Sehr deutsche Kollegen

Die NPD will sich mehr um die Arbeiterschaft kümmern. Studien zeigen, dass diese für rechtsextreme Propaganda anfällig ist. von andreas speit

Die niedersächsische NPD will wieder mal den öffentlichen Raum erobern. Am Freitag will sie einen Infostand auf dem Hollerplatz in Wolfsburg errichten und dort Flugblätter verteilen. »Der Antrag liegt vor«, bestätigt die Sprecherin der Stadt, Elke Kallwies. Ganze drei Stunden soll die Aktion dauern. An die zehn Helfer der NPD erwartet Andreas Molau, der Spitzenkandidat der Partei für die Landtagswahl 2008.

Er will bei der Aktion die »sozialpolitischen Forderungen« seiner Partei verbreiten. In der Stadt, in der die Volkswagen AG (VW) ihren Stammsitz hat, will die NPD sich als »wahre« Vertreterin des »einfachen Arbeiters«, der »kleinen Angestellten« und der Hartz-IV-Empfänger präsentieren. Vor dem VW-Werk in Salzgitter-Bedingen hat sie nach eigenen Angaben bereits Flugblätter mit dem Motto »Sozial statt profitabel« verteilt.

Auf dem jüngsten Landesparteitag Mitte April in Scharzfeld beschloss die Partei, bei der Wahl den Arbeitsplatzabbau bei VW zu einem ihrer zentralen Wahlkampfthemen zu machen. »Mit Themenflugblättern haben wir schon jetzt etwa auf die drohende Arbeitsplatzvernichtung bei VW in Braun­schweig, Wolfsburg und Emden hingewiesen«, sagte Molau. In der Region zwischen Braunschweig und Wolfsburg griff die NPD in kleinen Broschüren die »Korruption bei VW« auf. Der Stellenabbau und die Skandale um etwaige »Lustreisen« erleichtern es den Rechtsextremen, den Vorstand, den Betriebsrat und die Gewerkschaften anzugreifen.

Mit solchen Themen will die Partei den Zuspruch der Arbeiterschaft gewinnen. Dass deutsche Arbeiter und sogar Gewerkschafter anfällig für die rechtsextreme Propaganda sind, legen mehrere Studien über rechte Ressentiments in den Einzelgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) dar. Eine Untersuchung mit dem Titel »Gewerkschaften und Rechtsextremismus«, verfasst von Bodo Zeuner, Jochen Gester, Michael Fichter, Joachim Kreis und Richard Stöss, zeigte im Jahr 2005, dass »19 Prozent der gewerkschaftlich Organisierten und 20 Prozent der Unorganisierten rechtsextrem eingestellt sind«. Im April 2003 hatten die Forscher eine repräsentative Befragung unter rund 4 000 Gewerkschaftern und Nichtgewerkschaftern durchgeführt, die sie im Jahr 2004 durch eine weitere Befragung und Gruppengespräche erweiterten.

Bereits im Jahr 2000 stellte eine Studie von Richard Stöss fest, dass 17 Prozent der Mitglieder und 11 Prozent der Nichtmitglieder der Meinung seien, »Ausländer sollten so schnell wie möglich Deutschland verlassen«. 35 Prozent der Mitglieder und 39 Prozent der Nichtmitglieder meinten damals: »Bei der Einstellung von Arbeitskräften sollten Deutsche grundsätzlich vorgezogen werden.« Die »Kommission Rechts­ex­tre­mismus« beim DGB-Vorstand drängte daraufhin gewerkschaftliche Initiativen, mehr Bildungsarbeit zu Rassismus und Rechtsextremismus zu betreiben. Bereits 1999 betonte die Kommission, dass der Rechtsextremismus kein externes Phänomen sei. Die Behauptung, dass Gewerkschafter grundsätzlich nicht rechtsextrem seien, konnte nicht mehr aufrechterhalten werden.

In den Gewerkschaften spiegele sich die Verfasstheit der Gesellschaft wieder, meinte die Kommission damals. Genau diese Annahme aber stellten die Sozialwissenschaftler um Zeuner infrage. Sie stellten fest, dass sich 18 Prozent der Mitglieder und 20 Prozent der Nichtmitglieder »einen Führer« wünschen, »der Deutschland mit starker Hand regiert«. 23 bzw. 26 Prozent denken, dass »durch die vielen Ausländer« Deutschland »in einem gefährlichen Maß überfremdet« sei. Wiederum 23 Prozent der Mitglieder glauben, dass »Juden mehr als andere Menschen mit üblen Tricks arbeiten«.

»Schockiert« war Zeuner, wie er der Jungle World sagte, dass 30 Prozent der Gewerkschafter dem Satz zustimmten: »Es gehört zu den Aufgaben der Gewerkschaften, Arbeitsplätze in erster Linie für Deutsche zu verteidigen.« Die Studie kam zu dem Schluss, dass der »Kern der Gewerkschaftsbasis wie die Stammbelegschaft in Großbetrieben« anfällig für den Rechtsextremismus seien. Alarmierend sei außerdem, dass auch die Funktionäre »überdurchschnittlich anfällig für rechtsextremes Denken sind«, nämlich 22 Prozent.

Als Ursache für diese Entwicklung machen die Forscher aus, dass Funk­tionäre und Betriebsräte sich als Gewinner einer erfolgreichen Tarif- und Arbeitspolitik und Nutznießer der wirtschaftlichen Prosperität begreifen. Doch Globalisierung und Deregulierung erschüttern dieses Selbstbild ebenso wie das Erleben der Demontage der erkämpften Rechte und der sozialen Absicherungen.

Diese Verluste und Niederlagen, so meint Zeuner, führten bei »Teilen der organisierten Mittelschicht« dazu, »ihre Schutzbedürfnisse nur durch eine nationalistische und ethnozentristische Politik gewährleistet zu sehen«. In doppelter Hinsicht entwickelten sie große Ängste: »Als Arbeitnehmer droht ihnen das Schicksal von sozialen Verlierern, als Gewerkschaftsmitglieder droht ihnen das Schick­sal von politischen Verlierern.« Um den Rechtsextremismus, nicht nur in den eigenen Reihen, abzuwehren, müssten sich die Gewerkschaften »deutlich als Wertegemeinschaft« definieren, die für soziale Rechte für alle Menschen eintritt.

Der DGB in Norddeutschland hat seit dem vergangenen Jahr seine Auseinandersetzungen mit dem Rechtsextremismus verstärkt. Es werden Schulungen abgehalten, um den Gewerkschaftern zu vermitteln, wie in den Betrieben auf rechtsextreme Parolen geantwortet werden kann. Manchem Gewerkschafter sind nationalistische Standortsprüche und das Heuschreckengeschrei längst unangenehm. Bei VW, so versichert Willi Dörr, Sprecher der IG Metall in Wolfsburg, könne sich die NPD auf »kreative Gegenwehr« einstellen.

Nach den Ankündigungen auf dem Parteitag der NPD warnten Vertrauensleute bei VW die Kollegen. Zum Ärger der NPD. Auf der Internetseite des Landesverbandes berichtet Michael, angeblich VW-Mitarbeiter und NPD-Mitglied, dass die Vertrauensleute »schon zu uns geschickt« worden seien und angekündigt hätten, »das mit den Flugblättern« zu unterbinden. Die Reaktion der Kollegen auf das Flugblatt der NPD sei aber »absolut positiv« gewesen. »Das Verrückte ist«, so schreibt Michael, »viele sind noch viel radikaler als ich, wenn es zum Beispiel um Ausländer geht.«