»Die Kartelle sind moderne Unternehmen geworden«

Eduardo del Valle

13 Jahre ist es her, dass Eduardo del Valle, bekannt als »Der Uhu«, wegen einer ernst zu nehmenden Mord­drohung aus Mexiko in die USA floh. Bald darauf erschien sein Buch »Der zweite Schuss«, das sich mit der Ermordung des Präsident­schafts­kandidaten Luis Colosio und den Verflechtungen der politischen Klasse Mexikos in den Dro­genhandel beschäftigte. Das Buch erschütterte den mexikanischen Staat und brachte viele Politiker in Erklärungsnöte.

Del Val­le war ein Wortführer der mexikanischen 68er-Bewegung und später Abgeordneter der Mexikanischen Arbeiterpartei PMT. Zudem war er als Mitarbeiter der Staatsan­walt­schaft und als Journalist tätig. Er lebt noch heute in den USA und arbeitet als freier Autor und als Kolumnist für die mexikanische Tageszeitung El Universal. Mit ihm sprach Nils Brock.

Sie mussten Mitte der neunziger Jahre nach einer Morddrohung aus Mexiko in die USA fliehen. Haben die »Narcos«, also die mexikanische Drogenmafia, Sie seither in Ruhe gelassen?

Zehn Jahre lang habe ich in Harlingen / Texas gelebt. Bald nach meiner Ankunft bemerkte ich, dass in einem benachbarten Nobelviertel ein Mann wohnte, der, wenn auch auf sehr diskrete Weise, immer von Leibwächtern begleitet wurde. Es handelte sich um einen alten Bekannten, einen der wichtigsten Köpfe des mexikanischen Drogenkartells »Cartel de Golfo«.

Wie reagierte dieser Bekannte auf Sie?

In Harlingen wurden zwei Mordanschläge auf mich verübt. Im Zusammenhang mit einem der Anschläge verhaftete das FBI einen der bekanntesten Auftragsmörder des »Cartel de Golfo«, selbst wenn er später aus formalen Gründen auf Kaution freigelassen wurde. Der zweite Anschlag schlug nur dank eines Zufalls fehl. Einige bewaffnete Kopfgeldjäger wurden vor meinem Haus festgenommen, weil sie auf allzu unvorsichtige Weise mit ihren Sturmgewehren hantierten.

Wie schützt man sich vor solchen Leuten?

Auch wenn es mir nicht leicht fiel, war es un­vermeidlich, mich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Ich habe wie in einem Gefäng­nis gelebt, das ich nur verließ, um meine kleine Tochter zur Schule zu bringen oder verklei­det im Supermarkt einzukaufen. Manch­mal hatte ich »Freigang« in einer nahe gelegenen Bar, wobei mich immer Dutzende Freunde eskortierten. Daneben versuche ich stets, auf dem neuesten Stand zu bleiben, und untersuche seltsame Geschehnisse in der Umgebung. Zuweilen sind es Banalitäten, mit denen sich größere Ereignisse ankündigen.

Sie leben in dem Land, in dem mehr Kokain und Amphetamine konsumiert werden als irgendwo sonst in der Welt. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Drogenpolitik der USA?

Der so genannte Krieg gegen die Drogen, den die US-Regierung führt, ist vor allem ein nützliches Instrument dafür, sich überall einzumischen. Und in den USA selbst führt diese Politik zu ständigen Kon­flikten im Gesundheitswesen, beschleunigt die gesellschaftliche Zerrüttung und begünstigt die Korruption. Wenn man Alkohol, Tabak und medizi­nische Designerdrogen wie Retalin und Prozac legalisiert, sollte man sich bei anderen Drogen ähnlich verhalten.

Wie könnte eine solche Legalisierung aussehen?

Der Regierung der USA unterstehen Institutionen, die große Erfahrungen bei der Herstellung von Drogen haben. Das zeigt zum Beispiel der Beschluss des US-Kongresses zur kontrollierten Nutzung von Opiaten aus den vierziger Jahren. Seither hat man die Methoden zu Herstellung von Opium und Morphium weiterentwickelt. Man weiß genau, wie man gewisse Substanzen lagert und vertreibt. Wenn der Konsum straffrei würde, würde dies die Gewinne drastisch reduzieren, die deshalb exorbitant sind, weil sich Angebot und Nachfrage in der Illegalität organisieren. Dies würde die korrumpierende Macht der multinationalen kriminellen Unternehmen enorm schwächen.

Welche Veränderungen gibt es beim Vertrieb illegaler Drogen?

Die alten Kartelle, die früher von einer Hand voll Männern geleitet wurden, haben sich zu internationalen kriminellen Unternehmen mit hochmodernen Verwaltungssystemen entwickelt. Außerdem bilden die kriminellen Gewinne längst eine einflussreiche Größe im US-amerikanischen Wirtschaftskreislauf. Gibt es ein besseres Mittel, Geld zu waschen, als Schatzanweisungen der USA zu kaufen?

Der mexikanische Präsident Felipe Calderón hat eine militärische, polizeiliche und strafrechtliche Großoffensive gegen die Drogenhändler begonnen. Wie beurteilen Sie die?

Seit der Präsidentschaft von José Lopez Portillo in den siebziger Jahren ist Mexiko ein »Narcostaat«; ein Staat, in dem die Drogenkartelle eng mit den Behörden zusammenarbeiten und sogar Abgeordnete stellen. Politiker, Polizisten und Richter sind Bestandteile der krimi­nellen Machenschaften. Gleich­wohl bewegen sich die großen kriminellen Unternehmen inzwischen außerhalb der staatlichen Kontrolle und befolgen kaum die »Empfehlungen« aus dem Staatsapparat.

Noch bis Anfang der neunziger Jahre kooperierten sie eng mit dem mexikanischen Staat, was unter strikten Regeln erfolgte, vor allem wenn es um die Produktion für den Export in die USA ging. Diese Zeiten sind vorbei, weil der Polizei die »Lizenz zum Töten« entzogen wurde, mit der sie bis dahin auf gewaltsame Weise Dissidenten ausschalten konnte. Heute lebt ein Polizist gefährlicher als ein »Narco«.

Präsident Calderón will künftig noch enger mit der US-Regierung in der Drogenpolitik kooperieren. Was bedeutet das?

Solange es in den USA eine große Nachfrage gibt, wird Mexiko im Geschäft bleiben. Aber der mexikanische Staat antwortet auf diese Realität fast ausschließlich mit juristischen und polizeilichen Mitteln. Dabei wären weiter reichende Maßnahmen nötig, angefangen bei der Gesundheitspolitik über Mechanismen der Strafverfolgung bis zur Arbeitsweise des Geheim­dienstes. In Mexiko sagt man: »Wer nicht alle Scheiße ans Licht bringt, ist dazu verurteilt, sie zu schlucken.« Und der mexikanische Staat hat Jahrzehnte lang seine eigenen Ausscheidungen geschluckt. Für grundlegende Veränderungen bedarf es mehr Transparenz und einer institutionellen und öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Problem.

Das gegenwärtige militärische Vorgehen halten Sie für falsch?

Es wird nur gegen einzelne Zellen des Drogenhandels vorgegangen. Aber wenn schon Repression, dann müsste sie die ökonomischen Strukturen der internationalen Unternehmen angreifen. Einzelne Kapos festzunehmen, genügt nicht, man müsste an das Kapital der kriminellen Unternehmen herankommen, an ihre Helfer und an die, die ihnen politische Protektion gewähren.

Das hört sich nach noch mehr gewaltsamen staatlichen Einsätzen an. So mancher mexikanische Kritiker beklagt bereits jetzt, dass der »Kampf gegen die Drogen« zu einer weiteren Militarisierung des Landes führe.

Solche Entscheidungen sollte keine Regierung unabhängig von der Gesellschaft treffen, sondern die Debatte darum öffentlich führen. Dazu bedarf es mehr politischer Phantasie und einer energischen Reaktion der Gesellschaft selbst. Soziale Ächtung ist vielleicht noch wichtiger als die eigentliche Strafverfolgung. Auch eine geheimdienstliche Erforschung der vielfältigen Tätigkeitsfelder der kriminellen Unternehmen und ihrer Korruptions­praktiken scheint mir unumgänglich.

Auch eine gesellschaftliche Antwort auf den Drogenhandel bedarf also repressiver staatlicher Mittel?

Ja, vor allem was die mit dem Drogenhandel verbundenen Geschäfte wie Waffenschmuggel und Geldwäsche angeht. Aber es muss auch endlich ein bisheriges Tabu angegangen werden, nämlich die Legalisierung von Drogen, vor allem in den USA und in anderen Abnehmerländern. Das wäre zumindest ein Anfang, um dem kriminellen Drogenhandel und dem organisierten Verbrechen etwas entgegenzusetzen.