Kein bisschen Frieden

Das Vorgehen der PKK erleichtert es dem türkischen Generalstab, ein militärisches Eingreifen in den ­kurdischen Gebieten zu forcieren. Ein Weg direkt in die Katastrophe. von ömer erzeren, istanbul

Eine Welle des Nationalismus hat quer durch alle politischen Fraktionen die Türkei erfasst. Schon heute ist klar, dass im Wahlkampf zu den vorgezogenen Parlamentswahlen am 22. Juli alle großen Parteien versuchen werden, mit nationalistischer Programmatik einen Erfolg zu erzielen. Auch die Wahrscheinlichkeit türkischer Militäroperationen jenseits der Grenzen im kurdischen Nordirak steigt von Tag zu Tag. Der Gang der Ereignisse, die Rezeption in den türkischen Medien und die Erklärungen von Generälen und Politikern haben eine militaristische Stimmung geschaffen, der sich nur wenige entziehen können.

Jede Woche sterben Soldaten in den kurdischen Gebieten des Landes, entweder in Gefechten mit Kämpfern der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) oder durch Minen, die von PKK-Guerilleros gelegt wurden. Die Staatsbegräbnisse der Soldaten in ihren Herkunftsorten verwandeln sich stets in große Demonstrationen gegen die PKK. Der Bombenanschlag auf ein belebtes Geschäftszentrum in Ankara am 22. Mai, dem sechs Menschen zum Opfer fielen, hat die Stimmung noch aufgeheizt. Vieles deutet auf die Urheberschaft der PKK, die zwar die Verantwortung ablehnt, aber kurz zuvor ihren »Waffenstillstand« aufkündigte. Immer wieder wird bei Razzien Plastiksprengstoff in Händen von PKK-Militanten, die in Großstädten Anschläge planen, sichergestellt. Als Herkunftsort des Plastiksprengstoffs verweisen die Militärs auf den kurdischen Nordirak. Dort unterhält die PKK Lager, von welchen aus die Guerilleros auch in türkisches Staatsterritorium eindringen.

Solche Zustände erleichtern es den Militärs, die konservative Regierung Tayyip Erdogans, die ihnen ohnehin ein Dorn im Auge ist, fortwährend zu kritisieren. Ihr Ziel ist es, die Erfolglosigkeit der Regierung in der so genannten Terrorismusbekämpfung zu thematisieren. Schon vor einem Monat sprach Generalstabschef Yasar Büyükanit davon, dass die Armee für Militäroperationen im Nordirak bereitstehe. Doch es bedürfe des politischen Willens. Wenn Büyükanit davon spricht, dass derjenige, der »Terroristen hilft, selbst ein Terrorist ist«, ist dies unmittelbar auf den Vorsitzenden der Kurdisch-Demokratischen Partei, Massoud Barzani, und die Regierung der Autonomen Region Kurdistan gemünzt.

Der kurdische Norden gehört zum sichersten Teil des Irak. Die US-Truppen sind aus dem Gebiet weitgehend abgezogen worden. Innerhalb von wenigen Jahren haben es die Kurden fernab des Chaos in Bagdad geschafft, ihre Geschicke in die eigene Hand zu nehmen. Das kurdische Gebiet hat ein eigenes Parlament, eine eigene Regierung und eine eigene Währung. Die Wirtschaft boomt, auch zahlreiche türkische Firmen treiben hier Geschäfte. Ein militärisches Vor­gehen der irakischen Kurden gegen die PKK-Lager, wie es die Türkei fordert, würde die Lage in der Region destabilisieren und zu einem Konflikt führen, dessen Folgen nicht absehbar sind. Hinzu kommt, dass die PKK keineswegs als ein Fremdkörper begriffen wird. Auch irakische Kurden haben sich politisch der PKK angeschlos­sen. Über Monate hinweg hat die Türkei die US-Amerikaner, die Zentralregierung in Bagdad und die irakischen Kurden aufgefordert, gegen die PKK-Lager vorzugehen.

Zwei Tage vor dem Bombenanschlag in Ankara hat die Regierung den Sonderbeauftragten für Terrorismusbekämp­fung abgesetzt, den pensionierten General Edip Baser. Seit Monaten drängen die türkischen Generäle auf Militäroperationen gegen PKK-Lager im Norden des Irak. Die Amerikaner, zu deren engsten Verbündeten die irakischen Kurden zählen, wiegeln ab. Basers Aufgabe lag darin, mit dem amerikanischen Sonderbeauftragten, General Joseph Ralston, gemeinsame Strategien zu entwickeln. Vor seiner Amtsenthebung gestand Baser öffentlich sein Scheitern ein.

»Ich schaue mir einige Verbündete an. Sie sehen nur extremistische religiöse Gruppen als Terroristen an. Aber auch der ethnisch-nationalistische Terror ist eine Gefahr«, meinte Generalstabschef Büyükanit jüngst auf einem Sicherheitssymposium. Prominente pensionierte Militärs stellen öffentlich das Bündnis mit den USA und die Nato-Mitgliedschaft in Frage.

Ungeheures ereignete sich vergangene Woche. Auf der Web-Seite des Generalstabes wurde die Verletzung des türkischen Luftraums durch US-amerikanische F-16-Militärflugzeuge gebrandmarkt. Ein nicht besonders freundlicher Akt unter Verbündeten, der schließlich zu einer offiziellen Protestnote der Regierung und zu einer Entschuldigung der Amerikaner führte. In normalen Zeiten würde kein Mensch davon Wind bekommen, dass zwei US-Flugzeuge wenige Minuten im türkischen Luftraum waren. Doch angetrieben von den Militärs, fügt sich die Regierung den Forderungen der Einpeitscher.

Doch die PKK-Lager im Nordirak sind wohl nur Anlass der Aufregung. Seit 1988 hat es unzählige Militäroperationen der türkischen Armee im Nordirak gegeben. Politischen Erfolg gegen die PKK zeitigten diese Militäroperationen jedoch nicht. So geht es den Falken im türkischen Generalstab vor allem auch darum, dass sich die Autonome Region Kurdistan mehr und mehr von Bagdad abkoppelt. Sie sehnen sich nach den alten Zeiten eines starken irakischen Zentralstaats. Der Krieg der Amerikaner und der Sturz des Saddam-Regimes haben ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Ein selbständiges Kurdistan oder gar ein eigener kurdischer Staat im Norden des Irak schreckt die türkischen Militärs, weil die Türkei bis heute keine überzeugende politische Antwort auf den kurdischen Konflikt im eigenen Land gefunden hat. Nach der Entführung und Verurteilung des PKK-Führers Abdullah Öcalan im Jahr 1999 hingen die Herrschenden in der Türkei dem Irrglauben an, die PKK sei politisch erledigt. Trotz einiger Reformen auf dem Papier hat sich grundlegend an der Situation in den kurdischen Gebieten nichts geändert. Radikale Schritte der Aussöhnung, wie zum Beispiel eine Generalamnestie für PKK-Guerilleros, blieben aus. Mit Repression versuchte man, die politische Stimme der Kurden, die sich in der DTP (Partei der demokratischen Gesellschaft) organisierten, klein zu kriegen.

Auch unter der Regierung Erdogan wurde Politik unter völliger Ausgrenzung der Kurden betrieben. Unter Kurdenpolitik wurden Vollmachten für das Militär verstanden. Prozesse gegen unliebsame Funktionäre der DTP sind normal. Die Zehn-Prozent-Hürde bei Parlamentswahlen, deren undemokratischen Charakter keine Partei anzweifelt, wird nur deshalb beibehalten, weil die DTP landesweit auf sechs Prozent der Stimmen kommt. In den kurdischen Regionen erhält die Partei teils über 50 Prozent der Stimmen. Angesichts der Sympathien vieler DTP-Wähler für die PKK müssen solche Ergebnisse als ein vernichtendes Urteil für die Kurdenpolitik des Staats gewertet werden. Um die Zehn-Prozent-Hürde zu umgehen, werden bei den Wahlen am 22. Juli unabhängige kurdische Kandidaten, die der DTP verbunden sind, antreten und mit großer Wahrscheinlichkeit auch ins Parlament einziehen.

Doch angesichts der nationalistischen Hysterie werden sie einen schweren Stand haben. Auch angesichts eines militärischen Eingreifens im irakischen Kurdengebiet steuern Militaristen das Land schnurstracks auf die Katastrophe zu. Der Frieden scheint so fern wie noch nie.