Ich werde es nicht hassen

Gegen Berlin, für McDonald’s! von melis vardar

Gott hat diesen Ort sicher niemals betreten. Und noch der von Menschenhand geschaffene Fortschritt, insbesondere auch der kulinarische, musste in diese Stadt importiert werden: Die Bouletten brachten die Hugenotten mit, als sie aus Frankreich flüchteten, für die Erfindung der Currywurst mussten die Amerikaner einrücken, und den Döner komplett erfanden türkische Einwanderer. Wo aber bereits Boulette, Currywurst und Döner komplett einen Segen darstellten, muss es zuvor abscheulich zugegangen sein.

So war es auch. Vor diesen kulturimperialistischen Akten ernährte sich der Berliner ausschließlich von Weißkohl und Steckrüben. Und, auch das ist nicht allzu lange her, von seinesgleichen: »Die Vorfahren der Berliner, die Wele­taben oder Wilzen, aßen ihre Eltern noch im 10. Jahrhundert«, schrieb Friedrich Engels. Er war nicht der einzige Feingeist, der gegen die preußische Hauptstadt und ihre Population eine tiefe Abneigung hegte. »Es lebt, wie ich an allen merke, dort ein so verwegener Menschen­schlag beisammen«, meinte Johann Wolfgang Goethe, »daß man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern daß man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muß, um sich über Wasser zu halten.«

Auf Dauer kann ein solches Verhalten nicht folgenlos bleiben, und so verwundert es nicht, dass diese Stadt heitere Rheinländer, höfliche Hanseaten oder melancholische Portugiesen, die das Schicksal hier­her verschlug, eher früher als später zu Berlinern macht, zu Men­schen also, deren größte Geschick­lich­keit darin besteht, wie der große Bran­den­burger Theodor Fontane bemerkte, eine fremde Person auf der Straße anzurempeln und sie mit den Worten »Pass besser uff, Mann!« anzupflaumen; zu vulgären, selbstgefälligen, grobschlächtigen, ewig nölenden und nicht zu vergessen: in jeder Hinsicht geschmacklosen Hausmeisterseelen; zu Zombies, die allenfalls für einen totalen Krieg Leidenschaft aufzubringen vermögen, für erbauliche Konversation aber ebenso wenig zu gebrauchen sind wie für Dienstleistungen.

Nachdem die historische Gelegenheit versäumt ward, dieser zivilisatorischen Verirrung ein Ende zu bereiten (im Mai 1945 hatte ein Kommentator der New York Times mit einem frühen Beitrag zur Hauptstadt- und Mahnmalsdebatte angeregt, Berlin zu evakuieren, um es sodann einzustampfen), muss man jede Einmischung von Außen, jede Klatsche für die »Berliner Schnauze«, jeden Angriff auf den Berliner Charakter dankbar annehmen, selbst wenn er von einer amerikanischen Fastfoodkette geführt wird. Mag diese pappigen Schweinefraß anbieten, der sich geschmacklich kein bisschen von seiner Verpackung unterscheidet, mag sie für die Abholzung des Regenwaldes, die Klima-Erwärmung, die Fettleibigkeit, die Massenverdummung oder andere Gemeinheiten verantwortlich sein, sie kann kein Unheil anrichten, das größer wäre als die Existenz dieser zur Stadt aufgeblasenen Geschmacklosigkeit.

Aber hat Gott nicht wenigstens in Kreuzberg einmal vorbeigeschaut? Auch das ist nicht anzunehmen. Davon zeugen nicht zuletzt jene Unterspezies der Berliner, die in diesem Bezirk beheimatet sind.

Da wären zum einen die anatolischen Bauern, die sich anmaßen, ihre zumeist alkohol­freien Imbisse »Taksim« oder »Bosporus« nennen, ohne das geringste von Istanbul und seinem Lebensgefühl zu ahnen. Zwar zahlt McDonald’s Elendslöhne und unterbindet die Bildung von Betriebsräten, doch darin unterscheidet sich der Konzern mitnichten von den türkischen Imbissbuden. Dafür sind dort die Arbeitszeiten länger, kennt man im Gegensatz zu McDonald’s weder Sozialversicherungen noch Zuschläge für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen, und nicht selten kassiert der Chef die Trinkgelder. Gegen die Konkurrenz der Onkelökonomie mutet McDonald’s noch wie ein sozialdemokratischer Musterbetrieb an.

Da wären zum zweiten jene Kleinbürger, die einst aus dem Sauerländischen oder dem Schwäbischen nach Kreuz­berg zogen, weil sie nicht werden wollten wie ihre Eltern, und die davon überzeugt sind, dieses Ziel erreicht zu haben, weil sie die 150 Gramm Mailänder Salami, die sie im örtlichen Feinkostgeschäft erworben haben, an ihrer Küchenwand ausstellen, als handle es sich dabei um ein Original von Roy Lichtenstein, und die es als Zeichen ihrer Aufmüpfigkeit werten, wenn sie einer hunds­gewöhnlichen liberalen Partei regelmäßig und ganz freiwillig Wahlergebnisse bescheren, vor denen noch die SED vor Neid erblasst wäre. Diesen Leuten einen McDonald’s inmitten ihrer Bioläden, Ökometzgereien und Yogaschulen zu setzen, ist geradezu ein Akt von praktischer Ideologiekritik.

Gott wird wohl nicht im Drive-In vor­fahren. Doch es kann nicht schaden, für alle Fälle einen in der Nähe zu wissen. Gerade in Kreuzberg.