Der Hahnenkampf geht weiter

Das iranische Roadmovie »Half Moon« zeigt kurdische Musiker auf einer Odyssee durch das iranisch-irakische Grenzgebiet. von tilman vogt

Zu Beginn seines im kurdischen Iran spielenden Films »Half Moon« zeigt der Regisseur Bahman Ghobadi eine denkbar Furcht einflößende Szenerie. Der Zuschauer sieht in einem düsteren Raum eine Meute brüllender und johlender Männer, die die höhlengleiche Behausung bis in den letzten Winkel ausfüllt. Nachdem sich die Kamera trotz aller Beklemmung etwas Platz geschaffen hat, wird die Sicht auf das Spektakel frei: Inmitten der Menge befindet sich der Kampfring für zwei Hähne, die sich unentwegt attackieren, wobei jeder besonders schmerzhafte Angriff zu einem weiteren Anschwellen der Anfeuerungsrufe führt.

Diese archaische Szene wird jäh unterbrochen. Wie aus einer anderen Zeit kommend, klingelt plötzlich ein Handy. Die Nachricht überwindet die scheinbare Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart und lässt die erregte Menge augenblicklich verstummen: Sie erhält die Botschaft vom Sturz Saddam Husseins. Den Kurden ist damit nach Jahrzehnten der Unterdrückung und Verfolgung endlich wieder ein öffentliches Leben im Irak erlaubt. Euphorisiert von dieser Mitteilung beschließt der umtriebige Veranstalter des Hahnenkampfs, Kako, die Chance zu nutzen und mit dem kurdischen Starmusiker Mamo ein Konzert im kurdischen Irak zu organisieren. Mamo war durch das irakische Aufführungsverbot kurdischer Musik ins iranische Exil getrieben worden.

Nun entspinnt sich eine Art kurdischer »Buena Vista Social Club«, Kako will die Reise von Mamo und dem aus seinen zahlreichen Söhnen bestehenden Orchester mit einer Videokamera dokumentieren. Regisseur Ghobadi entwirft im Folgenden ein Panorama der politischen Tragödie des Nahen Ostens.

Trotz der nun vorhandenen Einreiseerlaubnis stehen die Musiker häufig vor Hindernissen. Immer wieder wird die Weiterfahrt des Tourbusses an Kontrollposten im Grenzgebiet zwischen dem Iran und dem Irak scheinbar willkürlich unterbrochen. Im Dreiländereck der beiden Staaten und der Türkei, in dem »Kurdistan halb sichtbar und halb im Verborgenen existiert«, wie der Regisseur es beschreibt, scheint es keine festen Grenzen zu geben. Trotzdem gerät der Übertritt zur Unmöglichkeit: Die tatsächliche Grenze des Irak besteht nur aus einem symbolischen Wall aus aufgehäuften Steinen, doch aus den dahinter liegenden Tälern schallen die Schusswechsel zwischen Amerikanern und Aufständischen. Bei all den Fallbäumen, Passierscheinen und Schmiergeldzahlungen verliert der Zuschauer ähnlich wie der Fahrer Mamo alsbald die Orientierung. Man weiß nicht mehr, auf welchem Territorium sich der Bus befindet, zumal der iranische Zollpolizist aussieht wie Saddam Hussein, was auf die unentwirrbare Verschränkung von Religion, Ethnisierung und nicht zuletzt ökonomischen Interessen in der Region hinweist.

Das wohl größte Problem besteht aber in der Besetzung der Band selbst. Sie ist nur vollständig, wenn Hesho, die einzige Frau des Ensembles, im Duett mit Mamo singt. Im Iran ist es Frauen aber verboten, öffentlich vor Männern zu singen. Eine Ausreiseerlaubnis erhält Hesho deshalb nicht. Doch Mamo besteht auf ihrem Auftritt, und Hesho, fast gebrochen und verstummt vom jahrelangen Bann, soll im Bus über die Grenze geschmuggelt werden. Der Plan misslingt. Sein Scheitern zieht Heshos Verhaftung und die Zerstörung der Instrumente nach sich.

Die Unterdrückung wird aber nicht nur im Film zum Thema, in dem es bezeichnenderweise zwar erlaubt ist, Opium über die Grenze zu bringen, nicht aber eine Frau. Die Repression traf auch den Film selbst: »Half Moon« wurde im Iran nach der Uraufführung wegen seiner kritischen Implikationen verboten.

Trotzdem präsentiert Ghobadi dem Zuschauer nicht einfach nur eine Dokumentation der scheinbaren Vormoderne des Orients. Buch und Kameraführung kokettieren mit großem Pathos und irritieren so das westliche, an Reduktion gewöhnte Auge. Der Inszenierung erhabener Bergzüge und mystischer Basare wird ebenso viel Platz eingeräumt wie den teilweise doch recht kitschigen Liedern voller Seufzer.

Was als Kontrastmittel durchaus reizvoll ist, kommt gerade in der zweiten Hälfte des Filmes mit etwas zu viel Überschwang zum Einsatz, da Ghobadi neben der Handlung des Road­movies mehr und mehr Ebenen erschließt, die den Film dem wabernden Äther des Atmosphärischen überantworten. So wird Mamo immer wieder von albtraumhaften Visionen seines Todes heimgesucht, die in »Half Moon« großen Platz einnehmen und schließlich die Grenzen zwischen Realität und Fantasie völlig verschwim­men lassen. Das schadet dem Film, dessen Plot ohnehin eher ausfasert als einer Stringenz zu folgen. Um der Gefahr zu entgehen, in ein zu plattes Politlamento über die Lage der Kurden zu verfallen, versucht Ghobadi unentwegt, die politische Problematik mit einer Vielzahl von mystisch-fantastischen Elementen zu vermengen. Dieser durchaus anregende Ansatz scheitert leider, was am deutlichsten am Schluss zum Ausdruck kommt. Hier wartet die Story urplötzlich mit kurdischen Befreiungskämpfern auf, die Mamo doch noch über die Grenze schaffen. So wird scheinbar eine Auflösung geliefert. ­Allerdings bleibt unklar, in welchem Einsatz sich die Kämpfer befinden. Ein Schneesturm verwehrt die Sicht auf das Geschehen, und so muss der Zuschauer erneut Vermutungen anstellen.

Wo überall Nebelschwaden tanzen und Wahrsager raunen, wünscht man sich mehr aufklärende Elemente. Inmitten dieser Präsentation eines anachronistischen Morgenlandes zieht ein Sohn Mamos allerdings plötzlich einen Laptop aus der Tasche und verschickt per Funknetz eine E-Mail. Hier wird die Darstellung gebrochen, und es wird ebenso klar, dass die Moderne nicht vor dem Nahen Osten halt gemacht hat, sondern schon über ihn hinweggerauscht ist und nur noch Ruinen und Gewalt zurückgelassen hat. Die strikte Trennung von Westen und Osten lässt sich nicht aufrecht erhalten. Dieser Eindruck findet in der bisherigen Rezeption von »Half Moon« seine stimmige Entsprechung: Den Großteil seiner vielen Preise erhielt der Film auf Festivals in Spanien, Portugal und den USA.

Auch wenn »Half Moon« immer wieder komödiantische Elemente enthält, die gerade dann auftauchen, wenn die Grenzen von Orient und Okzident verwischt werden, zieht sich doch eine düstere Tragik durch die Erzählung. Das zentrale Motiv ist hier das durch die Unterdrückung der Kurden verursachte Erlöschen der Erinnerung. »All die Jahre haben sie mir verboten zu singen«, ruft Mamo vor einer düsteren Bergkulisse und erhält als Antwort nur ein verlorenes Echo. Die verbotenen Stimmen hallen nur noch undeutlich aus dem Hintergrund nach, und auch Kakos Versuch, das historische Konzert Mamos zu dokumentieren und so die lang ersehnte Wiederbelebung der kurdischen Kultur in Bild und Ton zu verewigen, ist vergebens: Er hat vergessen, ein Videoband in seine Kamera einzulegen, die Erinnerung an die Mission ist verschwunden. Das Gedenken wird so zur elementaren Mahnung von »Half Moon«.

Während zu Beginn des Films die Menschen während des Handyanrufs in Stille verharren, führen die Hähne ihren Kampf auf Leben und Tod am Rande der Leinwand unvermindert fort. Auch wenn es ruhiger geworden ist um die kurdischen Gebiete, die blutigen Auseinandersetzungen dauern an.

»Half Moon« (Iran/Österreich/Frankreich 2006). Regie: Bahman Ghobadi. Start: 9. August