Eine Stadt übertrifft sich selbst

Die Hamburger Elbphilharmonie befindet sich im Bau. Konzept und Finanzierung des Prestigeobjekts sind keineswegs geklärt. von andreas blechschmidt

Grundsteinlegungen sind symbolische Akte und Gründe zum Feiern. »Die Elbphilharmonie soll nicht nur einer der zehn besten Konzertsäle der Welt werden, sie soll zugleich durch ihre einzigartige Architektur als neues Wahr­zeichen Hamburgs den Aufbruch unserer Stadt symbolisieren«, sagte Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) in der Fest­tagsstim­mung am 2. April, als der Bau der so genannten Elbphilharmonie offiziell begann. Das neue Konzerthaus am Hafen ist eines der ehrgeizigsten Bauprojekte der vergangenen Jahrzehnte in der Stadt.

Ob es sich dabei, wie angekündigt, um das neue Wahrzeichen Hamburgs handeln wird oder aber um ein künftiges Millionengrab, ist keineswegs ausgemacht. Stolze 241 Millionen Euro sind gegenwärtig für das Gesamtprojekt veranschlagt, das zum Aushängeschild des neuen Innenstadtquartiers »HafenCity« werden soll. 103 Millionen Euro davon tragen private Investoren, die restlichen Investitions- und Baukosten finanziert die Stadt. Noch im Herbst 2005 hatte der CDU-Senat behauptet, die Stadt werde auf keinen Fall mehr als 77 Millionen Euro zuschießen. Zurzeit erklärt der Senat, die Obergrenze liege bei 138 Millionen Euro. Darauf sollte er nicht allzu viel verwetten.

Denn der architektonische Entwurf ist äußerst ambitioniert. Ein ehemaliger Kaispeicher wird teilweise entkernt und soll zu zwei Konzertsälen für je 2 200 bzw. 600 Besucher umgebaut werden. Im großen Saal des Konzerthauses soll das Publikum um das Orchester herum sitzen, was ein entsprechend aufwändiges Raum- und Akustikkonzept erfordert. Darüber hinaus soll eine Glasfassade dem Bau sein markantes Erscheinungsbild verleihen.

Es braucht nicht viel Phantasie und Fachwissen für die Prognose, dass sowohl das Akustikkonzept als auch die Glasfassade zukünftig sowohl Kummer als auch weitere Kosten verursachen könnten. Doch trotz aller Unwägbarkeiten gibt es in Hamburg zurzeit keinen nennenswerten politischen Widerspruch zu dem Projekt. Christa Goetsch, die Vorsitzende der oppositionellen Bürgerschaftsfraktion der GAL sagte: »Die Elbphilharmonie ist eine große Chance für Hamburg – eine Chance für das kulturelle und musikalische Leben und eine Chance für das Selbstbewusstsein einer Stadt.«

Auch die Mitglieder der SPD, die sich im Gegensatz zur GAL auf der entscheidenden Bürgerschaftssitzung im Februar ihrer Stimme enthielten, werden nicht müde zu erklären, die Hamburger Sozialdemokratie wolle die Elbphilharmonie. Und selbst kleine Dissonanzen in der Erklärung der nicht in der Bürgerschaft vertretenen FDP sind gar nicht so gemeint. Ralf Lindenberg, ihr kulturpolitischer Sprecher, gratulierte zum Bau der Elbphilharmonie und erklärte lediglich, dass die FDP »immer wieder auf die Unberechenbarkeit der Bau- und Folgekosten hingewiesen und verlässliche Finanzierungspläne gefordert« habe.

Als Miesmacher will offenbar niemand dastehen. Der Hamburger Senat jedenfalls hat allgemeinen und zustimmenden Jubel in der Stadt verordnet. Der designierte Chefdirigent der Elbphilharmonie, Christoph von Dohnányi, sagte: »Diese Halle wird die Kulturstadt Hamburg verändern. Wir gehen auf etwas ganz Großes zu.« Bei geschätzten reinen Betriebskosten von 3,6 Millionen Euro jährlich für die Elbphilharmonie, die neben der Musikhalle und der Staatsoper zu unterhalten sein wird, dürfte sich in der Tat etwas Großes auftun.

Der 43jährige Christoph Lieben-Seutter aus Wien, der die Intendanz übernehmen soll, verkündete: »Es darf keiner enttäuscht aus dem Haus gehen.« Neue Musik, ein ausgefallenes Repertoire und unbekannte Künstler sollen in der Elbphilharmonie zu hören sein. Problematisch an dem Konzept ist nur, dass es in Hamburg kein allzu großes Publikum für neue Musik, ein ausgefallenes Repertoire oder gar unbekannte Künstler gibt.

Womöglich haben die Programmverantwortlichen der Hamburger Musikhalle, die rund 500 000 Besucher pro Jahr aufweisen kann, Lieben-Seutter das bereits gesteckt, denn der Österreicher ergänzte das künstlerische Profil: »Wir wollen kein Programm für ein elitäres Publikum, sondern ein Programm für alle machen.« Schlager, Jazz und die großen Stars dürfte das konkret bedeuten. Angesichts dessen sollten sich der künftige Intendant und die amtierende parteilose Kultursenatorin Karin von Welck dringend einmal unterhalten. Denn von Welck glaubt noch, Hamburg erhalte mit der Elbphilharmonie »die Chance, eine Kulturmetropole von Weltrang zu werden«.

Tatsächlich speist sich der Hype um die Elbphilharmonie am wenigsten aus der Sorge um die kulturelle Zukunft der Stadt Hamburg. Es geht vor allem um den »Stand­ortwettbewerb«. Die Elbphilharmonie soll darin ein öffentlichkeitswirksames Prestigeobjekt und Aushängeschild sein. Mit dem Konzept der »Wachsenden Stadt« möchte Hamburg die gehobene Mittelschicht anlocken. 40 000 neue Arbeits­plätze in Zukunftsbranchen und 12 000 Wohnungen sollen in dem nahe der Innenstadt und dem Hafen gelegenen Areal »HafenCity« aus dem Boden gestampft werden. Nicht weniger als 1,1 Milliarden Euro investiert die Stadt Hamburg in den nächsten Jahren in das Projekt.

Finanziert wird das durch eine rigide Spar­politik, die auf Kosten einkommensschwacher Haushalte geht. Mit der Schließung von Schulen, Schwimmbädern, Bücherhallen, der Erhöhung der Kitagebühren und der Abschaffung der Lernmittelfreiheit sowie Privatisierungen ehemals städtischer Betriebe klaubt sich der Senat das nötige Geld zusammen.

Für die Finanzierung der Elbphilharmonie wurde zusätzlich eigens eine Stiftung ins Leben gerufen, die die Bürger auffordert, das Projekt mit Spenden zu unterstützen. »Hamburg baut ein Wahrzeichen« heißt die Kampagne, die diskret verschweigt, dass das Konzerthaus nur Teil eines Ensembles ist, das auch 45 luxuriöse Eigentumswohnungen (4 000 Euro pro Quadratmeter), ein Fünf-Sterne-Hotel sowie gehobene Gastronomie umfassen soll. Betont wird in den offiziellen Verlautbarungen, dass eine in 37 Metern Höhe gelegene »Plaza« auf der Elbphilharmonie allen Bürgern offen stehen und einen einzigartigen Blick über den Hamburger Hafen bieten werde. Wer will angesichts derartiger Aussichten nicht eine Anstecknadel erwerben, mit der man sich dazu bekennt, Unterstützer und Förderer des Projekts zu sein?

Zumindest Hamburgs Pfeffersäcke glauben offenbar nicht an einen durchschlagenden Erfolg der Marketingkampagne. Damit bloß nichts schief geht, haben das Ehepaar Hannelore und Helmut Greve sowie Michael Otto, der Inhaber des gleichnamigen Versandhauses, bereits 40 Millionen Euro auf den Tisch gelegt. Weitere Spenden von Bürgern sollen für die anfallenden Betriebskosten nach der geplanten Eröffnung der Philharmonie im Mai 2010 zurückgelegt werden.

Die Perspektive des Projekts hat Wilfried Maier, Bürgerschaftsmitglied für die GAL und Haushalts- und Kulturexperte seiner Fraktion, bereits treffend umrissen. Die Elbphilharmonie sei ein »Zeichen für die Stadt zur Selbstüberschreitung«. Dem dürfte nichts hinzuzufügen sein.