Der Feind zahlt besser

In Afghanistan hat die Offensive der Taliban begonnen. Im Parlament haben islamistische Warlords sich gegen die Regierung zusammengeschlossen. von jörn schulz

Wer Afghanistan regieren will, muss wohl auch schlechten Nachrichten etwas Gutes abgewinnen können. Dass die Taliban im Rahmen ihrer Frühlingsoffensive mehrere tausend Selbstmordattentäter in Marsch setzen wollen, sei »ein Zeichen der Verzweiflung«, meint Präsident Hamid Kar­zai. »Die meisten von ihnen sind Drogensüchtige, Todkranke und Leute, die keine Hoffnung haben weiterzuleben. Ihre Familien bekommen etwas Geld und sagen, dieser Mann wird ja sowieso sterben.«

Allerdings hält Karzai gegen das Aufgebot der angeblich ohnehin Todgeweihten dann doch »stärkere Streitkräfte« für erforderlich. Eigene Streitkräfte, denn mit der Kriegführung der Interventionstruppen ist der Präsident nicht zufrieden. Er fühlt sich »verletzt«, weil häufig Zivilisten Opfer der Bombardierungen werden.

Um dem Eindruck entgegenzuwirken, er sei eine Marionette der USA, muss Karzai sich zumindest rhetorisch abgrenzen. An der Militärstrategie der von der Nato geführten Isaf-Truppe und des separat operierenden US-Militärs ändert das nichts, denn zwischen beiden Seiten herrscht Arbeitsteilung. Die westlichen Interventionsstaaten überlassen Karzai die zivile Seite der Innenpolitik, sie haben das von ihm gewünschte Präsidialregime genehmigt, um ihn gegenüber den einflussreichen Warlords zu stärken. In die Kriegführung lassen sie sich jedoch nicht hineinreden.

Auf Bombardierungen zu verzichten, würde ihre Bodentruppen noch weit größeren Gefahren aussetzen, und höhere Verluste mindern die Unterstützung für den ohnehin unpopulären Krieg weiter. Die afghanische Armee, die nominell immerhin knapp 50 000 Soldaten zählt, ist ihnen keine große Hilfe. Viele Einheiten bestehen aus Milizionären der Warlords, die ihren Einfluss in der Regierung nutzten, um ihre Anhänger mit Uniformen auszustatten. Ihre Loyalität ist fraglich. Der Truppe fehlt es an Ausrüstung, und sie wird miserabel bezahlt. Soldaten und Polizisten erhalten umgerechnet 60 Dollar pro Monat. Der Feind zahlt besser, der Durchschnittssold für Kämpfer der Taliban liegt bei 400 Dollar.

Dass die Interventionsstaaten, die sich ihren Militäreinsatz in den vergangenen fünf Jahren mehr als 80 Milliarden Dollar kosten ließen, nicht für eine bessere Besoldung der afghanischen Soldaten sorgen, die ihnen ja irgendwann einmal die Arbeit abnehmen sollen, gehört zu den schwer erklärbaren Entscheidungen in diesem Konflikt. Unverständlicher noch ist die Drogenpolitik, die darauf zielt, den einzigen florierenden Wirtschaftszweig des Landes zu zerstören. Seit Jahren predigen Experten und Think Tanks wie der Senlis Council, dass es sinnvoller wäre, den Bauern das Opium abzukaufen und es für medizinische Zwecke zu verwenden. Stattdessen werden Opiumfelder zerstört, was die Bauern gegen die Regierung und die Isaf aufbringt, aber nicht verhindert, dass die Ernte Jahr für Jahr steigt.

Entwicklungserfolge gab es durchaus, vor allem im Bildungssystem. Doch weiterhin sind etwa 70 Prozent der Bevölkerung unterernährt, die meisten Afghanen erreicht die internationale Hilfe überhaupt nicht. Offenbar verhindern vor allem bürokratischer Stumpfsinn, das sture Festhalten an den Dogmen der Drogenpolitik und wirtschaftsliberale Ressentiments bei den Verantwortlichen in den westlichen Regierungen und der Uno eine den Verhältnissen des Landes angepasste Wiederaufbaupolitik.

So wird auch Karzai zur Privatisierung gedrängt. Viel zu verkaufen, hat er nicht, die Staatsbetriebe beschäftigen nur 25 000 Menschen. Mehr als die Hälfte von ihnen muss nun mit einer Entlassung rechnen, sofern sich Investoren finden. Statt die Zahl der regulär Beschäftigten und damit die Zahl jener zu erhöhen, die ein Interesse an nation building und Entwicklung haben, wird sie gesenkt, nur um den gängigen ökonomischen Dogmen Geltung zu verschaffen.

Flexibler und geschickter agieren die Taliban. Viele ihrer Kämpfer wurden zwangsrekrutiert, in manchen Gebieten ist es kaum möglich, sich dem Ruf zum Jihad zu entziehen. Doch die Bewegung nutzt auch verstärkt materielle Anreize und bietet sich den Opiumbauern als Schutzmacht gegen die Regierung an. Söldner, Mitläufer und Zwangsrekrutierte ergänzen den harten Kern der ideologisch motivierten Kämpfer.

Die Forderung des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck, mit »moderaten Taliban« zu verhandeln, kommt allerdings mehr als fünf Jahre zu spät. Denn bereits kurz nach der Vertreibung der Taliban Ende 2001 begannen die Bemühungen, die Bewegung zu spalten und kompromissbereite Kräfte zu integrieren, und von vornherein war klar, dass nur die schlimmsten Auswüchse des islamistischen Terrors beseitigt werden sollten.

Die Verfassung, die Afghanistan zur »Islamischen Republik« erklärt und die Justiz auf die »Bestimmungen der heiligen Religion des Islam« verpflichtet, entstand unter deutscher Schirmherrschaft. Als das von den Warlords und ihren Strohmännern dominierte Parlament im März eine Amnestie für alle Kriegsverbrechen beschloss, war weder von Deutschland noch von anderen Nato-Staaten Protest zu vernehmen. Der Tod von 60 000 Zivilisten beim Kampf verfeindeter Mujahedin um Kabul Anfang der neunziger Jahre, für den unter anderem Burhanuddin Rabbani, nun Oppositionsführer im Parlament, verantwortlich war, wird ebenso folgenlos bleiben wie die Ermordung von 2 000 Gefangenen Ende 2001 durch die Milizionäre des derzeitigen Generalstabschefs Rashid Dostum.

Warum sollte man da gegenüber den Taliban nachtragend sein? Immerhin gab es Integrationserfolge, ehemalige Kommandanten der Taliban wie Mullah Abdul Salam Rocketi, der seinen letzten Namen seinem Talent im Umgang mit dem Raketenwerfer verdankt, sitzen im Parlament. Gemeinsam mit den Anhängern Rabbanis und anderen jihadistischen Abgeordneten blockieren sie nach Kräften jede Säkularisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Noch immer werden etwa 70 Prozent der Mädchen und Frauen zwangsverheiratet. Wenn nun gefordert wird, beim Wiederaufbau möge man mehr Rücksicht auf die »Kultur« nehmen und die Afghanen nicht mit Gender Mainstreaming und dergleichen behelligen, stellt sich die Frage, welche Gefallen man den Jihadisten noch tun soll.

Die real existierende afghanische Kultur ist das Ergebnis des seit fast 30 Jahren andauernden Bürgerkriegs. Auch die traditionellen Stammesgesellschaften waren alles andere als egalitär, doch in wesentlich stärkerem Maße wurden die Mechanismen des Ausgleichs genutzt, um Konflikte zu vermeiden. Der gesellschaftliche Zerfall und die islamistische Ideologisierung haben zu einer Brutalisierung der Verhältnisse geführt, die nur durch eine gesellschaftliche Emanzipationsbewegung zurückgedrängt werden kann.

Sich auf jene zu stützen, die ein Interesse an der Beendigung der archaischen und modernen Barbarei haben, auf die Frauen, die von den Warlords drangsalierten Bauern, die Lohnabhängigen und die Intellektuellen, gehörte nie zur Strategie der so genannten internationalen Gemeinschaft. Immerhin zwingt die Präsenz ausländischer Truppen die islamistischen Warlords zu einer gewissen Mäßigung, doch Anfang April schlossen sie sich gegen Karzai zur Vereinten Nationalen Front zusammen. Diese Talibanisierung von innen ist ebenso gefährlich wie die Offensive der Gotteskrieger, zumal die meisten Warlords bereit sein dürften, auch mit nicht moderaten Taliban zu kooperieren, wenn Karzai und seine internationalen Unterstützer hinreichend geschwächt sind.