtete »Antiterrordatei«, die Daten über mindestens 13 000 Personen und Organisationen vereint, welche die Ermittlungsbehörden und Geheimdienste in den vergangenen Jahren in verschiedenen Karteien angehäuft haben. Auf diese Weise vermischen sich so genannte weiche Informationen der Nachrichtendienste – also auch bloße Mutmaßungen – mit Polizeiinformationen, die nach gesetzlicher Vorgabe ausschließlich auf gesicherten Erkenntnissen beruhen dürfen.

Datenschützer bezweifeln, dass die Anti-Terror-Gesetze nach Ablauf der neuerlichen Frist im Jahr 2011 wieder abgeschafft werden. Obwohl ihr Nutzen bei der Abwehr von Terror fraglich ist, erwartet beispielsweise die nord­rhein-westfälische Datenschutzbeauftragte Bet­tina Sokol nach der Erfahrung mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz von 2001 eher eine Ausweitung der in der »Antiterrordatei« erfassten Delikte und Personengruppen. Die alle fünf Jahre vorgesehene »Notwendigkeitsprüfung« könnte somit zum regelmäßigen Anlass zur Erweiterung der Gesetze avancieren.

So lange will Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) jedoch nicht warten. Unmittelbar nachdem Ende März die »Antiterrordatei« eingerichtet war, präsentierte er seine Wünsche. Danach soll das BKA Mittel wie die heimliche Durchsuchung von Com­putern via Internet, die Rasterfahndung und die Überwachung auch privater Gespräche in observierten Wohnungen sogar präventiv anwenden dürfen. Des Weiteren sollen die zur Erhebung der LKW-Maut gesammelten Daten in einer zentralen Datei gespeichert werden. Die Meldeämter sollen außerdem die ab November dieses Jahres bei der Ausstellung von Reisepässen abgenommenen Fingerabdrücke aufbewahren und so nach und nach die Abdrücke der meis­ten deutschen Staatsbürger registrieren. Schließlich ist ein neuer Straftatbestand im Gespräch, mit dem man nach dem Vorbild des Paragrafen 129 a (Bildung terroristischer Vereinigungen) auch Einzeltäter belangen kann, ohne dass sie sich einer konkreten Straftat schuldig ­gemacht haben.

Die so genannte heimliche ­Online-Durchsuchung beurteilte das Bundesverfassungsgericht noch im Januar als unzulässig. Das Urteil beruhte auf der Erkenntnis, dass es sich dabei um einen Einbruch in die Privat­sphäre handelt und das Internet lediglich den Weg dorthin ebnet. Ein solcher Eingriff darf nach gegenwärtiger Gesetzeslage nicht ohne die Kenntnis der betroffenen Person geschehen, weshalb Schäuble den Ar­tikel 13 des Grundgesetzes ändern möch­te. Je nach Formulierung hätte diese weitere Einschränkung der Unverletz­lichkeit der Wohnung sogar Auswirkungen auf die herkömmliche Hausdurchsuchung.

Die Speicherung der Mautdaten zu Ermittlungszwecken ruft kaum öffent­liche Kritik hervor. Vergessen scheint die Diskussion um den Datenschutz vor der Ein­führung der Maut für LKW. Die erst 2004 im Mautgesetz festgeschriebene Zweckbindung der Daten sehen einige Po­litiker als juristisches Überbleibsel, das die Nutzung ohnehin vorhan­dener Informationen zur Verbrechensaufklärung grundlos verhindert.

Es geht dabei nicht nur darum, die Routen der Laster nachzuvollziehen. Die meisten Mautstationen verfügen über automatische Kennzeichenlesesysteme, die alle vorbeifahrenden Fahrzeuge erfassen. Bislang müs­sen die Daten der PKW gemäß dem Mautgesetz sofort wieder gelöscht werden. Eine Streichung der Zweckbindung würde eine fast lückenlose Überwachung des gesamten Autobahnnetzes ermöglichen.

Die Diskussion um die Speicherung der Fingerabdrücke gleicht der um die Mautdaten. Gegner der Pässe mit RFID-Chips, die ein Foto und die Fingerabdrücke des Inhabers in digitaler Form speichern, wurden vor zwei Jahren mit der Behauptung besänf­tigt, das Passgesetz verhindere den Aufbau einer Kartei, da es die Speicherung der Daten ausschließlich auf dem Pass selbst zulasse. Jetzt, da die neuen Reisepässe politisch kaum zu noch verhindern sind, stellt Schäub­le es als geradezu fahrlässig dar, die ohnehin erhobenen Daten einfach wieder zu löschen, und will das Passgesetz ändern.

Unbeliebt bei den Innenpolitikern der CDU ist auch die vom Bundesverfassungsgericht auferlegte Einschränkung des Großen Lauschangriffs, nach der das Mitschneiden privater Gespräche verboten ist. Das BKA bemängelt, dadurch sei die akus­tische Wohnraumüberwachung praktisch kaum noch möglich. Schäuble schlägt deshalb vor, die Einschränkung zumindest teilweise aufzuheben, und unterläuft damit den Kompromiss, der in den neunziger Jahren eine Mehrheit für den Großen Lausch­­angriff ermöglicht hatte.

Das bislang nur den Landespolizeibehörden zustehende Mittel der Rasterfahndung will Schäuble auch dem BKA in die Hand geben. Die Rasterfahndung soll bei der Suche nach einem Täter den Kreis der Verdächtigen einschränken, indem öffentliche und polizeiliche Datenbanken nach Personen durch­sucht werden, die bestimmten Kriterien entsprechen. Allerdings soll das BKA damit künftig nicht nur Straftäter ausfindig machen, sondern auch potenzielle Terroristen aufspüren.

Die Oppositionsparteien lassen ihre als Bürgerrechtler profilierten Mitglieder markige Worte zu Schäubles Plänen finden. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bezeichnet sein Vorhaben als »faules, stinkiges Osterei« in der Tradition der »unsäglichen Sicherheitspolitik von Otto Schily«. Hans-Chris­tian Ströbele von den Grünen und Pe­tra Pau von der Linkspartei sprechen von einem »Schritt zum Kontroll-« respektive »Überwachungsstaat« unter dem Vorwand der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Die Kritik der SPD fällt wegen ihrer Regierungsbeteiligung diplomatischer aus. Für Justizministerin Brigitte Zypries sind Schäubles Vorschläge nicht notwendig, gehen zu weit oder fallen in ihren Zuständigkeitsbereich.

Ohnehin dürfte es sich bei Schäubles Vorschlägen um taktische Maximalforderungen handeln. Am Ende wird ein Kompromiss herauskommen, der voraussichtlich die zentrale Speicherung der Mautdaten sowie einige zusätzliche Befugnisse für das BKA enthält. Die SPD kann sich dann ihrer liberalen Wäh­lerschaft als Hüterin bürgerlicher Grund­rechte präsentieren, weil sie Schlimmeres verhindert hat, während die CDU gleichzeitig ihr Law-and-­Order-Profil schärft.

Obwohl Schäuble behauptet, die Sicherheitsgesetze unterlägen einer ständigen Anpassung an die tatsächliche Bedrohung, weiß er ebenso gut wie Ot­to Schily im Jahr 2001, dass künftige Regierungen selbst unter Beteiligung heutiger Oppositionsparteien derar­tige Einschnitte in die bürgerlichen Grundrechte selten ohne Not rückgängig machen.