Medialer Jihad, ganz global

Nicht nur selbständig agierende Netzwerke bestimmen, was al-Qaida ist. Auch jihadistische Medien kämpfen um die Deutungshoheit. von götz nordbruch

Ein kurzes Porträt von Günter Wallraff eröffnete die Serie »Feinde des Islams«, die Mitte Juli vom Betreiber des deutschsprachigen Weblogs »Islamic News Center« gestartet wurde: »Dieser Mann hat Salman Rushdie geholfen, als er sich wegen der Fatwa des Ayatollah Khomeini verstecken musste. Damit nicht genug. Er will aus Rushdies Satanischen Versen in einer Moschee in Köln vorlesen. Es scheint, der Westen scheut in seinem Kreuzzug gegen den Islam vor keiner Beleidigung, keiner Niedertracht und keiner Anmaßung zurück, wenn es nur dem Ziel dient, den Islam von der Erde zu tilgen.«

Das tägliche Geschäft dieses Blogs besteht aus dem Zusammenfassen islamistischer Bekennerschreiben und Verlautbarungen aus aller Welt. Neben Videosequenzen, in denen die Erschießung von Geiseln gezeigt wird, finden sich Mitteilungen der irakischen Organisation Armee der Mujaheddin, letzte Meldungen des Pressesprechers des Islamischen Emirats Afghanistan und Erklärungen der Armee des Islam in Gaza in deutscher Übersetzung. Die Organisation al-Sahab, die einen Großteil der Filme aus dem Spektrum von al-Qaida und den Taliban produziert, postet eine Serie, in der Angriffe auf US-amerikanische Soldaten in Afghanistan dokumentiert werden. Die kurzen Videos erscheinen unter dem Titel »Der Holocaust der Amerikaner in Khurasan«.

Die aufpeitschenden Bilder und martialischen Parolen sind es nicht allein, die die propagandistische Bedeutung dieser Online-Präsenz des militanten Islamismus ausmachen. Neben den Video­produktionen erscheinen mittlerweile zahlreiche Zeitschriften und Bücher, die von den Produktions­firmen als pdf-Dateien gepostet werden. Neben Hasad al-Mujahidin (»Die Ernte der Gotteskrieger«) oder Sada al-Rafidayn (»Echo des Zwei­stromlan­des«) bieten unzählige weitere Veröffentlichungen ein Forum für strategische Debatten, in denen die religiösen und politischen Grundlagen des Kampfes erörtert werden.

Vor dem Hintergrund der wachsenden inner­islamischen Kritik an Anschlägen auf Zivilisten erhalten die »jihadistischen Medien«, wie diese Publikationen von ihren Machern bezeichnet werden, eine zunehmende Bedeutung. In der Zeitschrift Sada al-Jihad (»Echo des Jihad«), die von der der al-Qaida nahe stehenden »Global Islamic Media Front« (GIMF) herausgegeben wird, ist von einem »Jihad der Zunge und des Stiftes« die Rede: »Es ist bekannt, dass der Jihad mit dem Stift als (legitime) Form des Jihads angesehen wird. Es geht um die Verteidigung der Muslime und gegen die unruhestiftenden Ungläubigen.«

Gemeint ist damit nicht nur der Kampf gegen die Berichterstattung in europäischen und amerikanischen Medien. Kaum angesehener als diese sind arabische Medien wie al-Jazeera: »Die Rolle, die der Sender ›al-Jazeera‹ heute im IrakKrieg spielt, ist gefährlicher als die der Flugzeuge, Bomben und Kriegsschiffe. Seine Rolle besteht darin, Zwietracht zu säen, das Bild der Gotteskrieger zu verzerren, ihren Rückhalt und ihre finanzielle Unterstützung zu stoppen und eine Stimmung des Zusammenbruchs in der islamischen Gemeinschaft zu verbreiten«, heißt es in Sada al-Jihad.

Der Kampf um die Deutungshoheit in der arabischen und islamischen Öffentlichkeit richtet sich in erster Linie gegen innerarabische Kritiker, die als Verräter und Kollaborateure des Westens gelten. Anfang Juni begann die GIMF mit einer Medienkampagne, die eine Einigung der islamistischen Strömungen zur Verteidigung der der al-Qaida nahe stehenden Organisation Islamischer Staat Irak zum Ziel hat. Journalisten, Schriftsteller und Informatiker werden dazu aufgerufen, den medialen Jihad gegen die Feinde der Umma aufzunehmen.

Doch diese Kampagnen beschränken sich nicht auf den Nahen und Mittleren Osten. Bereits im Frühjahr 2005 entstand ein Weblog, das sich selbst als deutschsprachiger Ableger der GIMF präsentierte. Im März 2007 wurde dort ein Video verbreitet, in dem sich ein Sprecher der Gruppierung Stimme des Kalifats an die deutsche und österreichische Öffentlichkeit wendete und für den Fall einer Fortsetzung des militärischen Einsatzes in Afghanistan mit Anschlägen in Deutschland und Österreich drohte.

Über die konkreten Beziehungen zwischen den Betreibern dieser Weblogs und den jihadistischen Organisationen, deren Stellungnahmen sie verbreiten, lässt sich in der Regel nur mutmaßen. Mitte Juni erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen einen 36jährigen irakischen Kurden aus dem niedersächsischen Georgsmarienhütte, dem vorgeworfen wird, über das Internet Mitglieder für al-Qaida geworben zu haben. In verschiedenen Chatrooms soll er Erklärungen und Videos von al-Qaida verbreitet und zustimmend kommentiert haben. Über direkte Kontakte zu al-Qaida ist hingegen nichts bekannt. Wie im Falle der kleineren Terrorgruppen, die als loses Netzwerk agieren, scheinen sich auch die Akteure des Medien-Jihad weitgehend zu verselbständigen. Ein schwacher Trost, wenn man wie Wallraff auf diesen Seiten zwischen Bekennerschreiben aller Art als »Feind des Islam« gelistet wird.