Vor dem Zaun

Friedlicher und unfriedlicher Protest von benjamin rosenheim

»Das Rebellieren«, sagt Jan zu Jule in »Die fetten Jahre sind vorbei«, »ist schwieriger geworden.« Dass Jan und Jule und Peter nicht sonderlich viel einfällt, dass sie von einer unüberlegten Handlung in die andere stolpern, das teilen sie mit den meisten Linken, ihren Medien (auch diesem) und ihren Politgruppen. Auch vor Heiligendamm.

Was fangen sie an mit dem Satz der Bundes­kanzlerin, den ihr Attac ins Manuskript redigiert haben könnte: »Gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs der G 8-Länder und der wichtigsten Schwellenländer wollen wir der Globalisierung ein menschliches Gesicht geben«? Natürlich das Klügste tun, was sie tun können: die Aufrichtigkeit bezweifeln. Aber dann? Die Scheiben klirren lassen, Farbbeutel werfen und Autos abfackeln? Wie die MG zum Beispiel?

Frau Merkel hat sich in Samara so trotzig wie mutig gegen die schlechten politischen Manieren ihres G 8-Kollegen Putin gewehrt, als sie das Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigte. Und sie hat dies in ihrer Regierungserklärung zum Weltwirtschaftsgipfel noch einmal wiederholt. Der Protest müsse jedoch friedlich sein und sich »an der Sache orientieren«. Freilich, was ist friedlich, und was ist es nicht? Und wer bestimmt, was Sache ist? Die politische Klasse, der Innen­minister? Hat er Frau Merkels Forderung vor dem Bundestag etwa falsch verstanden, man müsse »Globalisierung politisch gestalten«? Ist er ein Dilettant? Dreht er durch?

Nein, natürlich nicht. Er macht seine Sache gut. Soziale, politische Konflikte im Globalisierungsprozess müssen frühzeitig reguliert werden. Dazu bedarf es der Modernisierung eines antiquierten Grundgesetzes und selbst der schon restriktiven Strafprozessordnung. Und dafür braucht man einen, der »legal« und »illegal« flexibel interpretieren kann. Einen, der in der Parteispendenaffäre bewiesen hat, wie sich gesetzliche Bestimmungen überwinden lassen. Die ordnungspolitischen Maßnahmen, sagt Herr Schäuble und frisst Kreide, hätten nichts zu tun mit den Protesten gegen den G 8-Gipfel. Das ist nicht mal ganz gelogen. Auch wenn sich noch nicht alles durchsetzen lässt, was wünschenswert wäre, der Mann denkt voraus.

Was soll also die Mutprobe der Kanzlerin in Samara, die sagte, ihr fehle jedes Verständnis, wenn gegen Demonstranten eingeschritten werde, die sich erst auf dem Weg zu ihrem Protest befänden? Veranstaltet ihr Innen­minis­ter nicht auch Razzien vor dem Protest in Heiligendamm, schränkt er nicht das Demonstrationsrecht ein, lässt er nicht an der Unterwäsche schnüffeln, Post kontrollieren und in Internet-Cafés und Drogeriemärkten die Überwachung proben? Die Aufregung vieler Medien, das alles erinnere an die Stasi, sind geheuchelt. Ihnen sind nur Herrn Schäubles Manieren peinlich, sie hätten lieber einen, der nicht mit den Fingern isst, sondern wie sie oder Frau Merkel das Besteck vorzieht.

Auch die Aktionen der MG sind bisher nicht besonders manierlich gewesen. Aber sie hat mit kritisierbaren Mitteln auf die einfache Tat­sache aufmerksam gemacht, dass Staat und Kapitalismus zusammengehören. Diese Einsicht haben die Militanten denjenigen Globalisierungsgegnern voraus, die sich damit begnügen, einen »handlungsfähigen, umverteilenden Staat« (Attac) zu fordern, und dabei ignorieren, dass eben dieser Staat, wenn auch deklassiert, unter den Bedingungen der Globalisierung die politische organisierende Form der kapitalistischen Produktionsverhältnisse bleibt.

Die No Globals, die sich »an der Sache orien­tieren« wollen, dem Kapitalismus zum Beispiel, die MG und wir alle sollten klüger sein und phantasievoller als bisher, denn das Rebellieren ist in der Tat schwieriger geworden, aber immer noch gerechtfertigt.

Sogar schwer gerechtfertigt.