Operation »Blondes Mädchen«

Vor den türkischen Präsidentschaftswahlen wird über die Rolle des Militärs diskutiert. In den Medien tauchte das Tagebuch eines Offiziers auf, demzufolge im Jahr 2004 zwei Umstürze geplant waren. von sabine küper-büsch, istanbul

Wir hatten schon einen Plan entworfen. Wir wollten erst die Presse auf unsere Seite bringen und dann die Rektoren der Universitäten, um die Studenten dazu zu bringen, auf die Straße zu gehen. Sie sollten zum Protest gegen die Regierung aufrufen.« Diese Sätze stammen nicht aus den Memoiren eines Revolutionärs, sondern sind dem Tagebuch eines mittlerweile pensionierten türkischen Admirals entnommen. Das türkische Nachrichtenmagazin Nokta ordnet das brisante Material dem ehemaligen Kommandanten der Marine, Admiral Özden Örnek, zu. Dieser sei im Jahr 2004 an den Vorbereitungen zu zwei Militärumstürzen beteiligt gewesen.

Der Chefredakteur von Nokta, Alper Görmüs, gibt die Quelle des Manuskripts nicht preis, ließ in einem Interview mit der Tageszeitung Radikal jedoch durchblicken, dass Militärangehörige selbst das Tagebuch der Presse zugespielt hätten. Am Freitag besuchten Anti-Terroreinheiten der Polizei die Redaktion und kopierten alle Festplatten der Computer und beschlagnahmten Teile des Archivs.

Der Skandal, der sich inzwischen um die Tagebucheintragungen zusammengebraut hat, fällt in politisch brisante Zeiten. Admiral Örnek, mittlerweile Präsident des Vereins zur Wahrung des Gedankenguts von Staatsgründer Atatürk, organisierte zusammen mit anderen pensionierten Generälen am Samstag in Ankara eine Demonstration gegen die Kandidatur des amtierenden Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan für die anstehende Staatspräsidentenwahl. Etwa 100 000 Demonstranten marschierten unter Sprechchören wie »Im Çankaya (Präsidentenpalast) ist kein Platz für die Sharia« und »Die Türkei ist laizistisch und wird es bleiben« zum Mausoleum des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt taucht ein Tagebuch auf, das heftige Kontroversen über die Rolle des Militärs im Staat auslöst.

Der amtierende, streng laizistische Staatspräsident Ahmet Sezer scheidet am 16. Mai aus dem Amt. Das Parlament hat daher am 16. April mit den Beratungen über einen neuen Präsidenten begonnen und muss innerhalb der ersten zehn Tage die Kandidaten küren. Frühestens am 27. April wird es zur Wahl eines neuen Präsidenten kommen. Die Regierungspartei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) wird zunächst ihre Kandidaten bestimmen, sie hat 356 der 550 Sitze inne. Neben Erdogan gilt Außenminister Abdullah Gül als möglicher Kandidat. Das Parlament wählt den Präsidenten, der sieben Jahre amtiert, in geheimer Wahl. Sollte in den ersten beiden Wahlgängen keine Zweidrittel-Mehrheit gefunden werden, so reicht im dritten Wahlgang eine einfache Mehrheit aus.

Eine mögliche Wahl Erdogans ist in erster Linie für die Opposition und die kemalistischen Eliten im Militär- und Staatsapparat ein Reizthema. Das Amt des Staatspräsidenten ist mit einer großen Machtfülle ausgestattet, die exekutive, legislative und judikative Elemente beinhaltet. Die Tatsache, dass seine Gattin Emine Erdogan als Kopftuchträgerin nicht dem herkömmlichen Bild der modernen Republik und seines höchsten Repräsentanten entspricht, ist ein Nachteil für ihn. Gleichzeitig galt der amtierende Staatspräsident Ahmet Sezer als neutrale Instanz zwischen dem Militär und der konservativen Regierungspartei, deren Spitzenpolitiker, Erdogan und Gül, aus einer islamistischen Parteitradition stammen.

Das Tagebuch beinhaltet in diesem Zusammenhang Zündstoff, vor allem weil es die Widersprüche im politischen System der Türkei offenbart. Den Aufzeichnungen zufolge sollen im Jahr 2004 – zur selben Zeit, als die Bemühungen der Regierung unternommen wurden, mit Hilfe umfassender Reformvorhaben die Beitrittsgespräche mit der EU zu forcieren – zwei Putsche unter den Bezeichnungen »Operation Mondschein« und »Operation Blondes Mädchen« geplant gewesen sein.

In der Debatte geht es nun darum, ob das Kopftuch von Emine Erdogan eine Aushebelung der parlamentarischen Demokratie rechtfertigen würde. Glücklicherweise hatte sich der Generalstab damals selbst dagegen entschieden, die Demokratie abzuschaffen. Die Putschpläne scheiterten an der Uneinigkeit der Generäle. Ihre demokratische Fraktion setzte sich mit der Erkenntnis durch, dass sich die Zivilgesellschaft in der Türkei keinen Putsch wünscht. Der Tagebuchschreiber bedauert die Entscheidung. Wenn Örnek der Verfasser ist, könnte dies seinen Eifer erklären, heute zusammen mit anderen Generälen innerhalb einflussreicher Zivilorganisationen Politik zu machen.

Das Militär sieht das Amt des Staatspräsidenten in Anlehnung an Atatürk, den ersten Staatspräsidenten der 1923 ausgerufenen Republik, als vom Militär kontrollierte zweite Macht im Staat. Auch Atatürk war ursprünglich General. Darauf aufbauend hat das Militär den in der Verfassung formulierten Auftrag, die moderne laizistische Republik vor reaktionären Kräften zu schützen. In der Vergangenheit sahen die Generäle dreimal die Republik in Gefahr und putschten daher in den Jahren 1960, 1970 und 1980.

Doch die politische Konstellation hat sich verändert. Die konservative AKP ist mittlerweile sehr bemüht um eine Annäherung an die EU und die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, den ökonomischen und politischen Bedingungen für den Beitritt, darunter das Vorhandensein einer stabilen Demokratie, in der die Menschenrechte und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit geachtet werden. Die Hardliner-Fraktion innerhalb des Militärs hat dagegen weniger eine Schutzfunktion für die moderne Türkei inne, sondern bemüht sich vor allem um den Erhalt der eigenen Macht.

In dem Tagebuch gibt sich der mutmaßliche Verfasser Örnek Nokta zufolge durchaus selbstkritisch. »Wir als Armee nehmen uns zu wichtig. Die Zivilisten lieben das Vaterland nicht genug. Sie sind selbstsüchtig, unpatriotisch und faul, so denken wir. Aber wie weit kommt man mit solchen Gedankengebäuden?«

Örnek erstattete unmittelbar nach Erscheinen des Artikels in der Nokta Anzeige. Es geht dabei nicht um die Echtheit des Tagebuchs, sondern er warf der Chefredaktion »Entfremdung des Volkes vom Militär« vor. Das ist neben dem Paragraphen, der die »Verunglimpfung des Türkentums« unter Strafe stellt und nach dem unter anderem der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk angeklagt wurde, weil er sich zur Kurden- und Armenier-Frage geäußert hatte, einer der umstrittenen Zensurparagraphen in der Türkei. Umgekehrt zeigte der konservativ-islamische Menschenrechtsverein »Mazlum-Der«, der der Regierung nahe steht, Admiral Örnek wegen umstürzlerischer Aktivitäten gegen den Staat an. Die Staatsanwaltschaft hat in beiden Fällen mit den Ermittlungen begonnen.