Fundis in Uniform

Die Bewegung gegen die AKP dient weniger der Demokratie, sondern leistet einer autoritären Formierung von Staat und Gesellschaft Vorschub. von sabine küper-büsch, istanbul

Es war ein symbolträchtiger Ort, an dem sich der Ministerpräsident Recep Tay­yip Erdogan und der Generalstabschef Yasar Büyükanit am Freitagabend trafen: im Dolmabahçe-Palast am Bosporus, der letzten Residenz der osmanischen Herrscher. Mitte des 19. Jahrhundert hatte der reformfreudige Sultan Abdülmecid diesen Herrschaftssitz errichten lassen, weil ihm der Topkapi-Palast zu unmodern geworden war, später verbrachte Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk sein letztes Lebensjahr in einem bescheidenen Zimmer des Palastes.

Dieses Treffen war die erste Begegnung der beiden Männer seit dem denkwürdigen Freitag der Vorwoche; jenem Tag, der mit dem von der linkskemalistischen CHP boykottierten ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen begonnen und spätabends mit einer auf der Homepage des Generalstabes verbreiteten Putschdrohung geendet hatte. Die Öffent­lich­keit war nicht über diese Zusammenkunft informiert worden, später war nur zu erfahren, bei dem auf Initiative Erdogans zustande gekommenen Treffen habe es sich um eine »Lagebesprechung« gehandelt.

Zuletzt hatten sich Erdogan und Büyükkanit am 23. April getroffen, dem Unabhängigkeitstag, der als »Tag des Kindes« gefeiert wird. Einem Bericht der linksliberalen Tageszeitung Radikal zufolge soll der Ministerpräsident am Rande eines Empfangs beim amtierenden Präsidenten Ahmet Necdet Sezer dem General mitgeteilt haben, dass er auf seine Kandidatur zugunsten des Außenministers Abdullah Gül verzichten werde, was er am folgenden Tag auch bekannt gab. Ob der Generalstabschef sein Missfallen äußerte, ist nicht bekannt, aber es ist gut möglich, dass er es nicht tat.

Denn auf eine Gelegenheit, sich als Bewahrer des Laizismus aufzuspielen und sich der verhassten Regierung zu entledigen, hatten die Generäle schon lange gewartet. Eigentlich ein durchschaubares Spiel, doch fast die gesamte türkische Öffentlichkeit begrüßte die Einmischung der Armee und feierte diese als stärkste Kraft einer sich um den Laizismus sorgenden modernen Türkei, und selbst ausländische Medien stimmten in diese Lobhudeleien mit ein.

Immerhin schienen die Bilder von weit über einer Million Türken und vor allem Türkinnen, die am 17. April in Ankara und zwei Wochen darauf in Istanbul demonstrierten, diese Sicht zu bestätigen. Zuvor hatten die großen Fernsehsender immer wieder Hayrunisa Gül gezeigt, die kopftuchtragenden Ehefrau des Außenministers, die den Gegnern der AKP zum Symbol von Rückständigkeit schlechthin geworden ist. Diese Verdummbeutelung blieb nicht wirkungslos, selbst der ansonsten recht objektiv berichtende türkische Nachrichtensender NTV beugte sich den Militärs und sendete wieder und wieder Aufnahmen von Kopftuch-Mädchen, die am republikanischen »Tag des Kindes« irgendwo in der Provinz religiöse Lieder sangen – ein vermeintlicher Beweis für die drohende Abkehr von den Prinzipien Atatürks.

Dass dessen Ehefrau Latife bei Reisen in Anatolien häufig zum schicken Reitanzug ein kleidsames Kopftuch trug und darin Hayrunnnisa Gül nicht unähnlich war, schert die sich auf Atatürk berufenden Gegner der AKP herzlich wenig. Ebenso wenig scheint sie zu interessieren, dass die Liberalisierung des rigorosen Kopftuchverbots zu den Forderungen der EU gehört, und dass in keinem Land der EU Frauen der Besuch einer Universität verwehrt wird, weil sie ein Kopftuch tragen.

Wie aber ist es um manche dieser »modernen Frauen« bestellt? Zwar wäre es nicht statthaft, alle Demon­strierenden über einen Kamm zu scheren, aber ein genauer Blick zeigt, dass die Annahme, bei ihnen handele sich um die aufgeklärtesten und demokratischsten Teile der Gesellschaft, zu voreilig sein könnte. Darauf deuten nicht nur die offen nationalistischen, die AKP als »Handlanger des Imperialismus« diffamierenden Parolen, die mindestens ebenso stark zu hören waren wie jene Sprechchöre, die sich sowohl gegen die Sharia als auch gegen einen Putsch aussprachen.

Befremdlich waren auch die Schmährufe gegen armeekritische Medien oder jene Szenen von der Demonstration in Ankara, die der Journalist Halit Karli in der linken Wochenzeitschrift Express beschreibt: Kurz vor dem Mausoleum Atatürks, dem Ziel der Demonstration, beginnen nicht wenige dieser »modernen Frauen« hysterisch »Atam«, »mein Vater«, zu kreischen, was Karli an die Umrundung der Kabaa während der Pilgerfahrt in Mekka erinnert. Dieser Vergleich ist keineswegs nur polemisch, tatsächlich gerinnt der Kemalismus mehr und mehr zu einer autoritären und irrationalen Staatsreligion, die von skrupellosen Generälen instrumentalisiert wird.

Und die spielen auch im zivilen Teil der Opposition gegen die AKP eine zentrale Rolle. So war der »Verein zur Bewahrung des Gedankengutes von Atatürk«, in dem viele pensionierte Offiziere mitmischen, an der Organisation dieser Aufmärsche maßgeblich beteiligt. Der Vereinsvorsitzende Özden Örnek, ein ehemaliger Admiral, geriet im März ins öffentliche Interesse, als das liberale Nachrichtenmagazin Nokta seine mutmaßlichen Tagebücher veröffentlichte. Demnach soll er im Jahr 2004 einen Putsch geplant haben, just zu dem Augenblick, als das Parlament über eine Reihe von Reformen beriet, die die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der EU ermöglichen sollten. Nokta zufolge scheiterten die Putschpläne, weil sie nicht von der gesamten Armeeführung getragen wurden. Nach der Veröffentlichung eines geheimen Dokuments der Militärführung, einer namentlichen Auflistung von armeekritischen und -freundlichen Journalisten, und einer darauf folgenden Durchsuchung der Redaktion hat der Eigentümer beschlossen, nach 25 Jahren das Erschei­nen der Zeitschrift einzustellen. Die Chefredaktion muss sich vor Gericht dafür verantworten, das »Volk gegen die Streitkräfte aufgewiegelt« zu haben.

Die gleiche Klage hat Erdogan am Hals, weil er die Online-Erklärung der Streitkräfte als »Pistolenschuss auf die Demokratie« bezeichnet hatte. Zuvor hatte das Verfassungsgericht einer Klage des Oppositionsführers Deniz Baykal stattgegeben und mit einer tollkühnen Interpretation der Verfassung den ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen für nichtig erklärt. Gül wiederum hat Anzeige gegen Baykal erstattet, weil dieser vor der Entscheidung des Gerichts eine Stunde lang im Fernsehen verkünden durfte, dass es zu einem Krieg kommen werde, falls die Richter die Wahlen nicht annullieren sollten.

Abdullah Gül war der Kompromissvorschlag der AKP. Gemeinsam mit Erdogan hatte er den langjährigen Islamistenführer Necmettin Erbakan entthront, die AKP gegründet und sich daran gemacht, den politischen Islam zu demokratisieren. Er ist ein überzeugter Befürworter eines EU-Beitritts und der einzige in der Partei, der Erdogan öffentlich widerspricht. Dass Gül am Sonn­tag, nach dem zweiten Durchgang, dem weitere, aber kleinere Kundge­bungen im ganzen Land vorausgegangen waren, seine Kan­didatur endgültig zurückgezogen hat – er also nicht wie einst Sezer im dritten Wahlgang mit der einfachen Stimmenmehrheit gewählt werden wird –, verheißt nichts Gutes für die Zukunft der türkischen Demokratie.

Wie es um diese bestellt ist, zeigte in der vorigen Woche auch eine andere Kundgebung, allerdings eine, die weder mit der Unterstützung der Militärs, noch mit der der Regierung rechnen durfte: Mit einer seit langem nicht mehr gesehenen Brutalität prügelten 17 000 Polizisten am 1. Mai eine in letzter Sekunde verbotene Demon­stration auf dem Taksim-Platz in Istanbul auseinander, zu der der linke Gewerkschafts­dachverband Disk aufgerufen hatte.