Freier Autor im Puff

Für die B.Z. besuchte der Autor Thomas Brussig Berliner Bordelle. von jörg sundermeier

Thomas Brussig sei der »Balzac vom Prenzlauer Berg«, schreit der Klappentext den Leserinnen und Lesern entgegen. Das jedenfalls hat der Spiegel mal geschrieben. Brussig ist mit seinen Romanen »Helden wie wir«, »Wie es leuch­­tet« und »Am kürzeren Ende der Sonnen­allee« bekannt geworden, letztgenannter wurde erfolgreich von Leander Haußmann verfilmt. Brussig schreibt ein schnel­les, einfaches, kunstloses Deutsch. Dennoch gilt er als guter Schriftsteller. Und irgendwann muss er zum Balzac geworden sein.

Früher hatte Brussig zweifelsohne einen gewissen proletarischen Charme, der einen für den Autor einnehmen konnte, doch in den vergangenen Jahren wurde es immer offensichtlicher, dass er, der nach einem abgebrochenen Soziologie-Studium an die Filmhochschule »Konrad Wolf« wechselte und sein Dramaturgen-Diplom erwarb, nicht der unbedarfte Schelm ist, für den er sich ausgibt. Er wirkte am Drehbuch für die Klamotte »NVA« mit, er ist Mitglied des »Lübecker Literaturtreffens«, das von Günter Grass initiiert wurde und den einzigen Zweck verfolgt, Reklame für alle Be­teiligten zu machen, er beantwortet jede dämliche Interviewfrage und ist sich auch sonst für nichts mehr zu schade.

Vielleicht ist er einfach zu unbedeutend geworden im Literaturbetrieb. Die Figur des lustigen Ostdeutschen jedenfalls scheint nicht mehr so interessant. Was anderes scheint er aber nicht spielen zu können. Insofern wird es wohl ein Glück für ihn gewesen sein, dass ihn im vergangenen Jahr das Berliner Boulevard­blatt B.Z. anrief und bat, über Berliner Bordelle zu schreiben. Weil er der Balzac ist?

Nein, weil er schamlos ist. Brussig tat, was er konnte, das Ergebnis ist unlängst in der Zeitung erschienen und nun auch als Buch veröffentlicht. Selbstverständlich firmieren diese Reportagen als »Reportage­roman«, obschon es keine andere Handlung gibt als die, die Herrenwitze schon im ersten Satz haben: »Kommt ein Mann in den Puff.« Würde man nun denken, dass es wenigstens Erkenntnisse gibt – sofern man nicht die Mitteilung von Preistabellen für Erkenntnisse hält –, so sieht man sich ebenfalls enttäuscht.

Brussig sieht viel, aber er merkt nichts. Zitieren wir einmal ausführlich: »Sie erzählt von ihrem ersten Mal im Bordell – sie war sehr aufgeregt, hat am ganzen Leib gezittert, und es war eine Katastrophe. Der Mann, der vorher kaum mit ihr geredet hat, hat sie schließlich rausgeschmissen. Weil sie kein Französisch machen wollte. Auch privat hat sie das nie gemacht. In Rumänien ist das unüblich, während es in Deutsch­land dazugehört. Drei Monate lang hat sie sich geweigert, aber der Verdienst war so enttäuschend, dass sie schließ­lich doch damit angefangen hat – und jetzt gefällt es ihr. Das will ich genauer wissen: Was gefällt dir daran? Wenn du spürst, dass es die Männer heiß macht, oder ist es interessant, so ein großes Körperteil in den Mund zu nehmen? Oder bist du stolz auf dich, weil du dich überwunden hast und jetzt wie selbstverständlich etwas machst, was du dir vor zwei Jahren nie zugetraut hättest? Sie lacht nur und sagt, sie weiß es nicht.«

Das ist nicht einfach dumm, das ist ekelhaft. Zumal Brussig sich den Prostituierten gegenüber, mit denen er so einfühlsam spricht, als Kunde ausgibt. Daher lacht die Rumänin auf sein Nachfragen hin, was bleibt ihr, die anschaffen muss, übrig?

Er will es eben nicht »genauer wissen«. Die Kam­pagnen gegen Zwangsprostitu­tion werden nur beiläufig erwähnt. Brussig näm­lich ist modern und erkennt Prostitution als Dienst­leistung an. Brav. Die Hintergründe der einzelnen Prostituierten aber sind für ihn egal, auch er bleibt ein Kunde, »der vorher kaum mit ihr geredet hat«, nur dass er eben – kleiner Trick – es nie zum Verkehr kommen lässt.

Diese Verweigerung macht seine Recherchemethode, bei der er sich ganz auf Camouflage verlässt, nicht weniger widerlich. Zunächst lässt er uns an seinem Blick teilhaben: »Sie heißt Janet und ist aus Tansania. Das imponiert mir, da doch Afrikanerinnen im Ge­wer­be angeblich dazu neigen, sich als Jamai­kanerinnen auszugeben, weil sie das für wertsteigernd halten. Janet, die weder schwarze Haut noch ausgesprochen negroide Gesichtszüge hat, könnte sich, ohne dass ich zweifeln wür­de, als Kubanerin, Jamaikanerin oder Brasilianerin ausgeben. Ihre Haut hat exakt die Farbe einer Tasse Lufthansa-Kaffee mit zweimal Sahne.« »Polinnen« hingegen erkennt Brussig auf einen Blick.

Wir Leserinnen und Leser wissen stets, wie dumm das ganze Geschwätz ist, das Brussig den »Bordsteinschwalben«, die er »Bordsteinflamingos« heißt, weil sie »bunte Vögel« sind, entlockt. Und wir sollen mit ihm herabschauen auf jene, die da nach seinem Geld gieren, es aber nicht kriegen. Dass es nämlich nicht zum Verkehr kommt, liegt daran, dass Brussig dies seiner Frau versprochen hat. Er trägt es den Huren offensichtlich nach: Stets beschwert er sich über Nepp. Außerdem herrscht hunds­gemeiner Kondomzwang: »Mit dem Kondom halten sich die Huren ihre Kunden vom Leibe, wenn auch nur um Bruchteile von Millimetern. In einer Sphäre, in der es genau da­rum geht, für möglichst viel Geld möglichst wenig zu bieten, ist das Kondom ein nicht mehr wegzudenkendes Utensil.« Dreckig sind viele Läden auch noch, oder die Damen sind hässlich. Die vereinheitlichten Preise im Etablissement »Artemis« hingegen, das offensichtlich der Zwangsprostitution unverdächtig ist, bejubelt er mehrmals. Hier findet er die »Zukunft der Prostitution«.

»Mich interessiert das Verhältnis zwischen Mann und Frau«, behauptet er. Genau das interessiert ihn nicht. Ihn interessiert ganz allein der Mann, die Frau ist eher Begleitwerk.

Thomas Brussig: Berliner Orgie. Piper Verlag, München 2007, 208 Seiten, 16,90 Euro