Volker, hör die Signale!

Freiburg ist schäbig. Deshalb sollte Volker Finke gehen. von christoph seidler

Bevor man, wie der Kabarettist Matthias Deutschmann, die Entlassung von Volker Finke zur »größten badischen Tragödie seit Kaspar Hauser« stilisiert, ist es ratsam, sich die Vorgänge beim SC Freiburg genauer anzusehen.

Die Krise begann vor zwei Jahren, als der Club nach einer verkorksten Saison aus der Bun­desliga abstieg. Dem folgte ein Jahr in der Zwei­ten Liga, in dem der Wiederaufstieg vor meist nur halbvollen Rängen knapp verpasst wurde. In dieser Zeit formierten sich meist jugendliche »Ultras«, die auf den Misserfolg mit »Finke-raus«-Rufen reagierten. Zwar wurde die heterogene, gegen den rechten Rand aber durch­läs­sige »Ultras«-Szene anfangs als »Alkopop-Gene­ration« verspottet. Doch angesichts der Lethargie, mit der das Publikum die Spiele oft verfolgte, waren sie nicht zu überhören. In der Hin­runde der laufenden Saison schließlich spielte das Team nicht schlecht, aber erfolglos und geriet in die Nähe der Abstiegsplätze. Nun diskutierte auch die örtliche Linke, die nirgends mehr so zahl­reich zusammenfindet wie im Stadion darüber, ob der »alternative« Freiburger Fuß­ball samt seiner »Fankultur« ans Ende gelangt war.

Tatsächlich wird Finkes Kurzpass-Spiel von guten Mannschaften kopiert. Grobmotorische Teams hingegen haben gelernt, mit welchen Mitteln sie diesen Kombinationsfußball unterbinden können. Eine andere Besonderheit, nämlich gute Spieler für wenig Geld einzukaufen, ist den Frei­burgern verlustig gegangen. Horden von Talentspähern sorgen dafür, dass auf der fußballerischen Landkarte keine weißen Flecken mehr existieren. Die jungen Spieler aus der als vor­bild­lich geltenden örtlichen Fußballschule schließlich zeigten sich auf dem Platz als talentiert, aber als zu wenig abgebrüht. Und wenn einer mal beide Eigenschaften mit sich brachte, waren prompt reichere Vereine zu Stelle.

Die sportliche Krise und die sinken­den Zuschauerzahlen bewogen Schatz­meister Heinrich Breit dazu, die finanziellen Folgen eines Abstiegs in die Regionalliga auszurechnen. Kurz zuvor hatte der Realo-Grüne als Sprecher einer Bürger­initiative für die Privatisierung städtischen Wohnraums von sich reden gemacht. Nun legte er Zahlen vor, die den alternden Vereinsvorsitzenden Achim Stocker nach eigenem Bekunden in die »Panik« trieben. Der Vorstand sprach Finke das Vertrauen aus, die Liga zu halten, kündigte jedoch zum Saison­ende seinen Vertrag und verpflichtete einen Nachfolger.

Als in der Rückrunde das Team auf wundersame Weise kaum ein Spiel verlor und plötzlich nicht mehr gegen den Abstieg, sondern um den Aufstieg spielte, formierte sich Unterstützung für den Trainer. Insbesondere dessen Alters- und Milieugenossen befanden, dass wenigstens dieses Projekt eines Achtundsechzigers gerettet werden müsse – zumal es wieder zum Erfolgsprojekt zu werden schien. Und während gegen die drohenden Mittelkürzungen bei anderen, aus bewegten Zeiten stammenden sozialen und kulturellen Projekten am vorletzten Wochenende gerade einmal hundert Menschen demonstrierten, bekannten Tausende im Fußballstadion, sie seien Finke.

Ihm aber muss man dazu raten, den Verein zu verlassen. Er ist für beide Seiten zur Projektionsfläche geworden. Und egal in welcher Liga das Team in der nächsten Saison spielt, kann er nur noch verlieren. Die Zeit und den Raum für seine geduldige Art, eine gute Mannschaft zu formen, wird man ihm hier nicht mehr geben. Sein Traum, mit einer vergleichsweise billigen Mannschaft Fußball auf hohem Niveau zu spielen, war schon immer anachronistisch und nur in seltenen Momenten, in denen es bis zum Einzug in den Uefa-Pokal reichte, erfolgreich. Auch die jüngste Serie bietet keine Garantie für die kommende Saison.

Sein ohnehin beschlossener Abgang böte zudem den Vorteil, dass einige Realitäten in dieser Stadt deutlicher werden könnten. Da ist ein Vorstand, der nichts sehnlicher will als stabile finanzielle Ver­ hältnisse und der die Träume der Fans auf einen »gesicherten Platz im Mittelfeld der Zweiten Liga« gestutzt hat. Und da ist das dumpf­backige »Sieg!«-Gebrülle der »Ultras« – in denen Lokaljournalisten ein hier wohl unbekanntes »neues Prekariat« entdecken –, gegen das der Vorstand bislang nichts ein­zuwenden hatte. Jüngst beschimpften die Ultras ausländische Spieler als »Hurensöhne«.

Mag sein, dass es manche in der alternativen Wohlfühlstadt schmerzt, dass der SC – Solardach hin oder her – ein hundsgewöhnlicher Verein ist, der den­selben Marktgesetzen gehorcht, die den grünen Oberbürgermeister von einem Sparz­wang in den nächsten treiben. Bislang hatte die Persönlichkeit Finkes solche Einsichten verhindert. Wenn er ginge, bliebe die Erkenntnis, dass die von ihm angestrebte Versöhnung der Linken mit dem Fußball doch ein Missverständnis war. Eine Tragödie wäre das nicht.

Christoph Seidler ist Mitarbeiter des Informationszentrums Dritte Welt in Freiburg.