Tod im Pegasus

Die Mörder des pakistanischen Cricket-Nationaltrainers Bob Woolmer wollten ganz sicher gehen – vielleicht um auszuschließen, dass der Coach über Wettbetrügereien auspackte. von elke wittich

Als endgültiges Statement taugte nichts von dem, was der pakistanische Cricket-Nationalcoach Bob Woolmer in einem Interview mit der BBC kurz nach dem überraschenden Ausscheiden seines Teams bei der WM in Jamaika sagte. Woolmer analysierte an diesem 17. März kurz die Niederlage, gab zu, sehr enttäuscht zu sein, und wich Fragen nach seiner persönlichen Zukunft als Trainer mit der Bemerkung aus, er wolle erst einmal eine Nacht über die unerwartete Niederlage gegen Irland schlafen.

Nur kurze Zeit später sollte alles, was der Trainer in diesem belanglosen Interview sagte, von Polizeibeamten und Journalisten genauestens auf versteckte Andeutungen überprüft werden. Denn nur wenige Stunden nach seinen Statements, am Morgen des 18. März, wurde Bob Woolmer von einem Zimmermädchen bewusstlos im Bad seiner Suite des Kingstoner Hotel Pegasus aufgefunden und gegen Mittag in der benachbarten Universitätsklinik für tot erklärt.

Was zunächst wie ein stressbedingter Herzinfarkt aussah, erwies sich rasch als Mordfall: Woolmer war erwürgt worden.

Kriminalkommissar Mark Shields, einer der ranghöchsten Polizeibeamten Jamaikas, wurde mit der Untersuchung beauftragt. Woolmer müsse, sagte der bei Scotland Yard Ausgebildete, seinem Mörder oder seinen Mördern selbst die Tür geöffnet haben, denn es habe keinerlei Spuren gewaltsamen Eindringens oder gar eines heftigen Kampfes gegeben. Überdies müsse man von mehreren Tatbeteiligten ausgehen: »Er war ein sehr großer, kräftiger Mann, den man nicht einfach überrumpeln konnte.«

Wem es gelang, diesen großen, kräftigen 59jährigen zu überrumpeln und anschließend zu erwürgen, ist allerdings fast zwei Monate nach dem Mord genauso unklar wie das Tatmotiv. Nur das ungefähre Geschehen ist mittlerweile bekannt. Woolmer wurde, so stellten die Gerichtsmediziner bei einer zweiten Obduktion fest, vergiftet – wie es ein anonymer Anrufer bereits wenige Tage nach der Tat gegenüber der Kripo behauptet hatte – und war vermutlich handlungsunfähig, als seine Mörder sein Zimmer betraten.

Die Tat war demnach kaltblütig geplant, was einen Raubmord definitiv auszuschließen scheint. Dass Woolmer nicht zufällig zum Opfer wurde, dürfte mittlerweile auch feststehen – obwohl Jamaika zu den Ländern mit der weltweit höchsten Anzahl an Tötungs­delikten gehört und auch das Pegasus nie ein ausgewiesen sicherer Ort war. In den letzten anderthalb Jahren wurden in dem Hotel drei Morde verübt.

Anlässlich der WM waren die Sicherheitsvorkehrungen zwar massiv verstärkt worden, aber immer noch unzureichend, wie sich bereits am 9. März herausgestellt hatte. An diesem Tag war es zu einem mysteriösen Zwischenfall im Pegasus gekommen, von dem allerdings bis heute nicht feststeht, ob er mit dem späteren Mord in Zusammenhang steht oder vielleicht doch eine Art Generalprobe für die Tat war. Damals war im achten Stock, wo die Mannschaften aus Pakistan, Irland und Kanada ihr WM-Quartier hatten, ein Kanister mit Tränengas explodiert, das Gebäude hatte anschließend für mehrere Stunden evakuiert werden müssen.

Vermutlich, so die Kripo, hatte den Kanister jemand dort deponiert, der sich als ein Angehöriger des Hotelpersonals verkleidet hatte. Möglicherweise war es mit dem gleichen Trick später auch dem oder den Mördern gelungen, sich Zugang zum WM-Quartier zu verschaffen.

Die jamaikanische Polizei ist immer noch dabei, die letzten Stunden im Leben des Coaches zu rekonstruieren, den Zeitraum für den Mord so eng wie möglich einzugrenzen und mit Hilfe der elektronischen Zimmerschlüssel und der Überwachungskameras Bewegungsmuster der anderen Hotelgäste und etwaiger Fremder zu erstellen. Woolmer hatte am Samstagabend zwischen 20 und 21 Uhr lokaler Zeit beim Zimmerservice Essen bestellt, in diesem Zeitraum verschickte er außerdem von seinem Laptop aus einige E-Mails. Eine Nachricht ging an den Chef des pakistanischen Cricket-Verbandes, Dr. Nasim Ashraf, und gab späteren Spekulationen um einen möglichen Wettbetrug durch Mannschaftsmitglieder Nahrung. Woolmer beklagte darin, dass einige Spieler anscheinend nicht gut genug ausgebildet seien, denn sie machten trotz eindeutiger Instruktionen wieder und wieder dieselben dummen, spielentscheidenden Fehler.

In einer E-Mail, die er später an seine Frau schickte, finden sich allerdings keinerlei Hinweise, dass der in Indien geborene Sohn eines Cricketprofis irgendwelche zwielichtigen Machenschaften vermutete.

Wettbetrug und verschobene Spiele sind beim Cricket allerdings keine Seltenheit, wie der Brite Lord Condon, ehemaliger Chef der Londoner Metropolitan Police und nun Leiter der nach diversen Skandalen gegründeten Anti-Korruptionsabteilung des Cricket-Weltverbandes, kurz nach dem Mord an Woolmer erklärte: »In manchen Ländern ist es mittlerweile viel lukrativer, Spiele zu manipulieren, als mit Drogen zu handeln.« Apathie und Angst machten es den Tätern zudem extrem leicht. Weder Spieler noch Funktionäre wagten es für gewöhnlich, Anzeige gegen die mächtige, skrupellose Wettmafia zu erstatten.

Gerüchten, Woolmer habe in dem Buch, an dem er gerade schrieb, Einzelheiten über Wettbetrügereien enthüllen wollen, trat seine Familie allerdings entgegen. In keinem der bisher fertiggestellten Kapitel sei es um Unregelmäßigkeiten gegangen und auch in seinen Notizen habe man nichts zu diesem Thema finden können.

Nun hofft man, mit dem Täter auch gleichzeitig das Motiv zu finden. Nach mehr als einem Monat war es der jamaikanischen Kripo gelungen, die Bilder der hoteleigenen Überwachungskameras zu digitalisieren, so dass sich Beamte die Filme überhaupt erst ansehen konnten. Was sich zunächst dilettantisch anhört, hat einen ganz einfachen sicherheitstechnischen Hintergrund: Da die Bilder unter Umständen zum wichtigsten Beweisstück in einem späteren Prozess werden könnten, durften sie nicht von irgendeiner örtlichen Privatfirma bearbeitet werden, wo ein Mitarbeiter vielleicht die Chance gehabt hätte, die entscheidenden Sequenzen zu manipulieren.

Auf den mittlerweile ausgewerteten Videos scheint, so berichteten jedenfalls indische und pakistanische Zeitungen unter Berufung auf eine Quelle im Kingstoner Polizeipräsidium, mindestens eine verdächtige Person zu erkennen zu sein, die sich zum Tatzeitpunkt auf dem Hotelflur aufhielt. Um wen es sich handelt und ob derjenige ein Mitglied der pakistanischen Mannschaft ist, die zunächst unter Generalverdacht stand, ist dagegen noch nicht bekannt. Medienberichten zufolge steht die Identität min­destens eines mutmaßlichen Mörders zwar bereits fest, mit Rücksicht auf die noch laufende Weltmeisterschaft werde sie allerdings erst nach dem Ende des Finalspiels bekannt gegeben.