Gut’ Nacht, G 8!

Je weiter Macht und Einflussmöglichkeit der G 8 und der beteiligten Nationalstaaten schwinden, desto mehr Aufmerksamkeit wird den Gipfeltreffen zuteil. von juliane schumacher

Es ist 22 Jahre her, dass der damalige französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing einige ausgewählte Gäste, nämlich seinen US-amerikanischen Amtskollegen, den deutschen Bundeskanzler sowie den britischen, den italienischen und den japanischen Ministerpräsidenten ins Schloss Rambouillet im gleichnamigen Ort 50 Kilometer südwestlich von Paris lud. Die Öffentlichkeit nahm von dem Treffen kaum Notiz, und das abgelegene Schloss gewährleistete eine diskrete Atmosphäre für die zweitägigen Gespräche. Es war die Geburtsstunde der Gruppe der Sechs, die mit der Aufnahme Kanadas im Jahr darauf und Russlands im Jahr 1998 zur Gruppe der Acht wurde.

20 Jahre später, bei der bislang letzten Zusammenkunft der G 8 im Juli 2005 im schottischen Hochland, hatten sich nicht nur die Welt, sondern ebenso die Bedingungen des Treffens vollkommen gewandelt. Außer den Staats- und Regierungschefs, die sich in einem Golfhotel in Glen­eagles trafen, war ein Stab von insgesamt 15 000 Übersetzern, Mitarbeitern und Beratern mitgereist, die die Hotels von Glasgow und Edinburgh füllten. Rund 3 000 Journalisten berichteten vom Ort des Geschehens, über 10 000 Polizisten waren im Einsatz. Hunderttausende demonstrierten in Edinburgh, Protestierende blockierten am ersten Gipfeltag die Straßen der Region.

Aus den zurückgezogenen Arbeits- und Koordinationstreffen sind gewaltige Medienspektakel geworden, die von Protesten und Kampagnen begleitet werden. Doch zeigt sich darin ein Machtgewinn der G 8? Die realen Einflussmöglichkeiten der acht Staaten sprechen eher für das Gegenteil. Die Geschichte der G 8 war von Anfang an auch eine Geschichte des Verlustes an institutionalisierter Macht – und des Versuchs, sie auf anderen Ebenen zurückzugewinnen.

Formal besitzen die G 8 keine Macht. Sie können weder Gesetze erlassen noch Urteile sprechen. Einfluss müssen sie demnach über andere Wege nehmen: konkret und sichtbar über die beteiligten Nationalstaaten und über internationale Organisationen; diffus, doch nicht weniger wirksam, über die Inszenierung ihrer Treffen. Und je mehr den acht Staaten ihre reale Entscheidungsgewalt verloren ging, desto mehr wurde der Gehalt der Gipfel auf die Ebene des Symbolischen verlagert.

Das Treffen von 1975 fand in einer Situation statt, in der der Fordismus in die Krise zu geraten begann – was sich unter anderem im Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems zeigte, also des Systems, in dem die Wechselkurse fest waren und der goldhinterlegte US-Dollar als Leitwährung diente. Hinzu kam eine Verschiebung in den internationalen Machtverhältnissen, die sich etwa in der Ölkrise von 1973 offenbarte. Die Regierungen der großen westlichen Staaten standen politisch wie wirtschaftlich unter Druck, und insbesondere in der Wirtschaft verloren sie allmählich Einfluss.

In der Form der regelmäßigen und informellen Treffen gelang es den G 7 für eine gewisse Zeit, ihre Macht in den neu geordneten Verhältnissen zu verteidigen. In dem Maße, in dem die internationalen (Finanz-)Institutionen an Bedeutung gewannen, erhöhten die G 7-Staaten durch ihre Absprachen untereinander ihren Einfluss in diesen Gremien. Über ihre Stimmenanteile bestimmten die G 8 in den achtziger Jahren maßgeblich die Po­litik des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank – und trieben über Strukturanpassungsmaßnahmen den neoliberalen Umbau der Länder des Südens voran.

Eine solche Politik bedarf der Einmütigkeit, die immer wieder von neuem hergestellt werden muss. Die Treffen der G8 sind ein Forum, in dem interne Konflikte bearbeitet werden. Denn die G 8 sind alles andere als homogen, sie sind von Widersprüchen und Gegensätzen gekennzeichnet. Auch innerhalb der G 8 herrscht ein Ungleichgewicht, die Staaten sind nicht nur Partner, sondern ebenso Konkurrenten, und sie müssen auch innenpolitische Bedürfnisse befriedigen.

Einvernehmen muss indes nicht bedeuten, einen Konsens herzustellen – ebenso kann es bedeuten, Themen auszusparen, wo eine Einigung nicht möglich erscheint. So sprechen sich die G 8 für Demokratie aus, während die Lage der Menschenrechte im Mitgliedsstaat Russland auf keiner Tagesordnung eines ihrer Treffen erscheint. Um handlungsfähig zu sein, reicht es den G 8, die gemeinsamen Interessen zu betonen und einträchtig aufzutreten.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gelang es den G 8 in den neunziger Jahren, sich als effizientes Forum für globale Fragen zu etablieren. Doch das Zelebrieren der Macht, das seither zu den Gipfeln gehört, konnte es nicht verhindern, dass nicht nur die Mitgliedsstaaten in den vergangenen Jahren an Einfluss eingebüßt haben, sondern auch die G 8 als eines ihrer Koordinierungsgremien. Das weltwirtschaftliche Gefüge, in das National­ökonomien eingebunden sind, ist zu komplex für einfache Lösungen, transnationale Konzerne agieren über die Grenzen der Staaten und ihrer Einflussbereiche hinweg, die internationalen Institutionen, an deren Aufbau die G 8-Mitgliedsstaaten beteiligt waren, haben sich verselbständigt, und aufstrebende Schwellenländer fordern ihren Anteil an der Macht.

Diese Entwicklung können die G 8 nicht ignorieren. Im vergangenen Jahr schlug der britische Premierminister Tony Blair vor, China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika in die Gruppe der Acht aufzunehmen. Die G 13 würden dem Bild eines globalen Koordinationsgremiums näher kommen als die gegenwärtigen G 8 – zugleich wäre es weitaus schwieriger, aus den unterschiedlichen Interessen und Politikstilen ein gemeinsames Auftreten zu formen. Jüngst hat Angela Merkel den britischen Vorschlag zurückgewiesen, die fünf Schwellenländer werden weiterhin nur zum outreach geladen, zum Treffen mit Nicht-G 8-Staaten. Die G 8 bleiben vorerst die Interessenvertretung des Nordens.

Doch das ändert nichts daran, dass die Gruppe der Acht zu einem Akteur unter mehreren zu werden droht, zu einem Block innerhalb der Konkurrenz der Blöcke. In einer anderen Hinsicht aber steht sie auf der Höhe der Zeit: Ihre symbolische Präsenz als »Weltregierung« sichert ihren Stand auf der Weltbühne und verschafft der herrschenden Politik Legitimation.

In den vergangenen Jahren ist vor allem in den westlichen Staaten die Verunsicherung in der Gesellschaft gewachsen. Die »Umstrukturierungen« des Arbeitsmarkts und der Sozialsysteme haben bestehende Sicherheiten abgeschafft, die Angst vor der Zukunft wächst. Die Globalisierung wird als ebenso unaufhaltsam wie unkontrollierbar empfunden.

Die Gipfelspektakel sind eine Antwort auf diese Ängste in der Gesellschaft. Die G 8 demonstrieren Gestaltungsmacht, wo die Menschen sich in einem überkomplexen, alternativlosen System gefangen sehen. Sie zeigen Großherzigkeit, wo immer mehr Verlierer sichtbar werden. Sie verkörpern Sicherheit, wo die Menschen immer mehr Angst vor dem Absturz haben. »Die da oben« nehmen sich der Probleme der Welt an oder tun zumindest so. Die G 8-Staaten führen aus, was das herrschende Politikverständnis fordert: Sie spielen die Rolle einer »Weltregierung«, einer Gruppe erfahrener Staatsmänner und -frauen, die in einer immer unübersichtlicheren Welt den Überblick behalten – damit bloß niemand merkt, dass sie in Wirklichkeit immer weniger zu bestimmen haben.