Der DGB ist kein D-Zug

Mehrere britische Gewerkschaften haben zum Boykott Israels aufgerufen. Was halten die deutschen Gewerkschaften davon? Von Benjamin Weinthal

Die Ankündigung hatte es in sich. »Die Israelis haben kaltblütig ihre Siedlungspolitik fortgesetzt«, hieß es in der Broschüre des DGB-Bildungswerks. Für den 18. Juli hatte es zu einem Seminar unter dem Titel »Frieden in Nahost?« nach München eingeladen. Referent sollte Heinz Vestner sein. Er ist weithin bekannt für seine Ablehnung Israels. In seinem Artikel »Die vergessene Geschichte Palästinas«, veröffentlicht in der Enzyklopädie »Microsoft Encarta«, schrieb er beispielsweise: »Ein ›Existenzrecht‹ des israelischen Staates ist weder historisch noch völkerrechtlich herzuleiten.« Heide Langguth, die stellvertretende Vorsitzende des DGB-Bezirks Bayern, räumte indes auf Nachfrage der Jungle World ein, dass das Seminar schließlich »wegen Anrufen« abgesagt werden musste.

Die antiisraelische Ankündigung des Seminars sei den Mitarbeitern des Bildungswerks inzwischen »sehr unangenehm«, gesteht sie. Sie sei vor der Abgabe in den Druck nur »überflogen« worden.

Wäre es zu dem Seminar gekommen, hätten die Zuhörer zum Beispiel Antworten auf die folgenden Fragen erhalten können: »Ist es dann ein Wunder, dass Palästinenserorganisationen wie Hamas und Hizbollah immer mehr Zulauf haben? Wer Gewalt sät, wird immer Gewalt ernten. Wieso eigentlich ist die Todesursache Arafats bis heute ›unbekannt‹?«

Langguth sagte der Jungle World, sie werde die Angelegenheit auf der nächsten Sitzung des Aufsichtsrats des DGB-Bildungswerks Bayern am 26. September zur Sprache bringen und »darauf dringen, Herrn Dr. Vestner nicht mehr für Seminare zu engagieren«. Außer zum Thema Naher Osten referiert Vestner beim DGB nämlich auch noch über Themen wie »Vom Urknall zu den schwarzen Löchern« oder »Gottfried Benn und Bert Brecht – zwei Antipoden«.

Das Verhältnis der deutschen Gewerkschaften zum Staat Israel bleibt offensichtlich schwierig. Und nicht nur das der deutschen.

Mehrere britische Gewerkschaften haben kürzlich die Forderung erhoben, Israel zu boykottieren. Die Akademikergewerkschaft University and College Union (UCU) beschloss am 30. Mai einen Boykott israelischer Akademiker wegen ihrer »Komplizenschaft« mit der »Besatzung Palästinas«. Die größte britische Journalistengewerkschaft forderte bereits im April einen Boykott Israels. Wegen des Kriegs im Libanon im Jahr 2006 initiierte außerdem die größte britische Gewerkschaft im öffentlichen Dienst (Unison) eine Boykottkampagne gegen israelische Produkte. Auch die Verkehrsgewerkschaft TGWU forderte ihre 800 000 Mitglieder dazu auf, keine israelischen Waren zu kaufen.

In den USA protestierten über 30 Gewerkschaften gegen diese Boykottaufrufe ihrer britischen Kollegen. In einer Schrift mit dem Titel »Protesterklärung gegen die Ausgrenzung und den Boykott Israels« verurteilen sie die britischen Aufrufe scharf. Die Erklärung wurde vom Jewish Labour Committee (JLC) initiiert, die Gewerkschaft der Beschäftigten in der Autoindustrie (UAW), die Verkehrsgewerkschaft Transport Workers Union und die Vereinigung schwarzer Gewerkschafter schlossen sich u.a. an. Der Präsident des JLC, Stuart Appelbaum, sagte, die britischen Aufrufe dienten nur dazu, »Israel zu dämonisieren«. Und weiter erklärte er: »Wir fordern die Gewerkschaften in Deutschland und in anderen Ländern, die an einen echten Frieden in Nahost glauben, auf, sich uns anzuschließen, um die Boykottbeschlüsse zu verurteilen.«

Aber kann Israel von den deutschen Gewerkschaften eine ähnliche Solidarität erwarten? Von Michael Sommer, dem Vorsitzenden des DGB, war zu den Boykotten bisher nichts zu vernehmen. Sein Sprecher Axel Brower-Rabinowitsch sagte der Jungle World: »Wir überlegen uns, wie und ob wir unser Verhältnis zu britischen Gewerkschaften gestalten.« Am 20. August solle die nächste Bundesvorstandssitzung des DGB stattfinden, aber der Boykott gegen Israel stehe nicht auf der Agenda. Brower-Rabinowitsch geht davon aus, »dass wir uns von diesem Boykott distanzieren werden«.

Bei den Einzelgewerkschaften des DGB steht ein Beschluss gegen den britischen Boykott Israels bisher auch nicht auf der Tagesordnung. Ulrich Thöne, der Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), schrieb der Jungle World: »Während des Kongresses der Bil­dungs­internationale Ende Juli in Berlin haben wir am Rande darüber auch mit Vertretern der UCU gesprochen. Sie haben uns ihren Beschluss erklärt.« Dieser sehe »anders aus, als er in der Öffentlichkeit«, etwa in der »amerikanischen Kritik«, dargestellt werde. Dennoch spricht Thöne sich gegen die Boykotte aus: »Wir haben seit vielen Jahren eine enge Verbindung zu unserer israelischen Partnergewerkschaft. Uns fiele es im Traum nicht ein, dass eine Reduzierung der Begegnungen und des Austausches auch nur an irgendeiner Stelle ein Ansatzpunkt für konstruktive Lösungen egal welches Problemes sein könnte.«

Der Pressesprecher der IG Metall, Georgious Arwanitidis, meinte, seine Gewerkschaft müsse zunächst »die politischen Beschlüsse aus England beurteilen«. Er fügte hinzu: »Wir verurteilen jeden Schritt in Richtung Antisemitismus. In einem Boykott sehen wir keinen Weg der Kritik gegenüber Israel.«

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat sich bisher auch nicht mit dem Boykott­aufruf beschäftigt. Detlev Bruse, der Leiter des Bereichs Europäische und Internationale Politik, sagte: »Die Diskussion um die Bewertung der britischen Gewerkschaften hat uns noch nicht erreicht.« Der Pressesprecher der IG Bergbau, Chemie und Energie, Rudi Heim, meinte: »Nicht allein vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist ein Boykott Israels, seiner Gewerkschaften oder auch der Wissenschaft grundsätzlich falsch und kontraproduktiv.«

Nikolaus Simon, der Geschäftsführer der Hans-Böckler-Stiftung des DGB, findet deutlichere Worte: »Dieser Boykott ist absolut inakzeptabel.« Die amerikanische Unterstützungserklärung nennt er »ehrenwert«. Er sehe »keinen Grund, weshalb wir das nicht auch machen sollten«. Aber noch stehen die Räder still, wenn es um Solidaritäts­erklärungen deutscher Gewerkschaften für Israel geht.