Alle sind ein bisschen Autobahn

Weil sie aus Protest gegen die Einführung von Studiengebühren an einer Autobahnblockade teilnahmen, müssen sich vier Marburger Studierende vor Gericht verantworten. Der urteilende Richter zieht sogar kurze Gefängnisstrafen in Erwägung. von tiemo rink

Sie haben den vorigen Sommer verstreichen lassen, ohne ein einziges Mal eine Autobahn zu blockieren? Dann wissen Sie wohl nicht, was en vogue ist.

Es scheine »nach jüngsten Zeitungsberichten unter unseren Studenten in Mode gekommen zu sein«, Autobahnen zu blockieren, sagte der Marburger Richter Jürgen-Peter Taszis. Tatsächlich behinderten Studierende aus Protest gegen die von der Landesregierung verordnete Einführung von Studiengebühren allein in Marburg bereits neun Mal den Verkehr; ähnliche Aktionen fanden in Frankfurt, Wiesbaden und Gießen statt. Während in den anderen hessischen Städten bisher sämtliche Verfahren eingestellt wurden, soll in Marburg anscheinend ein Exempel statuiert werden.

Vier Studierende müssen sich am 6. August vor dem Marburger Amtsgericht verantworten. Sie hatten sich an einer Spontandemonstration von rund 500 Studierenden am 11. Mai 2006 beteiligt, bei der auch die Stadtautobahn blockiert wurde. Nachdem die Staatsanwaltschaft wegen Nötigung Strafbefehle über 70 bzw. 120 Tagessätze zugestellt hatte, überlegt der urteilende Richter inzwischen, die Angeklagten zur »Aufrechterhaltung der Rechtsordnung« zu »kurzzeitigen« Gefängnisstrafen zu verurteilen. Dass das Blockieren »in Mode gekommen« sei, dient ihm als Begründung dafür, noch über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß hinauszugehen. Das wäre möglich, wenn Taszis die Blockade der Autobahn nicht länger als Nötigung, sondern als Freiheitsberaubung werden würde.

Die Angeklagten Max Fuhrmann und Philipp Ramezani sind der Polizei – Schicksal in einer Kleinstadt – wegen früherer politischer Aktionen bekannt; eine weitere Angeklagte ist die ehemalige Asta-Vorsitzende Lena Behrendes. Nach der ersten Vollversammlung im Sommersemester 2006 waren sie gemeinsam protestierend durch die Stadt gezogen. Die Spontandemonstration mündete in der rund 30minütigen Blockade. Weil die Demonstrierenden bei früheren Protest­aktionen meist zur Geschäftsstelle der CDU gezogen waren, die einige Kilometer entfernt liegt, stand dort auch an jenem Tag eine Hundertschaft der Polizei bereit. Für Behrendes ist klar, dass »die Polizei mit der Situation völlig überfordert war«. Die weit entfernte Hundertschaft habe keine Chance gehabt, die wenigen die Demonstration begleitenden Beamten zu erreichen, schließlich »staute sich ja überall der Verkehr«.

Nachdem erkennbar war, dass sich die Demonstration in Richtung der Autobahn bewegte, rief Behrendes die Polizei an und bat darum, »möglichst schnell den Verkehr zu stoppen«. Fuhrmann und Ramezani wurden nach ihrer Schilderung von Mitarbeitern des Staatsschutzes angesprochen, als sie später auf der Autobahn eintrafen. Sie wurden gebeten, ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen zum Verlassen der Straße zu bewegen, und kamen diesem Wunsch tatsächlich nach. Auch deshalb ist dem Psychologieprofessor Ulrich Wagner, der die Beschuldigten unterstützt, unklar, warum die Studierenden angeklagt worden sind: »Sie sind nicht als Scharfmacher aufgetreten, sondern haben sogar mit der Polizei verhandelt.«

Wagner ist nicht der einzige, der sich mit den Angeklagten solidarisch erklärt hat. Bereits in den ersten zwei Wochen nach Bekanntwerden der Anklage forderten rund 1 000 Menschen die Staatsanwaltschaft mit Unterschriftenlisten auf, das Verfahren einzustellen, unter ihnen rund 30 Professorinnen und Professoren sowie mehrere Landtags- und Bundestags­abgeordnete. Ein Landtagsabgeordneter der SPD bekannte sich öffentlich zu seiner Teilnahme an der Blockade, der grüne Bürgermeister Franz Kahle spendete 50 Euro für die Prozesskosten. Die große Unterstützung bis in Teile des politischen Establishments führt Philipp Ramezani auf die besondere Situation im mittelhessischen Marburg zurück: »Die Stadt ist klein; man kennt sich halt. Außerdem haben sich sowohl der Senat der Universität als auch das Stadtparlament in Beschlüssen gegen die Einführung von Studiengebühren ausgesprochen.«

Fuhrmanns Anwalt Gunther Specht erkennt im Verhalten der Staatsanwaltschaft eine »altbekannte Strategie: Bestimmte Leute werden als vermeintliche Rädelsführer herausgegriffen.« Das scheinen viele Studierende ähnlich zu sehen. Unter dem Motto »Sind wir nicht alle ein bisschen Autobahn?« sammeln sie Spenden bei Fußballturnieren und Konzerten.

Die kurioseste Solidaritätserklärung kam aus der hessischen Landeshauptstadt. Ausgerechnet der Wiesbadener Polizeipräsident meldete sich telefonisch bei Behrendes und brachte sein Unverständnis über die Marburger Kollegen zum Ausdruck, wie Behrendes erzählt. Schließlich sei er immer »dankbar« gewesen, in ihr »eine verlässliche Ansprechpartnerin« für studentische Aktionen in seinem Dienstbereich zu haben.

So viel Unterstützung könnte stutzig machen. Behrendes hingegen überlegt laut: »Zukünftig müsste man sich wohl ein schwarzes Tuch vors Gesicht knoten.« Mit der Unterstützung des Wiesbadener Polizeipräsidenten dürfte es dann wohl vorbei sein.