Ein rechter, rechter Platz ist frei

Der Ausgang der französischen Präsidentschaftswahlen ist offener denn je. Aber rechte Themen dominieren den Wahlkampf. von bernhard schmid, paris

Rund 40 Millionen Französinnen und Franzosen sind am Sonntag dazu aufgerufen, einen neuen Präsidenten oder eine neue Präsidentin zu wählen. Und nur selten war es so schwer vorherzusagen, für wen sie sich entscheiden werden. Nur wenig Verlass ist auf die Umfragen, bei denen viele Befragte sich von taktischen Überlegungen leiten lassen. Sie spiegeln weniger die tatsächliche Stimmung wider und werden dazu benutzt, ein bestimmtes Meinungsklima erst herbeizuführen.

Denn bei diesen Wahlen geht es nicht nur darum, wen man sich als neuen Präsidenten wünscht. Mindestens ebenso wichtig ist, wen man auf keinen Fall die Nach­folge von Jacques Chirac antreten sehen möchte. Für gewöhnlich stellt sich diese Frage erst im zweiten Wahlgang, nun scheinen viele Wähler sich bereits bei der ersten Abstimmung danach zu richten. Der Schock der letzten Wahlen, bei denen der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen plötzlich als Zweitplatzierter in die Stichwahl gelangte, ist nicht vergessen.

Der »Bloß-nicht-der«-Faktor

Der absehbare Trend, gegen das »kleinere Übel« zu stimmen, dürfte allen voran den Kandidatinnen und Kandidaten links von der Sozialistischen Par­tei zum Nachteil gereichen. Beim letzten Mal brachten es die drei Bewerber aus der radikalen Linken gemeinsam auf knapp elf Prozent; rechnet man die Stimmen für die Traditionskommunisten und die Grünen hinzu, waren es sogar 19 Prozent, die die Kandidaten links von der Sozialdemokratie im ersten Wahlgang erzielten. Dieses Ergebnis dürfte kaum zu wiederholen sein, zumal das linke Spektrum mit sechs Bewerbern noch un­über­sicht­licher geworden ist.

Fraglich ist allerdings, ob die sozialdemokratische Kandidatin Ségolène Royal von dieser Entwick­lung wird profitieren können. Denn nicht wenige Stamm­wähler der Partei geben an, für den christdemokra­tischen Kandidaten François Bayrou zu stimmen, und zwar nicht nur deshalb, weil sie mit Royal unzufrieden sind, sondern auch, weil sie es Bayrou eher zutrauen, sich in einer Stichwahl gegen Nicolas Sarkozy durchzusetzen.

Über mehrere Wochen stiegen Bayrous Umfrage­werte stetig, ehe sie zuletzt wieder abnahmen. Jedenfalls kann sich auch der Christdemokrat, der sich als »bodenständiger Politiker« präsentiert und gerne auf Traktoren fotografieren lässt, nicht darauf verlassen, es in die Stichwahl zu schaffen. Sicher scheint das nur für Sarkozy zu sein, der für den konservativen Bürgerblock kandidiert und bis vor kurzem noch Innenminister war; zwei Drittel der Franzosen rechnen Meinungsumfragen zufolge mit ihm als neuem Präsidenten.

Doch auch er muss mit mindestens einer Ungewissheit kalkulieren: Unter den Wählern von Le Pen ist es nämlich, sei es aus Scheu oder aus Misstrauen gegenüber Meinungsforschern und Journalisten, verbreitet, sich bei Umfragen nicht zu ihrem Kandidaten zu bekennen. Manche geben an, für Sarkozy zu stimmen, weil dieser zumindest einige ihrer Ansichten teile, etwa beim Thema innere Sicherheit oder Einwanderung oder auch in Sachen »nationaler Identität«, ein Begriff, der in den letzten Tagen des Wahlkampfs die Runde macht. Die ärmeren Wähler Le Pens wiederum fühlen sich im Zweifelsfall Bayrou näher. Insgesamt geben nur fünf, sechs Prozent an, für den Front National zu stimmen, während die Meinungsforscher, die bei ihren Prognosen für die Rechts­extremisten mit einem »Umrechnungsfaktor« arbeiten, ihnen rund 15 Prozent vorhersagen.

Annähern und abgrenzen

Vielleicht werden es ja noch mehr. Der Wo­chen­zeitschrift Canard enchaîné zufolge gehen Sarkozys Berater davon aus, dass Le Pen bei 20 Pro­zent landen und Bayrou über­holen werde. Sie sind davon überzeugt, dass die Wahl rechts gewonnen wird. Seine Konkurrentin Royal stehe weiter rechts als der letzte sozialdemo­kratische Kandidat Lionel Jospin, sagte Sarkozy in der vorigen Woche der Tageszeitung Libération. Bayrou stehe weiter rechts als Jean Lecanuet, der langjährige Führer der Christ­demokraten, und er selbst stehe weiter rechts als Chirac. Der einzige, der weniger weit rechts stehe als zuvor, sei Le Pen.

Eine »Mäßigung« und »Modernisierung« be­schei­nigt sich dieser auch selbst. Tatsächlich hat er sich insofern »normalisiert«, als dass er seinen Wahlkampf nicht mehr mit einem Heer von Aktivisten bestreitet und seine potenziellen Wähler auf demselben Weg anspricht wie die anderen: durch das Fernsehen. Darüber hinaus hat er, nicht zuletzt unter dem Einfluss seiner Toch­ter Marine, seine Politik mo­difi­ziert. An sechs Tagen in der Woche beteuert er, die Franzo­sen ausländischer Herkunft zur Na­tion zu zählen und lediglich eine weitere Zuwanderung verhindern zu wollen. Am siebten Tag aber wartet er wie früher mit rassistischen Ausfällen auf. So meinte er kürzlich, seine alte Aussage über die »Un­gleichheit der Rassen« habe sich bewahrheitetet, Schwarze könnten nun mal schneller laufen und Weiße besser schwimmen.

Auch Sarkozy und dessen Ehefrau Cécilia griff er in den vergangenen Wochen mehrfach wegen ihrer Abstammung an. Sarkozys Vater, ein ungarischer Adliger, flüchtete 1945 nach Frankreich; die Vorfahren seiner Ehefrau verließen als aristokratische Gegner des Bolschewismus Russland. Er, Le Pen, sei »ein Kandidat des Bodens«, während Sarkozy »aus der Einwan­derung« komme. Falls er einmal die ungarische Staatsbürgerschaft annehmen würde, würde er ja auch nicht auf die Idee kommen, ungarischer Präsident­ zu werden.

Sarkozy scheinen derlei Attacken gelegen zu kommen. Sie verdeutlichten, meint er, dass er und Le Pen sich keinesfalls gleich seien und nicht dasselbe meinten, wenn sie von der Nation redeten. Diese hat er im Wahl­kampf immer wieder bemüht, etwa als er vorschlug, ein »Ministerium für Immigration und nationale Identität« zu gründen. Natürlich spricht er nicht von Blut und Boden, sondern von einer »Sprach- und Schick­sals­gemeinschaft«. Zumindest im Wahlkampf tut dies inzwischen aber auch Le Pen. Simone Veil, eine liberale Zentrumspolitikerin und Überlebende von Auschwitz, forderte Sarkozy dazu auf, lieber von einer »republikanischen Integration« der Einwanderer zu sprechen. Kurz darauf fand sich dieser Begriff im Manuskript für einen Auftritt in Nantes wieder. Doch in seiner Rede legte Sarkozy an der entscheidenden Stelle eine Kunstpause ein, um doch von der »nationalen Identität« zu sprechen.

Der FN und Sarkozys UMP scheinen auszutesten, ob sie in einer Stichwahl ohne Le Pen eine verdeckte oder gar offene Absprache treffen könnten. In den Medien wird ein Berater Sarkozys zitiert, der mittelfristig nach italienischem Vorbild eine Allianz mit dem FN für vorstellbar halte, falls Marine Le Pen die Partei weiterhin modernisiere. Die ostfranzösische Abgeordnete Nadine Morano, eine Vertraute Sarkozys, weigerte sich jüngst in einem Fernsehinterview, eine solche Option auszuschließen. Auch Jean-Marie Le Pen sagt, dass nach dem Abtreten von Chirac, der ihn immer gehasst habe, »eine neue Ära« in den Beziehungen zur bürgerlichen Rechten beginnen könne.

Noch aber liefert er sich mit Sarkozy einen harten Wahlkampf. Und ein Schau­platz sind die Banlieues. Vorletzte Woche sagte Sarkozy kurzfristig einen geplanten Besuch in einem armen Stadtteil von Lyon ab. Was zunächst mit einem verspäteten Flugzeug erklärt wurde, erwies sich bald als Zurückweichen vor einer Gegendemonstration. Ähn­liches war zuvor mehrfach geschehen.

Kurz darauf besuchte Le Pen den Pariser Vorort Argentueil. Er kam ohne Ankündigung und blieb nur eine halbe Stunde am Vormittag, die aber genügte, um gleich zwei Botschaften zu vermitteln: die integrative, dass er die Einwanderer mit französischer Staatsbürgerschaft als Teil der Nation betrachte und im Gegensatz zu seinem Konkurrenten die Bewohner der Banlieues nicht verachte. Und die autoritäre, dass er sich auch in solche Gegenden traue, die der andere, immerhin der langjährige Dienst­herr der Polizei, nicht zu betreten wage.

Tollpatschige und Aussichtslose

Die sozialdemokratische Kandidatin Ségolène Royal versuchte anfangs, bei diesem Wettstreit um sicherheits- und identitätspolitische Themen mitzuhalten. Doch Einfälle wie der, dass sich jeder Haushalt eine Tri­kolore zulegen und diese bei Fußballländerspielen und am National­feier­tag hissen möge, brachten ihr keinen Zuspruch rechtsgesinnter Wähler, bescherten aber ihrer linken Konkurrenz die Gelegenheit, sie als nationalistisch zu kritisieren.

In den vergangenen Wochen änderte sie ihre Strategie und begann damit, häufiger von sozial- und wirtschaftspolitischen Dingen zu reden. Doch eine gute Figur gab sie auch dabei nicht ab. So kritisierte sie den Umgang der Banken mit armen Haushalten und schlug vor, eine Grenze für Bankgebühren einzuführen. Keine schlechte Idee, dumm nur, dass ihren Beratern offenbar entgangen war, dass die amtierende Regierung kurz vor dem Ende der Legislaturperiode genau das beschlossen hatte.

Daneben ging auch der Beitrag, den sie zur Kostensenkung für die Unternehmen leisten wollte. Sie schlug vor, der Staat solle in jedem Betrieb den vollen Lohn eines jungen Arbeitnehmers übernehmen. Die linke wie die rechte Konkurrenz erklärte dies zu einer »sozialdemokratischen Neuauflage« des Erstein­stel­lungs­vertrags (CPE), den die Regierung im vergangenen Jahr nach starken Protesten hat aufgeben müssen. Zwar waren diese Vorwürfe unzutreffend, aber das Unvermögen von Royal und ihren Beratern, diese Idee zu konkretisieren, und ihre widersprüchlichen Angaben darüber, was das Ganze kosten würde, führten dazu, dass der Vorschlag ebenso schnell wieder verschwand, wie er aufgekommen war. Eine junge Beraterin von Royal soll bei einer Autofahrt den spontanen Einfall gehabt haben, den Royal schnurstracks hinausposaunte. Den Eindruck, den solche Sperenzchen hinterlassen, ist fatal.

Unter den linken Kandidatinnen und Kandidaten scheint Olivier Besancenot, ein 32jähriger Briefträger aus der eher undogmatischen trotzkistischen LCR, die übrigen etwas hinter sich zu lassen. Seine Wahlkampagne steht unter dem Motto: »Unser Leben ist mehr wert als ihr Profit.« Rund fünf Prozent werden ihm vorhergesagt.

Marie-Georges Buffet, die Kandidatin der Traditionskommunisten, die Alttrotzkistin Arlette Laguiller von der Partei Arbeiterkampf, die bereits zum sechsten Mal antritt, der parteilose Linkspopulist José Bové und die ehemalige grüne Umweltministerin Dominique Voynet dürften auf jeweils zwei Prozent kommen. Der Aussichts­loseste unter den Aussichtslosen heißt Gérard Schivardi und kandidiert für einen autoritären Verein namens »Partei der Werk­tätigen«. Bei alledem aber war das Interesse der Franzosen an einer Wahl selten so groß.