Muff von 40 Jahren

Den SDS kann man nicht wiederbeleben. Der neue Studierendenverband dient nicht der kritischen Wissenschaft, sondern degradiert diese zum Anhängsel der Linkspartei. von stephan weiland

Frankfurt, Campus Bockenheim, Juni 1969: Der SDS provoziert mit antizionistischen Schmährufen den Abbruch einer Rede des israelischen Botschafters. Kurz darauf sagt Hans-Jürgen Krahl, der führende Theo­retiker des SDS, im Anschluss an eine Solidaritätsreise in den Nahen Osten, ein Besuch in Israel komme erst in Frage, wenn das Land sozialistisch geworden sei. Dieser Antizionismus ist Element des verbandseigenen Antiimperialismus, der auch eine rigorose Feinderklärung an die USA beinhaltet. Zugleich kann der SDS Rudi Dutschkes nationale Schwärmereien ebenso integrieren, wie er die frauenbewegte Kritik an der patriarchalen Trennung von Politik und Privatleben ignorieren kann.

Frankfurt, Campus Bockenheim, Mai 2007: Es kursiert ein Aufruf zur Gründung eines »bun­desweiten, starken linken Studierendenverbandes«, der zumeist von männlichen, altlinken Hoch­schullehrern sowie von den Linkspartei-Granden Oskar Lafontaine und Norman Paech unterstützt wird. Paech hatte einst Micha Brum­lik unterstellt, dessen Verhalten gebe dem Judenhass »neuen Auftrieb«. Die erste Auslandsreise des Verbandes soll nach Venezuela gehen, das als solidaritätswürdig gilt, weil es daran arbeite, den »Einfluss der USA zurückzudrängen«.

Zuvor hatten die Beteiligten sogar darüber diskutiert, ob sie den alten Namen SDS übernehmen. Mitunter scheint es, als habe sich seit 1969 nichts verändert. Doch die Unterschiede zwischen beiden Verbänden sind evident und beschränken sich nicht auf die veränderten Rahmenbedingungen.

Wichtiger ist, dass der alte SDS trotz aller Ressentiments in seinem fortgeschrittensten Kern den Bruch mit dem ganz Falschen suchte. Und jenes falsche Ganze brach mit ihm. So verhängte die SPD bereits im Jahr 1961 einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Einige Jahre später identifizierte Krahl die Sozialdemokratie als »Träger des autoritären Staates«. Gegen »die Zwangs­gewalt von Recht und Staat« brachte er das »Reich der Freiheit, des Friedens und des Glücks« in Anschlag. Wie krude auch immer dieses Reich im Einzelnen buchstabiert wurde – in seiner postulierten Negativität und Unversöhnlichkeit trug es doch utopische Züge. Dieses Glücksversprechen ging nach der Auflösung des SDS zwischen Kaderparteien und Hippiekommunen verloren.

Von dem einstigen utopischen Potenzial hat der neue Zusammenschluss nichts. Er bedient sich nur der anhaltenden Ausstrahlung des SDS-Mythos, während er sich dessen radikalen inhaltlichen Anspruchs entledigt. Der »Kampf gegen den Staat« (Krahl) wird durch die Anrufung des Staates als Partner im Kampf gegen die »neoliberale Hege­monie« ersetzt. Anstatt gegen die par­lamen­tarische Repräsentationslogik die »Or­ganisation eines solidarischen Verkehrs freier Individuen« (Krahl) anzustreben, wird die Sozialdemokratie im Zeitalter ihrer Überflüssigkeit beschworen, mehr noch, wird im Programmentwurf ein Bekenntnis zu den »Grund­sätzen der Partei Die Linke« abgelegt.

Entgegen aller Dementi wird also mit der Neugründung gerade jenes Element, das die studentische gegenüber der orthodoxen und reformistischen Linken auszeichnete, nämlich die unabhängige Selbstorganisation, aufgegeben. Die universitäre Linke wird zum Ideengeber für »innovative« Kampagnen und zum Rekrutierungsbecken für den Parteinachwuchs degradiert. Vielleicht reflektiert sich in dieser Aufgabe der Autonomie zugunsten des Status als Anhängsel eines Parteiapparates auch der Funktionswandel der Akademie.

Während die Massen­universität als teils unreglementiertes Arbeitslosen­zwischenlager die Option auf kritisches Denken und Tun geboten hatte, verunmöglicht ihre gegenwärtige Zurichtung zur elitären Qualifikationsfabrik individuelle Freiräume. Die linke Organisierung im Einheitsverband vollzieht im Kleinen die gesamtgesellschaftliche Elimination von Individua­lität nach. Sie richtet sich an der institutionellen Maschinerie anstatt an den Bedürfnissen der Einzelnen aus.

Wo eine solche Ausrichtung hinführt, zeigt das Verhältnis der Linkspartei zu ihrem Jugendverband, dem das Hochschulnetzwerk angegliedert werden soll. Auf Druck der Parteiführung musste dessen sächsische Sektion im vergangenen Bundestagswahlkampf eine an sich harmlose Kampagne für die Legalisierung von Drogen einstellen. Die junge Abgeordnete Julia Bonk verteidigte dieses Nachgeben mit den Worten: »Rebellion würde die Partei sprengen.« Dem ist nichts hinzuzufügen.