Ein Robocop beginnt zu plaudern

Der oberste Polizeichef Italiens wurde abgesetzt, weil ihm Anstiftung zur Falschaussage wegen der Polizeigewalt beim G8-Gipfel in Genua vorgeworfen wird. von jens herrmann

Der Wechsel war lange geplant, kam dann jedoch unerwartet schnell. Während Gianfranco De Gennaro, der oberste Polizeichef Italiens, in einer Pressekonferenz noch den neuen Kriminalitätsbericht vorstellte, gab Ministerpräsident Romano Prodi seine Absetzung bekannt.

Der Anlass für Gennaros plötzlichen Abgang im Juni waren Ermittlungen der Genueser Staats­anwaltschaft gegen ihn wegen eines Prozesses zum G8-Gipfel im Juli 2001. Er soll Kollegen da­zu angehalten haben, falsche Aussagen zum Polizeiangriff auf die von Demonstranten als Übernach­tungsstätte genutzte Diaz-Schule zu machen. In der vergangenen Woche musste der ehemalige Polizeichef sich sogar einer vierstündigen Vernehmung der Staatsanwaltschaft unterziehen.

Seit April 2005 stehen in Genua 29 zum Teil höchstrangige Polizisten wegen ihres unrechtmäßigen und brutalen Vorgehens in der Diaz-Schule vor Gericht. Erst Mitte Juni, fast sechs Jahre nach den Ereignissen, brach Michelangelo Fournier, Vizechef eines römischen Spezialkommandos, vor Gericht das Schweigen der Angeklagten über die Polizeigewalt.

In Wirklichkeit sei die Aktion »eine blindwütige Prügelei« gewesen, die »nur von einer Seite ausging«: der Polizei. Was sich in der Nacht vom 21. auf den 22. Juli 2001 dort abspielte, sei »ein Gemetzel« gewesen. Fournier gab damit zu, was die 93 G8-Gegner aus der Schule, unter ihnen 40 Deutsche, in Zeugenaussagen berichtet hatten. 81 von ihnen waren bei der Polizeirazzia verletzt worden, drei schwebten gar in Lebensgefahr, als Sanitäter sie aus dem Schulgebäude trugen.

Nachdem die Verteidiger der Polizisten Anfang Juli auch noch Telefonmitschnitte an die Medien gaben, die belegen sollten, dass in der Schule militante Anhänger des Black Block gewesen seien, ist in Italien erneut ein großes Medienspektakel um den G8-Gipfel des Jahres 2001 entbrannt. Es stellte sich schnell heraus, dass die vermeintlichen Beweise in gar keinem Zusammenhang mit dem Überfall auf die Schule standen.

Der Rechtshilfezusammenschluss Genova Legal Forum (GLF), der die Nebenkläger in den Verfahren gegen die Polizei vertritt, entschied sich daraufhin, alle Polizei-Telefonmitschnitte an die Zeitung La Repubblica zu geben, die sie im Internet veröffentlichte. Zu hören ist dort auch für die Polizei sehr Unschönes, wie etwa das Telefonat zweier Polizisten, die sich nach dem Tod des Demonstranten Carlo Giuliani und dem Überfall auf die Diaz-Schule darüber freuten, dass es nun »1:0 für die Polizei« stehe.

Der vermeintlich reuige Polizist Fournier hat sein sechsjähriges Schweigen vor Gericht mit der Solidarität mit seinen Kollegen begründet. Doch er verfolgt vor allem eigene Interessen, wenn er nun erklärt, seine Einheit sei nicht verantwortlich für die Gewaltexzesse. Nur vier prügelnde Polizisten ihm unbekannter Polizeieinheiten will er im ersten Stock des Gebäudes gesehen haben. Obwohl sie nicht zu seiner Truppe gehörten, habe er ihrem Treiben Einhalt geboten. Die Opfer der Polizei hatten dagegen von mehr als 20 Schlägern berichtet und übereinstimmend Fourniers Einheit erkannt. Eine deutsche Zeugin, die ebenfalls im ersten Stock war, ist sich sicher, dass es nicht Fournier war, der die Polizisten stoppte.

Im Januar war bekannt geworden, dass zwei Molotow-Cocktails, die angeblich in der Diaz-Schule gefunden wurden, aus der Asservatenkammer der Polizei verschwunden sind. Schon zu Anfang der Ermittlungen war aufgeflogen, dass die Polizisten sie selbst in die Schule gebracht hatten. Auch Gennaro ist durch die »Molotow-Affäre« ins Visier der Justiz geraten. Telefonprotokolle haben den Verdacht erregt, dass Genuas oberster Polizist Francesco Colucci von Gennaro dazu angestiftet wurde, die Schuld für die Panne mit den Molotow-Cocktails dem Po­lizeichef von Bologna, Lorenzo Murgolo, zuzuschieben.

Ob die neuen Erkenntnisse auf den Verlauf des Prozesses große Auswirkungen haben werden, ist fraglich. Die prügelnden Polizisten werden wohl niemals zur Rechenschaft gezogen, denn sie wurden nie identifiziert. Und auch der Prozess um die Diaz-Schule wird wohl in diesem Jahr nicht mehr zu einem Ende finden.

Jedoch besteht Hoffnung, dass wenigstens ein anderer G8-Prozess, in dem es um Übergriffe der Polizei auf Gefangene in der Polizeikaserne Bolzaneto geht, noch in diesem Jahr beendet wird. Einer der dort angeklagten Polizisten steht seit kurzem unter Hausarrest, weil er eine Prostituierte vergewaltigt haben soll. Das wirft ein dunkles Licht auf die angeklagten Polizisten, denn auch im Bolzaneto-Prozess wird wegen zahlreicher sexueller Übergriffe verhandelt.

Schneller geht es unterdessen im Prozess gegen 25 G8-Demonstrantinnen und Demonstranten voran. Die Verteidiger des GLF erwarten die Urteile für Anfang November. Zum Ende des Prozesses versuchte der Sachverständige Carlo Bachschmidt, mit Hilfe zahlreicher Bilder, Videosequenzen und Rekonstruktionen zu zeigen, dass die Polizei die Eskalation der Gewalt in Genua selbst provoziert und forciert hat und es in dieser Situation ein legitimes Recht der Demons­tranten auf Selbstverteidigung gab. Sollten die Richter die Notwehr­situation nicht anerkennen, so ist zu befürchten, dass einige der Angeklagten zu hohen Haftstrafen verurteilt werden.

Wer nun hofft, wenigstens mit dem Wechsel an der Polizeispitze könne es doch zu Veränderungen in der italienischen Polizei kommen, wird wohl enttäuscht werden. Auch vom neuen obers­ten Polizeichef, Antonio Manganelli, bleibt zu fürchten, dass er seinem Familiennamen, der »Schlagstock« bedeutet, alle Ehre macht.