Vom Kopf auf die Füße

Ein sozialistischer Hochschulverband könnte die Kluft zwischen wissenschaftlicher Theorie und politischem Engagement schließen helfen. von alex demirovic

Es gibt an vielen Hochschulen Einzelne oder kleine Gruppen, die unzufrieden mit der Lehre, mit der Studiensituation, mit der Reorganisation der Hochschulen oder mit der Einführung von Studiengebühren sind. Diese Menschen und Gruppen gehören zu einer zumeist latent vorhandenen Protestbewegung, die seit Jahren aufflammt und wieder zu verlöschen scheint. Viele dieser Aktiven sehen die Notwendigkeit, eine bundesweite Organisation zu schaffen, die ihre Interessen auf Dauer organisieren und repräsentieren kann. Angesichts des neoliberal-autoritären Umbaus der Hochschulen und der Verschlechterung der Studienbedingungen für viele ist es notwendig, eine dauerhafte hochschulpolitische Diskussion zu führen, um Alternativen zu entwickeln.

Dafür lohnt es sich, einen linken sozialistischen Hochschulverband zu gründen. Er kann solche Bestrebungen unter den Studierenden initiieren und bündeln, ein zeitgemäßes Konzept kritischer Bildung entwickeln und entsprechende Vorschläge für Studienförderung, Hochschulorganisation, Curricula und Wissenschaftsentwicklung ausarbeiten. Er hat vielleicht auch die Kraft, zu einer europäischen Zusammenarbeit linker, sozialistischer Studierender beizutragen, wie es angesichts des europäischen Hochschulraums dringend notwendig wäre.

Die linken Gruppen, die es an vielen Hochschulen gibt, wissen häufig sehr wenig voneinander. Ihre Existenz selbst ist prekär, denn sie sind abhängig von Einzelnen, die die Kenntnisse haben und die Initiative ergreifen. Aufgrund des Mangels an personeller Kontinuität und Wahrnehmung verschwinden diese Gruppen oftmals wieder – und in der nächsten Generation fangen Einzelne wieder von vorne an, sich in Themen einzuarbeiten, sich kundig zu machen, welche Referentinnen und Referenten sie einladen können, wer interessante Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner sind, herauszufinden, welche Zusammenhänge es gibt und welche wichtigen Diskussionen geführt werden müssten.

Kritische Lehre und Forschung zu Alternativen in Ökonomie und Gesellschaft gibt es praktisch nicht, die Studierenden kommen in der Regel mit den Traditionen kritischer Wissenschaft gar nicht oder kaum in Berührung. Es fehlt die Möglichkeit, über das Niveau eines Gesinnungsantikapitalismus hinauszukommen. Viele derer, die unzufrieden mit der Hochschulsituation sind, engagieren sich in anderen Bereichen, in antirassistischen Gruppen, im Umfeld der Gewerkschaften. Aber dies kann eben auch bedeuten, dass es zu einer Abspaltung des gesellschaftspolitischen Engagements von der intellektuellen Kompetenz kommt: hier die richtige und legitime Wissenschaft, die positivistisch verstanden wird, dort das politische Engagement. Dem Engagement entspricht keineswegs eine theoretische Einsicht in die gesellschaftlichen Zusammenhänge. Argumente, empirische Details, Theorien und Autorinnen und Autoren der gesellschaftskritischen Forschung sind vielfach unbekannt.

Neben die Ausbildung im normalwissenschaftlichen Betrieb, der die Unterwerfung unter herrschendes positivistisches Wissen verlangt, tritt eine Art autodidaktische Selbstqualifikation, die der Moral und der kritischen Gesinnung einen Rückhalt geben mag, aber das Unbehagen an den gesellschaftlichen Verhältnissen kaum auf der Höhe theoretischer Debatten rationalisiert. Für das kritische Wissen selbst wird das längerfristig negative Folgen haben. Denn Wissensbestände werden nicht reproduziert und vermittelt, Forschungslinien und Fragestellungen nicht weiter verfolgt.

Ein sozialistischer Studierendenverband könnte angesichts dieser Entwick­lung ein Parallelcurriculum aufbauen und Wissen vermitteln, Kontinuitäten kritischen Wissens herstellen, Themen relevant machen, Studierendenzirkeln bei der Orientierung helfen und als Anlaufstelle für interessierte kritische Studierende dienen. Für die Gründung eines Hochschulverbands, der emanzipatorisch, sozialistisch, feministisch, antirassistisch ist und der der Produktion kritischen Wissens neuen Rückhalt und neue Impulse gibt, spricht vieles.

Sicher, so etwas ist immer prekär: Die Neigung zur Revolutionsphrasen dreschenden Sektiererei, die Verhaftung in historischen Vorbildern, die in mancher Hinsicht inspirierend sind, aber doch den Blick auf das Neue verstellen können, die zu große und unkritische Nähe zur Linkspartei – das alles könnten Gefahren sein. Es wäre zu wünschen, dass sie nur Erscheinungen in der Gründungsphase sind und der Studierendenverband bald seine Autonomie und kritische Objektivität gewinnt.