Kleine Koranfibel

Mit dem neu gegründeten Koordinierungsrat der Muslime wollen die islamischen Verbände die Gleichstellung mit den Kirchen erreichen. Auch der Islamunterricht an den Schulen soll dabei helfen. von hartmut regitz

Während der Kapitalismus mit wachsender Effizienz die für die Wertproduktion Überflüssigen ausstößt, suchen immer mehr Menschen nach metaphysischen Angeboten, die der eigenen Existenz einen höheren Sinn verleihen sollen: nach einem Gott, der Nation, dem Stolz auf die Herkunft etc. Im Zuge dessen verstärkt sich seit Jahren auch ein heimliches Bündnis zwischen Konservativen, Kirchen und islamischen Verbänden. Ihre ideologische Gemeinsamkeit ist die Vorstellung einer quasi ethnisch vorbestimmten »kulturellen Identität«, sei es auf der einen Seite eine deutsche bzw. christlich-abendländische oder auf der anderen Seite eine muslimische. Die Muslime werden als homogene Masse gedacht, deren Integration gefördert werde, indem die deutsche, christlich-europäische bzw. islamische Kultur sich in von Politikern und Kirchen organisierte »Dialoge« begebe.

Dabei ergibt sich allerdings ein kleines Problem: Viele Muslime sind eher pragmatisch denn gläubig, und die Gläubigen hängen zudem verschiedenen Glaubensrichtungen an. In Deutschland schätzt man neben rund 2,5 Millionen Sunniten, die sich auf vier große Rechtsschulen verteilen, 400 000 Aleviten, 125 000 Schiiten und 60 000 Anhänger der Ahmadiyya-Bewegung. Davon sind nur zehn bis 25 Prozent in einem Moscheeverein organisiert. Deren Dachverbände nennen sich »Islamrat« (dessen größte Mitgliedsorganisation ist die Milli Görüs), »Zentralrat der Muslime in Deutschland« (ZMD), »Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion« (Ditib) oder »Verband der islamischen Kulturzentren«. Diese vier Verbände haben sich Mitte April zum »Koordinierungsrat der Muslime« zusammengeschlossen, der beansprucht, rund 2 000 der insgesamt etwa 2 800 Moscheegemeinden in Deutschland zu vertreten.

Vor dem bevorstehenden zweiten Treffen der so genannten Islamkonferenz unter Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) Anfang Mai wartete der Koordinierungsrat schon mal mit seinen Ideen auf. Sein Sprecher, Ayyub Axel Köhler, forderte, dass der Rat als Religionsgemeinschaft anerkannt werden müsse. Der Zeit sagte er, die Muslime wollten »endlich ins rechtliche System der Bundesrepublik eingefügt werden können«.

Zudem sprach er sich dafür aus, dass muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch unterrichten dürfen. Und er erhob erneut die Forderung, dass der Sportunterricht an Schulen nach Geschlechtern getrennt werden solle. »Wir Muslime haben ein besonderes Verhältnis zur Schamhaftigkeit«, sagte er. »Und wir halten das Erziehungsrecht der Eltern hoch. Wenn die Eltern einen getrennten Unterricht für besser halten, werden wir das unterstützen und für pragmatische Lösungen mit den Schulen werben.«

Der Staat verspricht sich von der Einrichtung des Koordinierungsrats einen besseren Überblick über die Muslime in Deutschland (auch hinsichtlich der Gefahr des islamistischen Terrorismus) und einen zuständigen Gesprächspartner bei Problemen, etwa der Integration. Die muslimischen Verbände indes erhoffen sich eine Stärkung der eigenen Vereine bis hin zur Gleichstellung mit den Kirchen.

Die islamischen Verbände werden vom Staat jedoch erst als Religionsgemeinschaft nach Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes anerkannt, wenn sie bestimmte Anforderungen erfüllen: Die Organisation müsse auf Dauer angelegt sein, sie müsse eine seelsorgerische Betreuung gewährleisten (was die örtlichen Moscheen tun), sie müsse natürliche Personen als Mitglieder haben und verfassungstreu sein. Der Koordinierungsrat der Muslime erfüllt diese Kriterien derzeit nicht. Er hat keine Personen, sondern Verbände als Mitglieder, organisiert keine seelsorgerische Betreuung, und im Islamrat ist nach wie vor die Organisation Milli Görüs Mitglied, die in Nord­rhein-Westfalen vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Ein Mittel, um den Übergang vom Verbund zu einer kirchenähnlichen Körperschaft des öffentlichen Rechts zu bewerkstelligen, ist das staatliche Angebot der Einführung einer Islamkunde an den Schulen. Weil Bildung Ländersache ist, werden hierfür seit einigen Jahren in verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Modelle erprobt. Von den bisherigen Modellversuchen sind insbesondere diejenigen in Nord­rhein-Westfalen und Niedersachsen von größerem Interesse.

In Niedersachen hatte sich Anfang des Jahres 2003 ein so genannter Runder Tisch sunnitischer, schiitischer und alevitischer Verbände auf Richtlinien für einen Modellversuch an 19 Schulen mit über 600 Schülern geeinigt. Dabei war es Konsens, dass in deutscher Sprache unterrichtet werde und die Lehrkräfte pädagogisch ausgebildete Muslime sein müssten. Da ein Studium für Islamreligion in Deutschland erst anläuft, wurden in Niedersachen und Nordrhein-Westfalen muttersprachliche Lehrer für den Islam­unter­richt zusätzlich pädagogisch qualifiziert.

Nach Angaben von Michael Kiefer, einem wissenschaftlichen Begleiter des Modellversuchs in Nord­rhein-Westfalen, umfasst das Modellprojekt Islamkunde dort derzeit etwa 120 Schulen mit rund 10 000 Schülern der Jahrgänge eins bis zehn, das sind etwa zehn Prozent der infrage kommenden Schüler in Nordrhein-Westfalen. Islamischer Religionsunterricht wird neben dem evangelischen und katholischen erteilt. Das Curriculum wird durch das Landesinstitut für Schule in Soest erstellt.

Ein neu errichteter Lehrstuhl für religiöse Bildung in Münster mit Islam als drittem Fach wird die ersten Absolventen für das Schuljahr 2007/08 verabschieden. In der vorigen Woche teilte das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium mit, dass an der Universität eine zweite Professur eingerichtet werden soll und das Land in den kommenden Jahren insgesamt 375 000 Euro zur Verfügung stellen wolle.

Eine Erhebung ergab, dass der Unterricht in Islamkunde begrüßt wird und es bisher kaum Abmeldungen gibt. Über die erzielten Einstellungs- und Verhaltensänderungen der unterrichteten Kinder allerdings schweigt sich Kiefer aus. Er bemängelt lediglich, dass es bisher noch keine geeigneten Unterrichtsmaterialien gebe. Auf einer Diskussionsveranstaltung des Vereins Ramesch im vorigen Jahr räumte er ein, dass es bei dem Modellversuch in Nord­rhein-Westfalen im Unterricht keine hermeneutische Darstellung des Islam gebe; der Koran werde als Wort Gottes gelehrt und nicht als von Menschen verfasstes Buch mit einem historischen Kontext.

Und über die entscheidende Frage wird gar nicht erst diskutiert: Was haben die verschiedenen Religionen überhaupt in der Schule zu suchen? Wegen der Bedeutung der Kirchen fühlt sich ein Bündnis von islamischen Organisationen und Anhängern der Idee der multikulturellen Gesellschaft darin bestärkt, auch dem Islam die Schultüren zu öffnen. Dabei wird vergessen, dass es im Koran keine Trennung von religiöser und politischer Sphäre gibt und daher Exegeten des Islam die totale Unterwerfung des Einzelnen im Alltag wie im Staat fordern können. Da die Islamkunde in den bisherigen Modellprojekten keine kritische Textanalyse des Korans ermöglicht, besteht die Gefahr, dass sie gerade bei denjenigen muslimischen Schülerinnen und Schülern ein totalitäres Gedankengut verstärkt, die in einer immer noch rassistischen Mehrheitsgesellschaft nach einer festen »kulturellen Identität« suchen.