Eine Frau, ein Hort

Deutschland will Nachwuchs, je mehr, desto besser. Da wird die Frage, ob Mütter berufstätig sein sollten oder nicht, schnell zum Hauptwiderspruch. von regina stötzel

Hurra, alles wird noch besser, denn der Aufschwung macht nicht mehr vor den Schlafzimmern der Republik halt! Im ersten Quartal dieses Jahres kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 600 Babys mehr auf die Welt als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Das ist doch schon was, auch wenn sich die Bevölkerungsstrategen von den lauen Sommermärchennächten mehr versprochen haben mögen. Thusnelda ­Tivig vom Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels, die es ja wissen muss, verkündete: »Die Trendumkehr bei den Geburtenzahlen ist längst da.«

Aber, ach, da kommen sie wieder, die Schwarzmaler und Meckertanten, die jede frohe Botschaft kaputtmachen müssen. »Die Deutschen sterben weiter aus – nur langsamer«, hieß es etwa in der Zeit. Selbst Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) platzte nicht vor Enthusiasmus, sondern äußerte bescheiden, dass »wir auf dem richtigen Weg« seien. Natürlich ist ihr Weg goldrichtig, denn der Erfolg der Arbeit des Familienministeriums wird heutzutage an der Geburtenrate und am Bruttosozialprodukt bemessen, nicht etwa an solchem Sozialgedöns wie der Verringerung der Kinderarmut. Doch auch nach von der Leyens Geschmack wurden die Matratzen kei­neswegs ausreichend strapaziert: »Es sind noch große Anstrengungen notwendig, damit Deutsch­land wieder zu einem Land wird, in dem junge Männer und Frauen unbelastet ›Ja‹ zu Kindern sagen.«

Was also tun? Weiter geht’s, auf dem »richtigen Weg«! Denn: »Wir wollen mehr Kinder in den Familien und mehr Familie in der Gesellschaft. (…) Deutschland braucht mehr Kinder.« So steht es im Koalitionsvertrag der Großen Koalition.

Als hätte nahezu die gesamte Republik jenes Schriftstück mitunterschrieben, übertrumpfen sich die bürgerlichen Medien in ihren Horror­szenarien vom aussterbenden Volk, allerhand »Experten« und »Expertinnen« in scharfsinnigen Analysen, wer schuld an der Misere ist, und Politikerinnen und Politiker mit Vorschlägen, wie man die richtigen Bürgerinnen und Bürger zur wenigstens bestandserhaltenden Vermehrung bewegen kann.

Kein Wunder, dass ein Streitgespräch zwischen Ursula von der Leyen und Christa Müller, der familienpolitischen Sprecherin der Partei »Die Linke« im Saarland und Gattin Oskar Lafontaines, im Spiegel derartig viel Aufmerksamkeit erregte. Denn alle kennen die traurigen Hebammen, die egozen­trischen kinderlosen Akademikerinnen und die vergreisten Stadtviertel aus den Politmagazinen. Alle wissen, es geht ums Ganze; Kinder müssen her, wie auch immer! Da mutiert die Entscheidung Karrierefrau oder Hausfrau, »Rabenmutter« oder »Heimchen am Herd«, von der Leyen oder Müller, flott zum gesellschaftlichen Hauptwiderspruch. Auf welche Weise die Bevölkerung vermehrt werden soll, überlässt kein Stammtisch und keine Partei dem Zufall.

Müllers saarländischer Landesverband bildet da keine Ausnahme. Sein absurdes Konzept eines »Erziehungsgehalts« basiert auf permanenter Kontrolle, ob die »Erziehungsleistungen an Kindern ordnungsgemäß« erbracht werden, um, mit Müllers Worten gesprochen, die »Reproduktion des asozialen Milieus« zu verhindern. Auch Wohlhabende bekämen danach beachtliche Beträge ausgezahlt, da »Gerechtigkeit« für die Genossinnen und Genossen bedeutet, dass alle das Gleiche bekommen, egal, wie viel sie bereits besitzen. Außerdem liegt dem Konzept, wohlwollend ausgedrückt, ein völlig unlogischer Plan der Umverteilung zugunsten der Brutstätten der Nation zugrunde, der nicht zuletzt die Vermehrung zum Ziel hat: »Das Erziehungsgehalt führt voraussichtlich dazu, dass die Geburtenrate pro Frau von heute 1,4 Kinder auf 1,7 Kinder steigt.«

Dass sich die Richtigen vermehren, ist bekanntlich auch von der Leyens Ansinnen. Den Angehörigen der »breiten Mittelschicht« will sie »Mut machen, mehr Kinder zu haben«, verriet sie der FAZ im Frühjahr. Angesichts einiger früherer Äußerungen darf man vermuten, dass sie damit vor allem Leute wie sich selbst meinte. So oder so will sie das Kindergeld erhöhen, aber erst beim zweiten, dritten, vierten (fünften, sechsten, siebten) Kind.

Ebenso beherzt und beharrlich geht sie die »Ver­einbarkeit von Beruf und Familie« an, denn das freut Staat und Kapital. »Wenn wir junge Frauen genauso gut ausbilden wie junge Männer, dann möchten sie zu Recht auch ihre Talente einsetzen«, sagte von der Leyen im Spiegel und meinte mit »sie« junge Frauen, die zugleich auch Mütter sind. Übersetzt dürfte der zweite Halbsatz lauten: » … dann wollen wir, bitteschön, auch was davon haben.«

Dass Unternehmen bereitwillig bei »Bündnissen für Familie« und anderen Initiativen mitwirken, dürfte noch weitaus weniger selbstlos sein als werbewirksame milde Gaben zur Erhaltung des Regenwalds. Keineswegs zufällig entdeckte vor wenigen Tagen der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, nicht etwa Inder oder Kinder, sondern Frauen, die beliebteste Reservearmee der Republik, als zukünftige Facharbeiter in der boomenden Wirtschaft. »Bei den Frauen haben wir das größte Potenzial für Fachkräfte, gerade im technischen Bereich. Wir müssen in Deutschland die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, um dieses große Reservoir erschließen zu können.«

Zwei gleichermaßen überholte Familienbilder kollidieren jedoch wegen der gegenwärtigen Bedürfnisse der Wirtschaft. Da ist von der Leyens Modell des gut ausgebildeten Paares mit 2,1 bis sieben Kindern, das mit Hilfe des steuerlich absetzbaren Dienstmädchens seine gesellschaft­liche Reproduktionsarbeit leistet und danach möglichst schnell wieder das Bruttosozialprodukt mehrt, während die Kleinen von Tagesmüttern oder in Kinderkrippen liebevoll umsorgt werden und ausreichend vorschulische Bildung erhalten, um Deutschland künftig bei Pisa-Studien nicht mehr so kläglich abschneiden zu lassen. Und da ist das herkömmliche Modell von Familienernährer, Hausfrau und Kinderschar, an dem die Erzkonservativen der Republik von Bischof Walter Mixa über die Herren der CSU bis Christa Müller festhalten. Um nichts anderes geht es beim Streit um das »Betreuungsgeld« für im trauten Heim gehütete Kinder, den von der Leyen derzeit vornehmlich mit den bayrischen Unionskollegen führt.

Für Millionen von »Überflüssigen« und working poor sind beide Modelle so lebensnah wie die Tele­tubbies. Dass von der Leyen dennoch so unfassbar und unerträg­lich beliebt ist, hat möglicherweise damit zu tun, dass ihre Maßnahmen im Vergleich geradezu progressiv wirken und zumindest auch wohlhabendere Patchwork­familien und Alleinerziehende davon profitieren. Krippenplätze und Babypausen für Väter, das klingt schon beinahe nach Gleichberechtigung, Feminismus und Revolution. Mit derlei radikalem Unsinn aber muss sich die Familienministerin nicht herumschlagen. Die positiven Errungenschaften der 68er und der folgenden Generationen sind längst erfolgreich geschmäht, und spätestens seit den Ergüssen von Eva Herman und Frank Schirrmacher wird die Frauenemanzipation zu den Geißeln der Menschheit gezählt, die es auszumerzen gilt. Sollte es die FAZ schaffen, den von ihr kreierten Begriff des »konservativen Feminismus« für solche wie von der Leyen zu etablieren, wäre das Ziel erreicht. Christa Müller bekäme dann den Titel »Rote Zora der Stammtische« verliehen, auf Anregung des Bayernkurier.