Nazi-Schale, weicher Kern

Paul Verhoevens Weltkriegs-Thriller »Black Book« ist der Film zur Filbinger-Debatte. von jürgen kiontke

Nazis immer besser«, heißt ein Buch des Filmkritikers Dietrich Kuhlbrodt. Darin beschreibt er die Wandlungen, die die Figur Adolf Hitler und seine Jünger im Film von 1945 bis 2006 erfahren ha­ben.

Der Kurs ist klar: Einst Schergen, werden die Nazis zu Kriegsbeteiligten und dann zu Kriegsbetroffenen. Und am Ende weiß man gar nicht mehr, wieso es einen Zweiten Weltkrieg gegeben hat.

Kuhlbrodts Sujet transformiert sich munter weiter. In Paul Verhoevens Thriller »Black Book« wird gar ein waschechter Chef des SD (Sicherheitsdienst) zum guten Menschen.

Dennoch ist »Black Book« nicht einfach Nazi-Propaganda, dafür enthält die Dramaturgie zu viele gegenläufige Tendenzen. Gut gemeint ließe er sich als kompliziertes Intrigenspiel beschreiben. Wenn es nicht leicht bizarr wirkte, könnte man auch sagen: Paul Verhoeven liefert mit »Black Book« den Film zur Filbinger-Debatte.

Verhoevens guter Nazi heißt Ludwig Müntze (Sebastian Koch) und logiert als SS-Führer und SD-Chef in den Niederlanden zum Ende des Kriegs. Ins Zentrum rückt er, weil die jüdi­sche Sängerin Rachel Stein (Carice van Houten) mit einer Gruppe anderer Juden auf einem Boot in den schon befreiten Süden flüchten will.

Die Flüchtlinge werden von einer deutschen Patrouille abgefangen und mit Ausnahme Rachels getötet und ausgeraubt. Gerade noch entkommen, nimmt Rachel Kon­takt zu einer holländischen Wider­stands­gruppe um den Arzt Hans Akker­mans (Thom Hoffman) auf. In deren Auftrag bändelt sie als Ellis de Fries mit Müntze an und wird seine Schreib­kraft. Der Plan, aus dieser Position heraus inhaftierte Nazi-Gegner befreien zu können, schlägt allerdings fehl. Ihre Identität fliegt auf.

Müntze, der sich in sie verliebt hat, glaubt nicht mehr an einen Sieg, wird ­seinerseits Intrigenopfer und als Kollaborateur verhaftet. Un­terhalb der Führungsebene hat sich ein Kreis von Plün­derern etabliert, die nicht fürs Deutsche Reich, sondern zum Privat­vergnü­gen rauben. Mit Hilfe eines hol­ländischen Notars, der genau Buch – das titelgebende »Black Book« – geführt hat über die Vermögensverhältnisse seiner jüdischen Klientel, unterhalten sie eine Tarnorganisation zur Unterstützung flüchtiger Juden, um sie umzubringen und sich deren Hab und Gut anzueignen.

Als Müntze dahinter kommt, versucht er, seinen Mitarbeiter Franken (Waldemar Kobus) mit dieser Be­schul­digung ans Militärgericht zu liefern. Aber Franken ist seinerseits immer einen Schritt voraus und bringt Müntze mit Hilfe des SS-Generals Käutner (Christan Berkel) ins Gefängnis. Ihm und seiner Freundin Ellis/Rachel droht die Liquida­tion, und das, obwohl die Alliierten schon vor der Tür stehen. Mit Akkermans’ Hilfe können die beiden fliehen, werden aber wieder eingefangen – im holländischen Widerstand muss es einen Verräter geben. Für Müntze gibt es selbst nach der Befreiung keine Chance. Die kanadischen Besatzer gestatten die Vollstreckung von Urteilen im Einflussbereich der deutschen Militärgerichtsbarkeit. Wie im Fall Filbinger, der als Marinerichter auch nach der Befreiung durch die Alliierten noch Urteile vollstrecken ließ, wird das Erschießungskommando auch bei Müntze noch aktiv. Rachel setzt sich nach dem Krieg nach Israel ab.

Paul Verhoeven hat lange an diesem Film gebastelt. Als einer der verrücktesten Hollywood-Regisseure, der mit »Basic Instinct« und »Starship Troopers« Maßstäbe in Sachen teuren Trashs setzte, sich Vorwürfe der Pornografie und zügellosen Gewaltdarstellung einhandelte, kehrte er nun nach Europa zurück; große Teile von »Black Book« sind in Potsdam-Babelsberg gedreht worden.

Es sollte ein außergewöhnlicher Welt­kriegs-Thriller werden, in dem Verhoe­ven, der im von den Nazis besetzten Holland aufwuchs, seine Kindheitserfahrungen verarbeitet. »Mit Sex-Appeal und Hochspannung«, wie die Produktionsfirma mitteilt. Hauptdarstellerin Carice van Houten sei nun der neue weib­liche Star des Sharon-Stone-Entdeckers.

Seinen Brachialhumor lässt sich Verhoeven auch in »Black Book« nicht neh­men. In Anspielung auf die berühmte Beineübereinanderschlagsszene von Stone in »Basic Instinct«, in der man für Sekundenbruchteile das blonde Schamhaar der Darstellerin sieht oder auch nicht, lässt er van Houten kosmetische Veränderungen für ihre Rolle als Deutschen-Flittchen vornehmen. Sie färbt ihr Haar blond. Da sie weiß, dass sie mit dem Ober­nazi ins Bett gehen wird, färbt sie nicht nur ihr Kopfhaar. Allerdings ist eine der ersten Bemerkungen Müntzes, als er mit Rachel zugange ist: »Du färbst dein Haar. Es ist schwarz.«

Irgendwann fragt man sich, wofür das alles. Offensichtlich war es ein Anliegen Verhoevens, eine ironische Ge­schich­te auf Basis der Weltkriegsereignisse zu erzählen. Dabei gerät er jedoch schnell in brackiges Wasser.

Denn über allem scheint das Ziel zu stehen, den holländischen Widerstand und die Bevölkerung als stramm antisemitisch darzustellen. Die Widerstands­gruppe traut Juden per se nicht, und damit auch Rachel nicht.

Mit ihren Vorurteilen übertrifft die Gruppe vor allem den SD-Chef bei wei­tem.

Müntze ist ein friedlicher Mann mit gescheiterter Ehe und Faible für Briefmarken. Erstaunlich ist, wie der friedvolle Erdenbürger an seinen Job gekommen ist. Dass ein Sozialdemokrat SD-Chef wird und Rangoberer der SS-Hierarchie, ist denkbar ungenau. Sozial­demokraten saßen unter den Nazis wohl mehrheitlich im Knast – der umgekehrte Fall, dass SS-Männer nach dem Krieg Sozialdemokraten wur­den, dürfte um einiges wahrscheinlicher sein.

Als die Alliierten die Kontrolle übernommen haben, finden Pogrome an Nazi-Kollaborateuren statt. Ihr benehmt euch schlimmer als die Nazis, so versichert glaubwürdig Akkermans. Der, wie sich herausstellt, auf ganz andere Weise mit den Deutschen zusammengearbeitet hat.

Holländer, schlimmes Pack: Verhoeven knüpft hier an frühere Arbeiten seiner Prä-Hollywood-Ära an. 1968 drehte er eine Fernsehdokumentation über den niederländischen Nazi-Führer Anton Mussert, der seine Nationalsozialistische Bewegung (NSB) schon vor dem Krieg begründete. Teile wurden in die SS übernommen. Die Deutschen erklärten ihn zum Führer des niederländischen Volkes. 1945 wurde er in Den Haag wegen Kollaboration hingerichtet.

Auch in dem Spielfilm »Soldat van Oranje« (1978) widmete sich Verhoeven dem Thema. Ebenfalls im Zweiten Welt­krieg angesiedelt, geht es um eine Grup­pe von Studenten, die sich angesichts des Nazi-Einmarsches für oder gegen die Deutschen entscheiden müssen. Wi­derstand oder Kollaboration, das ist die zentrale Entscheidung. Die Holländer, die im Großen und Ganzen der Wehrmacht zujubeln, kamen hier schon denk­bar schlecht weg.

Die Holländer sind die größten Schwei­ne – wollte man eine Tendenz in Verhoevens Film ausmachen, dann wäre es diese. Alles andere, sei es noch so über­dreht, wird diesem Zweck untergeordnet. Das Personal in diesem Film ist zumeist raffgierig und intrigant. Ausgerechnet der Nazi-Chef wird so zum einzigen integren Mann. Dietrich Kuhlbrodt würde sagen: Nazis immer noch besser.

Black Book

(NL / D/ G 2006) Regie: Paul Verhoeven. Buch: Gerard Soeteman. Darsteller: Carice van Houten, Sebastian Koch, Christian Berkel. Start: 10. Mai