»Ich bin für eine harte Linie«

Winfried Hermann, sportpolitischer Sprecher der Grünen
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Bei den Doping-Affären rund um die Tour de France haben sich in Deutschland vor allem die Grünen als Hardliner im Kampf gegen Doping erwiesen. Ihr sportpolitischer Sprecher Winfried Hermann forderte sogar hohe Geld- und Haftstrafen für Dopingsünder. Der 55jährige Lehrer aus Tübingen war früher Landesvorsitzender der Grünen in Baden-Württemberg. Seit 1998 ist er Mitglied des Bundestags. interview: ivo bozic

Verfolgen Sie den Verlauf der Tour de France? Interessieren Sie sich persönlich für Radsport?

Früher einmal. Aber seit einigen Jahren ist für mich die Tour de France arg zur Doping-Tour geworden, und deshalb verfolge ich das heute eher aus professionellen Gründen. Inzwischen höre ich jeden Abend die Nachrichten über die neuesten Dopingfälle, ich gucke aber nicht die Tour.

Sie sind ein leidenschaftlicher Kämpfer gegen Doping. Das Anti-Doping-Gesetz geht Ihnen nicht weit genug. Weshalb?

Das deutsche Anti-Doping-Gesetz macht einen großen Bogen um den Sportler selbst, der kann sich demnach nicht strafbar machen. Es ist sozusagen ein Arzneimittelgesetz, das sich vor allem gegen Mediziner, Trainer und Händler richtet. Das ist nicht falsch, aber zu wenig. Der Sportler trägt selbst Verantwortung. Wenn er Dopingmittel nimmt, dann ist er ein Betrüger, der nicht nur das Publikum, sondern auch seine Konkurrenten betrügt. Deshalb haben wir Grünen den Straftatbestand Sportbetrug vorgeschlagen, der ist allerdings von der Großen Koalition abgelehnt worden.

Es waren ausgerechnet die Grünen und die CDU, die in Sachen Doping als Scharfmacher aufgetreten sind. Sie fordern drei Jahre Haft für Dopingsünder. Klingt schwer nach Law and Order à la Schäuble.

Das ist nicht richtig. Die CDU ist eben nicht als Scharfmacher aufgetreten, sondern sie steht seit Jahren im Sportdoping-Bereich für eine sehr li­be­rale, sehr weiche Haltung, die besagt, Strafrecht bringt nichts, höchstens als letztes Mittel. Nur auf großes Drängen der SPD-Fraktion hat sie sich überhaupt darauf eingelassen, dass der Besitz einer nicht geringen Menge von Dopingmitteln ein Anlass ist zu prüfen, ob sich jemand als Händler strafbar macht.

Umso verwunderlicher, dass gerade die Grünen die neue Law-and-Order-Partei sind …

Das mag insofern irritierend sein, weil die Grünen lange Zeit in Sachen Drogen sehr liberal aufgetreten sind und gesagt haben, da bringt das Strafgesetzbuch nichts. Ich persönlich bin aber schon lange nicht mehr dieser Meinung. Ganz früher habe ich das auch mal gedacht, aber ich bin sowohl im Drogenkampf für eine harte Linie als auch beim Doping. Ich halte aber fest: Doping und Drogen sind nicht das Gleiche. Drogen machen die Menschen krank und abhängig, Drogenabhängige sind eher Opfer. Sportler sind aber selbstverantwortliche Menschen, die sich bewusst Vorteile durch Dopingmittel verschaffen. Das ist ein Geschäft. Beim modernen Sport geht es um viel Geld, also ist jemand, der manipuliert, ein Betrüger, und deshalb sollte das Strafrecht gelten wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch.

Eine liberale Drogenpolitik, die Forderung nach Cannabis-Legalisierung – das waren einst Markenzeichen der Grünen. Gibt es jetzt partei­interne Spannungen wegen der Linie im Anti-Doping-Kampf?

Wir hatten eine große Debatte in der Fraktion. Ich war der Meinung, dass nicht nur Sportbetrug strafbar sein sollte, sondern auch der Besitz von Dopingmitteln. Exakt die Hälfte der Fraktion war anderer Meinung, genau aus diesen rechtsstaatlich-liberalen Gründen, wonach es im Rechtsstaat erlaubt ist, sich umzubringen, Alkohol zu trinken, sich totzusaufen, und man dann im Sport kein Sonderrecht einführen könne. Ich bin mit meiner Argumentation unterlegen, die besagte, dass ein Sportler nicht nur sich selber dopt, sondern auch provoziert, dass die anderen Sportler es tun, weil sie sonst keine Chance haben, den Wett­bewerb zu gewinnen. Es gibt eine Debatte über den richtigen Weg, aber es gibt die gemeinsame Überzeugung, dass der Staat eingreifen muss, weil der Sport offenbar überfordert ist.

Angela Merkel sagte, mit Doping könne Sport keine Werte vermitteln und würde zur Show verkommen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Das ist richtig. Dass die Kommunen, die Länder und der Bund Millionen in den Sport stecken, rechtfertigt sich nur damit, dass der Sport erstens ein Beitrag zur Gesundheit ist und zweitens ein Sozialisationsinstrument und Bildungsmittel zur Erlernung von Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit unter fairen Bedingungen. Wenn der Sport auftritt ohne Fairness, als Betrug, und wenn er die Gesundheit schädigt, dann kann er nicht mit öffentlichen Mitteln gefördert werden.

Das klingt für mich nach Turnvater Jahn und Volksgesundheit. Will der Zuschauer von Sport­großereignissen nicht einfach eine gute Show?

Meine Argumentation ist weit entfernt von Turn­vater Jahn. Aber vor 200 Jahren hätte sich kein Mensch vorstellen können, dass man Sport betreibt, um sich körperlich zu schädigen. Da gab es die Vorstellung, dass man sich mit Sport etwas Gutes tut. Insofern stehe ich selbstverständlich auch noch zu Turnvater Jahn. Natürlich ist der moderne Sport auch ein großes Spektakel, trotzdem ist er nicht nur das. Wenn er vollständig zum Spektakel verkommt, dann kann er keine öffentliche Angelegenheit mehr sein. Als reines Spektakel wird er auch nicht überleben können. Es gehört zum Sport dazu, dass es um Leistung und Wettbewerb geht und um Fairness. Das macht die Spannung aus.

Sie haben die Übertragung der Tour durch Sat1 als »beschämend« bezeichnet, als »Skandal«. Sie kritisieren also, dass ein freies Me­dium über ein bedeutendes Ereignis berichtet. Das könnte man durchaus als Angriff auf die Pressefreiheit verstehen.

Ich habe ja nicht gesagt, man soll nicht darüber berichten. Ich sagte, es ist beschämend, wenn ARD und ZDF endlich erklären, wir übertragen diese Spritztour nicht mehr, berichten aber kritisch darüber, was läuft, wenn endlich mal diesem gedopten Sport die Bühne entzogen wird, und dann kommt Sat1, um Quote zu erheischen, und bietet ohne kritische Berichterstattung diese Bühne wieder an. Das können die meinet­wegen machen, aber es wäre solidarischer ge­wesen, wenn sie zusammen mit ARD und ZDF gesagt hätten: Solange die Tour nicht sauber ist, machen wir da auch nicht mit. Freie Berichterstattung heißt ja nicht, dass man Journalismus maßlos, stillos und ohne ethische Werte betreibt.

Auch bei anderen Sportarten wird gedopt, und es gibt andere Skandale wie prügelnde Eishockeyspieler oder Krawalle von Fußballhooligans. Sind Sie da auch der Meinung, dass das nichts ist, was die Öffentlichkeit finan­zieren, und nichts, was das Fernsehen über­tragen sollte?

Richtig ist, dass man insgesamt beim Sport genauer hingucken muss, auch in anderen Sportarten wird gedopt, und auch andere unschöne Begleiterscheinungen muss man kritisch darstellen. Fußballvereine, die Gewalt zulassen, müssen aber auch bezahlen, wenn sie das nicht bekämpfen. Das zahlt in weiten Teilen schon längst nicht mehr die öffentliche Hand. Ich halte auch die von öffentlich-rechtlichen Sendern übertrage­nen Boxkämpfe von merkwürdigen Box­organi­sa­tionen, wo man nicht weiß, wer wen gekauft hat, und wo eine üble Prügelei im Fernsehen dargeboten wird, nicht für eine kluge Übertragung von Sportereignissen. Auch da müsste mal ein Selbstreinigungsprozess beginnen.