The Final Countdown

Der Juni rückt näher. Ein Überblick über die geplanten Proteste gegen den G8-Gipfel. von thorsten mense

Nur noch sechs Wochen bis zum G8-Gipfel in Heiligendamm. Die globalisierungskritische Bewegung träumt vom Beginn einer »anderen Welt«, und die linksradikale Szene sieht mit Vorfreude der letzten Schlacht entgegen, die den Kapitalismus zu einem Relikt aus der Vergangenheit machen soll. Die propagierte »andere Welt« ist nach Meinung aller Beteiligten »möglich«, jedoch sieht sie je nach politischer Ausrichtung sehr unterschiedlich aus.

So tobt derzeit eine Art außerparlamentarischer Wahlkampf. Die erste Schlacht, die gewonnen werden muss, scheint die Materialschlacht zu sein. Jede noch so kleine linke Gruppe bringt ihre eigene Kritik am Kapitalismus aufs Papier, die Anzahl der Plakate ist jetzt schon kaum zu schätzen, eigene Aufkleber zum Ereignis des Jahres gibt es aus jeder Kleinstadt. Die an den Protesten beteiligten Gruppen und Bündnisse sind längst nicht mehr zu überschauen. Nur eins ist klar: Es wird eine Menge los sein Anfang Juni in Ros­tock und Umgebung.

Manche G8-Gegner machen sich bereits jetzt auf den Weg nach Mecklenburg-Vorpommern. Anfang April setzte sich die erste Fahrradkarawane in Budapest in Bewegung, sie radelt derzeit durch Osteuropa in Richtung Heiligendamm. In dieser Woche wollen zwei weitere Karawanen losfahren, eine in Stockholm und eine andere, die »Gr8Chaoskaravaan«, im belgischen Brügge.

In Rostock fand Mitte April bereits die dritte Aktionskonferenz statt, mit rund 400 Teilnehmern aus 16 Ländern. Am Rande des Treffens gab es die erste kleine Demonstration. Mehrere hundert Menschen, begleitet von vielen Polizisten, machten bei ihrem »Zaunspaziergang« den Urlaubern an der Ostsee schon mal deutlich, dass es mit der Ruhe bald vorbei sein wird.

Allerspätestens am 2. Juni. Denn dann findet in Rostock die Demonstration statt, zu der über 100 000 Teilnehmer aus der ganzen Welt erwartet werden. Sie stellt auch den Beginn der Aktionswoche dar, die in die Blockaden des Gipfels münden soll. Drei Aktionstage zu den Themen Landwirtschaft, Migration und Krieg und ein groß angelegter Alternativgipfel bilden den Rahmen. Für die freie Zeit steht in der »Choreographie des Widerstandes«, wie der Zeitplan für die Proteste genannt wird, ungenau und viel versprechend zugleich: »ziviler Ungehorsam«. Wer es lieber etwas ruhiger mag, kann stattdessen am »Heiligen Damm des Gebets« teilnehmen.

Auf der Demonstration wird kaum eine Politsekte, nationale Befreiungsbewegung oder friedensbewegte Gruppe fehlen. Zwei bekannte Parteien, die eigentlich auch gegen den Gipfel demonstrieren wollen, haben den zentralen Aufruf nicht unterschrieben. Die Grünen wollten ihn nicht unterzeichnen, da die G8-Staaten darin als »Vorreiter einer auf Krieg gestützten Weltordnung« bezeichnet werden. Für Claudia Roth, die Parteivorsitzende der Grünen, werden die »Feindbilder zu einseitig dargestellt«. Um den Anschluss an die Antiglobalisierungsbewegung dennoch nicht völlig zu verpassen, wurde schnell noch ein eigener, abgeschwächter Aufruf nachgereicht. »Wir wollen keinen Gipfel der schönen Worte, sondern der konkreten Taten«, heißt es darin sehr konkret. Auch zum Alternativgipfel, der gleichzeitig mit dem offiziellen Staatstreffen stattfindet, rufen die Grünen auf. Wer nicht mehr an dem offiziellen Gipfel teilnehmen darf, will wenigstens seinen Platz auf dem anderen großen Podium sicher haben.

Die NPD hingegen darf nicht teilnehmen und wird daher im 70 Kilometer entfernten Schwerin aufmarschieren. Dabei unterscheidet sich ihr Motto auf den ersten Blick nicht substanziell von dem, was viele Teilnehmer auf der Großdemonstration fordern werden: »Nein zum G8-Gipfel – Für eine Welt Freier Völker«. In einem Text auf der G8-Internetseite der Partei, der auch in der Deutschen Stimme erschienen ist, wird ein »na­tio­nales Empfangskomitee für die Bushis­ten« angekündigt, und es heißt: »Hugo Chávez (Venezuela) und Evo Morales (Bolivien) stehen für eine Synthese aus nationalem und sozialistischem Gedankengut.«

Die radikale Linke nimmt in verschiedenen Bündnissen an den Protesten teil. Die »Interventionistische Linke« etwa will durch die Zusammenarbeit mit bürgerlichen Gruppen versuchen, die Revolution ins Rollen zu bringen. Das »Bündnis für eine revolutionäre Perspektive« will den »antiimperialistischen Klassenkampf« wieder aufleben lassen. Mit alledem wollen die Gruppen des Bündnisses »Ums Ganze« wiederum nichts zu tun haben. Auf der Demonstration in Rostock wollen sie ihre »totale Negation« der Verhältnisse zum Ausdruck bringen.

Der Alternativgipfel wird maßgeblich von der »NGO-Plattform« organisiert. Dabei wurde an prominenten Vertretern der »anderen« Welt nicht gespart: Unter anderen wird der Politikwissenschaftler John Holloway mit Susan George von Attac Frank­reich über die globalisierungskritische Bewegung diskutieren. Die Abschlussrede soll Vandana Shiva halten, die Trägerin des alternativen Nobelpreises aus Indien. Die Trotzkisten von Linksruck werden in ihrem Workshop »Vom Vietkong zur Hizbollah?« der Frage nachgehen, ob die Linke heute noch »nationale Befreiungsbewegungen« unterstützen könne. Zum Abschluss des Gegengipfels wird der Schlagersänger Herbert Grönemeyer, Gerüchten zufolge gemeinsam mit Bono von U2, mit seiner Stimme den »emanzipatorischen« Anspruch des Ganzen unterstreichen.

Auf den Straßen wird es mit dem offiziellem Beginn des Gipfels am 6. Juni eng. Das Bündnis »Block-G8« ruft bereits seit Wochen zur Blockade sämtlicher Zufahrtswege auf. Antifas, Kirchen- und Gewerkschaftsgruppen, die linke und die grüne Partei­jugend und sogar die »Gays and Lesbians of Zimbabwe« wollen sich »aktiv dem G8 in den Weg stellen und die Zufahrten zum Tagungsort blockieren«. Bereits am 5. Juni soll es eine Blockade des Flughafens Rostock-Laage geben, wo die geladenen Gäste des G8-Treffens ankommen werden.

Am zweiten Gipfeltag, dem 7. Juni, ist ein Sternmarsch nach Heiligendamm geplant, der zu Konfrontationen mit der Polizei führen dürfte. Denn nicht nur von der Roten Zone innerhalb des Zauns sollen die Demonstranten ferngehalten werden, die Polizei hat bereits angekündigt, dass in einem »erweiterten Maßnahmenraum« von fünf bis zehn Kilometern Proteste »unmöglich« sein werden. Auch angemeldete Demonstrationen seien »problematisch«, sagte Knut Abramowski von der BAO Kavala.

Die Besondere Aufbauorganisation (BAO) Kavala ist bereits seit Dezember 2005 zur Planung des Polizeieinsatzes in Waldeck stationiert. Während des Gipfels werden dort knapp 600 Mitarbeiter für die Koordinierung der voraussichtlich 16 000 Einsatzkräfte zuständig sein. Im Kavala-Report, der Informationsbroschüre für eingesetzte Polizeikräfte, ist zu lesen, dass Kollegen bereits von der »Krawalla-Polizei« reden. Die ersten schriftlichen Platzverweise für die Dauer des Gipfels wurden bereits an Besucher des Sperrzauns verteilt.

Die nächste Demonstration in Heiligendamm soll am kommenden Wochenende stattfinden. Zur Erinnerung an die Katastrophe von Tschernobyl soll am Zaun demonstriert werden. »Hinter dem Zaun liegt der Strand«, heißt das Motto. Aber was machen die Demons­tranten, wenn sie tatsächlich am Strand angelangt sind?