Datenfreibeuter in Aktion

Journalisten vorzuwerfen, sie leisteten Beihilfe zum Geheimnisverrat, ermöglicht, ähnlich wie der Paragraf 129a StGB, maßlose Schnüffeleien. Die Empörung über Ermittlungen gegen 17 Journalisten wird in Kauf genommen, um an die gewünschten Informationen zu gelangen. von thorsten mense

»Die Pressefreiheit hat ihren Glanz zurückgewonnen.« Diese Titelzeile konnte man noch Ende Januar in verschiedenen Tageszeitungen lesen. Der Grund war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Ermittlungen gegen das Magazin Cicero verfassungswidrig gewesen seien. Zuvor waren mit der Begründung, es seien geheime Akten des BKA für die Berichterstattung verwendet worden, die Redaktionsräume des Magazins durchsucht und Material beschlagnahmt worden. Die »bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses« reiche jedoch nicht für eine Anklage wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat aus, urteilte das Gericht. Ungeachtet dessen laufen derzeit erneut Ermittlungen gegen Journalisten wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat.

Gegen 17 Redakteure von acht Tages- und Wochenzeitungen, von der Zeit über die Süddeutsche Zeitung bis hin zur taz, hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet. Auch der Chefredakteur des Spiegel, Stefan Aust, steht auf der Liste der Verdächtigen. Der ehemalige Herausgeber des Spiegel, Rudolf Augstein, war bereits vor 45 Jahren wegen ähnlicher Vorwürfe und auf Anordnung von Franz Josef Strauß in Spanien verhaftet worden und musste 103 Tage im Gefängnis sitzen. In der damaligen Spiegel-Affäre wurde ihm und seinen Kollegen Landesverrat vorgeworfen, da ein kritischer Artikel über die mangelnde Verteidigungsbereitschaft der BRD auf Informationen aus geheimen Unterlagen des Militärs basiert haben soll. Die Anklage wurde fallengelassen, die Ermittlungen wurden jedoch für rechtmäßig erklärt.

Gegenwärtig lauten die Vorwürfe, die 17 Journalisten hätten aus geheimen Akten des BND-Untersuchungsausschusses zitiert. Dieser beschäftigt sich derzeit unter anderem mit der Rolle deutscher Geheimdienste und Politiker bei der rechtswidrigen Entführung deutscher Staatsangehöriger durch die CIA und Vernehmungen Verdächtiger im Ausland durch deutsche Beamte. Nach Aussagen des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, Siegfried Jäger von der CDU, sei das Gremium »löchrig wie ein Schweizer Käse« gewesen, die Presse habe über mehr Informationen verfügt als der Ausschuss selber. Da offenbar nach Ansicht Jägers und anderer Mitglieder des Ausschusses Politiker und nicht Journalisten zu entscheiden haben, was den Bürgern an Wissen zuzumuten ist, wurde der Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hinzugezogen, der bei der Berliner Staatsanwaltschaft Anzeige wegen Geheimnisverrats erstattete.

Dieser »überzogene wie untaugliche Versuch, die Freiheit der Berichterstattung einzuschränken«, wie es in der gemeinsamen Presseerklärung der betroffenen Journalisten heißt, steht mit der Spiegel-Affäre und anderen Beispielen in einer langen Reihe. Erst im Januar waren gegen vier Journalisten des Stern und der Financial Times Deutschland aus dem gleichen Grund Ermittlungen eingeleitet worden. Auch sie sollen aus geheimen Unterlagen des Untersuchungsausschusses berichtet haben. Im Mai 2006 wurde bekannt, dass Journalisten zum Teil über mehrere Jahre vom BND observiert worden waren. Ob die Vorwürfe gegen sie berechtigt waren, wird vielleicht nie geklärt werden. Denn dafür zuständig ist jener Untersuchungsausschuss, dessen Vorsitzender den neuesten Angriff auf die Pressefreiheit in die Wege geleitet hat.

Die zu erwartende Empörung in Medien und Politik folgte prompt, nachdem die laufenden Ermittlungen bekannt geworden waren. Presse- und Medienverbände sprachen von »grobem Rechtsbruch«, »Dreistigkeit« und der »Kriminalisierung und Einschüchterung von Journalisten«. Politiker fast aller Parteien rügten das Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Selbst der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Wolfgang Bosbach, zog eine Gesetzesänderung in Betracht, um Journalisten in Zukunft vor solchen Ermittlungen zu schützen. Dabei war erst im Mai dieses Jahres ein entsprechender Antrag der Opposition von der Großen Koalition abgelehnt worden. Mittlerweile hat sich sogar die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in Wien zu Wort gemeldet und fordert, die Ermittlungen sofort zu beenden. Miklos Haraszti, der Beauftragte der OSZE für die Pressefreiheit, bezeichnete die Ermittlungen als »Vergeltungsmaßnahme für die Veröffentlichung von Informationen«.

Es ist davon auszugehen, dass Staatsanwaltschaft und Behörden diese Empörung erwartet und bewusst in Kauf genommen haben. Das Ziel der Ermittlungen dürfte nämlich nicht die Verurteilung der Journalisten, sondern vielmehr die Informationsbeschaffung sein. Bereits in Hinblick auf die Cicero-Affäre vor zwei Jahren urteilte die Journalistengewerkschaft DJU in ihrer Mitgliederzeitschrift: »Durchsuchungen und Beschlagnahme-Aktionen dienen vielfach nicht der Verfolgung schwerer Straftaten und damit dem Schutz des Rechtsstaats – sie dienen der Ausforschung, sind also Mittel zum diskreten Zweck.« Nach Angaben des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) sind seit 1986 in Deutschland 180 Verfahren gegen Journalisten wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat eingeleitet worden. Alle Verfahren wurden eingestellt.

Parallelen zu den gegenwärtigen Ermittlungen gegen Linke nach Paragraf 129a Strafgesetzbuch (Bildung einer terroristischen Vereinigung) sind unübersehbar: Es werden Anklagen konstruiert, die über kurz oder lang nur in sich zusammenfallen können. Die laufenden Ermittlungen gegen die Journalisten bezeichnete selbst die zuständige Staatsanwaltschaft Hamburg in der Tagesschau als »Quatsch«. Auch die Münchener Staatsanwaltschaft hat inzwischen die Ermittlungen eingestellt. Das ändert jedoch nichts da­ran, dass die Ermittlungsbehörden für kurze Zeit freie Hand haben. Der Vorwurf des Geheimnisverrats (Paragraf 353 b StGB) eignet sich ebenso hervorragend wie der Paragraf 129a StGB dazu, die Grundrechte der Verdächtigen außer Kraft zu setzen. So gehören Überwachungsmaßnahmen und Hausdurchsuchungen zu den Standard­instrumenten der Ermittlungen in diesen Fällen und bedürfen keiner richterlichen Anordnung. Bei einer Anklage wegen Geheimnisverrats gelten auch das Zeugnisverweigerungsrecht und der Informantenschutz nicht mehr.

Zum Zwecke der Ausforschung werden darüber hinaus immer öfter andere Vorwürfe gegen Journalisten erhoben, um schnell und einfach an ihre Unterlagen zu gelangen. Opfer dieser »amtlichen Datenfreibeuterei« (DJU) wurden in letzter Zeit linke Journalisten wie zum Beispiel Redakteure des Internetportals Labournet oder der Münchener Journalist Nikolaus Brauns, denen mit absurder Begründung Urkundenfälschung bzw. Haus- und Landfriedensbruch vorgeworfen wurde.

Zur Informationsbeschaffung auf dem »kurzen Dienstweg« (DJU) werden die Grundrechte und die Pressefreiheit umgangen, jedoch mit einem staatsbürgerlich-demokratischen Anschein. Denn nach den in der Regel auf solche Ermittlungen folgenden richterlichen Zurechtweisungen der Staatsanwaltschaft und Freisprüchen der Angeklagten kann sich die kritische Öffentlichkeit zurücklehnen und denken: Bei uns funktioniert die Pressefreiheit doch noch.

Und zwar genauso so gut wie in Benin und Jamaika. Mit diesen Ländern teilt sich Deutschland nämlich den 23. Platz in der Rangliste zur Pressefreiheit, die jedes Jahr von der Organisation »Reporter ohne Grenzen« veröffentlicht wird. Dass Deutschland diesen Rang nach den aktuellen Geschehnissen halten kann, ist jedoch unwahrscheinlich.