Der Blick in die Augen des Piloten beim Angriff

Werner Herzogs Vietnam-Kriegsdrama »Rescue Dawn« ist in den USA angelaufen. Ist der Film des Regie-Manikers eine Allegorie des Irak-Kriegs? Bernd Volkert stellt das Kinoereignis und die amerikanische Debatte vor

Ein Film über die Flucht eines US-Kampfpiloten aus Vietcong-Gefan­gen­schaft, dessen Start in den USA akkurat auf den Independence Day gelegt wurde und den am selben Tag in einer Sondervorstellung die Truppen im Camp Anaconda im Irak sahen, ein solcher Film muss das Prädikat »patriotisch« verdienen. Oder es ist ein Film von Werner Herzog. Dann wird es schwierig.

»Rescue Dawn« heißt Herzogs Expedition in den Dschungel, der wie in »Fitzcarraldo« und »Aguirre« die Szenerie für die Geschichte eines visionären Sturkopfs bildet. Hier heißt er Dieter Dengler. Dessen Geschichte hat Herzog 1997 in »Little Dieter needs to fly« schon dokumentarisch verwendet. Dengler kam 1938 in einer deutschen Kleinstadt zur Welt, die 1945 von amerikanischen Verbänden attackiert wurde. Der Blick in die Augen eines Piloten beim Angriff hat in ihm den Traum vom Fliegen geweckt, erzählt Dengler. Mit 18 geht er nach Amerika und wird Pilot bei der US-Armee, die ihn 1966 nach Vietnam schickt.

Hier setzt der Spielfilm ein. Auf dem Flugzeugträger erfahren die Piloten von ihrem Geheimauftrag, vietnamesische Stellungen in Laos zu bombardieren. Es ist Denglers erster Einsatz – und er wird prompt abgeschossen. Milizionäre nehmen ihn fest und hetzen ihn durch den Urwald in Richtung Vietnam. Dort wird er Vietcong-Einheiten übergeben, die ihm die Freilassung anbieten, wenn er eine Erklärung unterschreibt, die die USA als »imperialistisch, korrupt und minderwertig« bezeichnet. Dengler lehnt ab: »Ich liebe Amerika. Amerika gab mir Flügel.« So wird er in ein Gefangenencamp im tiefsten Dschungel gesteckt. Die Hand voll anderer Gefangener sitzt schon seit ein bis zwei Jahren an diesem von Gott und Amerika verlassenen Ort, bis auf die Knochen ausgemergelt und mental völlig ausgebrannt. Dengler plant, unbeeindruckt, naiv und schlau zugleich, vom ersten Moment an den Ausbruch und ignoriert die Warnung der Mitgefangenen: »Das wahre Gefängnis ist da draußen, der Dschungel.« Genau dorthin entkommen er und ein anderer Gefangener, Duane. Monsun, Schlammlawinen, Blutegel und Mangel an Wasser und Nahrung machen die Flucht zur Leidenstour, bei der er und Duane sich immer näher kommen, bis dieser von vietnamesischen Bauern, denen sie zufällig begegnen, jäh mit der Machete geköpft wird. Halluzinierend irrt Dieter alleine weiter und wird endlich von US-Fliegern entdeckt und gerettet. Der Film schließt, wo er begonnen hat: Auf dem Flugzeugträger wird Dengler ein großer Empfang bereitet. Vor der versammelten Mannschaft gefragt, wie er all diese Torturen überstehen konnte, durch den Glauben an Gott oder ans Vaterland, antwortet er leise: »Ich glaube, ich brauch’ ein Steak.« Fini.

Das Urteil der Amerikaner schwankt: Ist das alles nun patriotisch gemeint oder nicht? Herzog hat bei den Kritikern in den USA einen äußerst guten Ruf quer durchs politische Spektrum. Bei den einen wegen der unorthodoxen Machart seiner Filme, der Wahl von Außenseitern und Exzentrikern als Hauptfiguren und wegen seiner Autonomie: »Alle meine Filme sind ein director’s cut«, betont Herzog gerne. Andere wiederum sehen ihn als Ausnahme unter den »neuen deutschen Filmemachern«, da er nie deren Drang zum explizit politischen Film oder Statement gefolgt ist. Dem Time Magazine gilt Herzog heute »als der wagemutigste und markanteste Filmemacher seiner Generation«, Harper’s hat ihm erst im Dezember 2006 eine zehnseitige Eloge gewidmet.

Herzogs Beziehung zu Amerika währt schon lange. In »Stroszek« (1976) bricht der Titelheld in die USA auf, um dort sein Glück zu machen – und scheitert. Herzog selbst scheint es besser zu ergehen: Seit Jahren wohnt er in Los Angeles, hat Freunde und Bewunderer wie Bruce Chatwin und David Lynch, er ist als Darsteller gefragt, Bücher erscheinen über ihn. Seine Filme drehte er zuletzt mit Schauspielern wie Brad Dourif oder Tim Roth. Und seit er mit »Grizzly Man« 2005 die Geschichte des amerikanischen ›Bärenflüsterers‹ Timothy Treadwell auf die Leinwand gebracht hat, ist er in den USA nicht mehr nur Cineasten ein Begriff.

»Rescue Dawn« verstärkt diese Tendenz noch: Es ist sein erster nur in den USA produzierter Spielfilm, auch mit Geld aus Hollywood, besetzt mit Jungstars wie Christian Bale (»American Psycho«, »Batman«), Steve Zahn (»Reality Bites«) und Jeremy Davies (»Solaris«) – und mit einer Story, die manch banges Patriotenherz zuversichtlicher schlagen lässt. Zum Beispiel das von Lt. Col. Dean Thurmond, Pressesprecher des Army and Air Force Exchange Service: »Angesichts der außerordentlich heroischen Geschichte, die der Film darstellt, kann ich mir keinen besseren Ort vorstellen, um ihn amerikanischen Kriegern zu zeigen, als Camp Anaconda im Herzen Iraks.«

Also patriotisch? Das meinen auch linksliberale Kritiker. Leslie Felperin von Variety schreibt: »Die Schlussszenen haben eine fast enthusiastische Pro-Soldaten-, wenn nicht gar Pro-Militär-Qualität.« Village-Voice-Autor J. Hoberman registriert enttäuscht: Herzog, »der einsame Conquistador, ist dem Club beigetreten. ›Rescue Dawn‹ ist ein Rambo-Film ohne Rambo. (…) Herzog demonstriert sein eigenes Amerikanisch-Sein, indem er Stallones triumphalistische Logik anwendet.« Doch, wie gesagt, bei Herzog scheiden sich die Geister. »Ist es ein euphorischer, patriotischer Film?« fragt Roger Ebert, einer der renommiertesten US-Filmkritiker, und antwortet mit »Nein«: »Es ist einfach die Geschichte dieses Mannes.« Andrew O’Hehir sekundiert in Salon: »›Rescue Dawn‹ ist in keiner Weise Pro-Krieg-Propaganda, selbst wenn die rechten Kritiker und Zuschauer das so hindrehen wollen. (…) Gewissermaßen war der Krieg nur das unvermeidliche Hintergrundgeräusch für Denglers ganz eigenen Kampf um individuelle Transzendenz.« Für David Ansen von Newsweek zeigt der Film, »dass der Grat zwischen Tapferkeit und völligem Wahnsinn schmal ist«.

Etwa so sieht es Herzog auch. Gefragt, ob er denn einen Film zum Irak-Krieg machen wolle, antwortete er: »Nein, das ist etwas für Amerikaner.« »Rescue Dawn« sei »kein Kriegsfilm, sondern eine Prüfung für die Menschen. Der Krieg berührt sie nicht wirklich.« Dass sein Film aber, nolens volens, als aktueller Kommentar verstanden wird, zeigen gerade Kritiken, die Herzog für seinen »unpolitischen Film« loben, der die Geschichte des Vietnam-Kriegs ignoriert. »In einer Zeit, in der US-Soldaten als Böse oder Opfer gesehen werden, bietet der Film einen GI, der, mutig oder verrückt, sich einfach weigert zu sterben«, schreibt Time. Noch deutlicher wird die LA Weekly: »In einer Zeit, in der USA-Bashing mehr als modisch ist, besitzt Herzog die Kühnheit, darauf hinzuweisen, dass Formeln wie ›land of the free‹ und ›home of the brave‹ ihre Bedeutung nicht vollständig verloren haben.«

Einiges von der Widersprüchlichkeit des Films hat Ann Hornaday in der Washington Post erfasst. Sie zählt den Film jetzt schon zu »den Klassikern des Genres«, er sei »anders als Kriegsfilme, die die Kameradschaft von Waffenbrüdern herausstellen. (…) Vielmehr ist der Film ein Lobgesang auf den Individualismus in seiner hartnäckigsten und unverbrüchlichsten Form. (…) Dass eine solch meisterhafte Darstellung des amerikanischen Heroismus und Ich-kann’s-schaffen-Geists von einem deutschen Autorenfilmer kreiert wurde, der für beträchtlich dunklere Visionen der Besessenheit bekannt ist, ist eine Ironie, die Herzog zweifelsohne köstlich findet.«

Aber vielleicht hat Herzog ja auch nur einfach – ungeachtet aller politischen Implikationen – einen weiteren Film über die Grenzen der menschlichen Existenz machen wollen. Wie sagt Duane an einer Stelle in »Rescue Dawn« zu Dengler? »Du bist ein komischer Vogel«. Für Herzog gilt das wohl auch.