»Der Kritiker ist nicht mehr attraktiv«

Lutz Hachmeister, Professor für Mediengeschichte und -politik

Lutz Hachmeister war unter anderem Medienredakteur des Berliner Tagesspiegel, Leiter des Adolf-Grimme-Instituts, gründete das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik in Charlottenburg und drehte den Film »Schleyer – eine deutsche Geschichte«. Er veröffentlichte mit »Die Herren Journalisten« die erste Monographie über die NS-Kontinuitäten im deutschen Nachkriegsjournalismus. Im Mai erschien das Buch »Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik«. interview: doris akrap

Angela Merkel macht erfolgreich Politik, ohne »Medienkanzlerin« zu sein. Hat sie es geschafft, die Medien in ihre Schranken zu weisen?

Die Bundeskanzlerin kann aufgrund einer breiten parlamentarishen Mehrheit einfach durchregieren. Zudem ist die Ministerialbürokratie resistent gegen die Mediengesellschaft. Es gibt keine politischen Polaritäten mehr. Graduelle Veränderungen im Verhältnis von Politik und Journalismus werden sich wohl erst wieder ergeben, wenn die Große Koalition auseinanderbricht

Vermehrt finden sich aber doch jetzt schon soziale Themen in der Berichterstattung. Auf der Suche nach neuen Polaritäten scheint ein Linksruck durch die Gazetten zu gehen.

Liest man Artikel wie »Deutschland rückt nach links«, mit dem die Zeit vergangene Woche aufmachte, könnte man das glauben. Aber das sind nachgeholte Effekte des verblüffenden Ergebnisses beim Bundestagswahlkampf 2005. Das Resultat war von den führenden Kommentatoren so nicht erwartet worden. Die Journalisten sind nun vorsichtiger geworden und schauen wieder schärfer auf die Stimmung in der Bevölkerung.

Bei der Umfrage »Journalismus in Deutschland 2005« gaben weniger als 20 Prozent der Journalisten an, eigene Ansichten präsentieren zu wollen. Gehört der kritische Journalist der Vergangenheit an?

In der Tat ist die Rolle des Gesellschaftskritikers nicht mehr attraktiv. Der Verlust an Utopien hat auch damit zu tun, dass man in dieser Gesellschaft als Journalist durchaus bequem leben kann. Die führenden Journalisten gehören zur Upper Class und haben sich mit den Zuständen arrangiert. Politische Gegensätze sind im Mainstream der bürgerlichen Presse aufgegangen.

Den politischen Mainstream bezeichnen Sie in Ihrem kürzlich erschienenen Buch als neokonservativen Zentrismus. Warum ist das linksliberale Projekt des deutschen Nachkriegsjournalismus gescheitert?

Es gibt in der Publizistik einen graduellen Drift nach rechts bis in den bürgerlichen Liberalismus hinein. Das ist sehr weit entfernt von dem ursprünglichen liberalen Projekt, das unter Willy Brandt und Walter Scheel begründet wurde und sehr stark mit dem linksliberalen Flügel der FDP zusammenhing, der auch nicht mehr existiert. Die Frankfurter Rundschau hat schon in den achtziger Jahren ihre Rolle im linksliberalen Spektrum verloren. Einstige Unterstützer der sozial­liberalen Koalition wie Der Spiegel feierten Helmut Kohl später als brillanten Kanzler.

Zudem gibt es eine starke Bewegung in kultureller, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht gegen die 68er-Generation. Der dritte Faktor ist die generelle Ökonomisierung des Journalismus, die den Chefredakteur zu einem journalistischen Manager macht.

Analog zur Theorie der verspäteten Nation erklären Sie, dass in Deutschland der Journalismus eine verspätete Profession ist. Wie wirkt sich das auf den derzeitigen Zustand des deutschen Journalismus aus?

In der deutschen Mediengeschichte hat es enorme Brüche gegeben, vom Kaiserreich über die kurze Phase einer jüdischen Intelligenz in der Weimarer Republik, die diktatorische Propaganda des NS, das Anlernen angelsächsischer Normen nach 1945 und der für den Journalismus noch nicht ganz erforschte Umbruch von 1989. Der politische Journalismus musste sich mit diesen Brüchen und der Staatswerdung auseinandersetzen. Das ist in Ländern wie Großbritannien und den USA grundsätzlich anders. Dort gab es viel früher eine hohe Akzeptanz von Medienkultur als Massenkultur und ein journalistisches Bewusstsein darüber, nicht nur für Teileliten zu schreiben und der publizistische Berater des Politikers zu sein, sondern sich an größere Öffentlichkeiten zu wenden. Hierzulande ist immer noch nicht angekommen, dass Journalismus sehr viel mit Stil, Sprachmelodien und Wortmagie zu tun hat.

Dafür spricht, dass Tom Wolfes berühmter Aufsatz über den modernen Journalismus, »The New Journalism« von 1973, nie ins Deutsche übersetzt wurde. Was ist der Grund für den konservativen Charakter deutscher Publizistik?

Eine Resistenz gegen populäre Kultur. Mittlerweile finden wir zwar selbst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Popkritiken und ziselierte Gesellschaftsreportagen in der Zeit und im Spiegel, aber das ist mit 30 Jahren Verspätung erst eingetroffen. Das hat mit der unbedingten Ankopplung des hiesigen Journalismus an die operative Politik zu tun. Andere Ressorts, nehmen wir mal das Feuilleton in der Weimarer Republik aus, sind lange Zeit nicht ernst genommen worden. Da hat jetzt eine Aufholjagd begonnen, die langsam ins Gegenteil umkippt. Im Moment hat der politische Journalismus enorm an Bedeutung verloren, weil er kein politisches Referenzprojekt mehr findet, während andere Ressorts wie Wissenschaft, Feuilleton, Gesellschaftsreportagen an Relevanz zulegen.

Das politische Referenzprojekt ist offensichtlich der »gelassenene« Nationalismus. In Ihrem Buch stellen Sie glühende Patrioten wie den Journalisten Matthias Matussek in eine nationalromantische Traditionslinie mit Jo­seph Goebbels und Ernst Jünger. Ist der deutsche Journalismus auf dem Weg dahin zurück?

Romantik ist immer ein Rückfall. Abgesehen davon, dass man über die Geschichte von nationalen Eigenheiten im kulturhistorischen Sinne reflektieren kann und soll, ist jeder politische Rekurs auf die Nation als normsetzendes Gebilde von gestern. Wir reden ständig über Globalisierung und die Verlagerung politischer Kompetenzen nach Brüssel. Das mag man bedauern, aber das ist die Realität. Da sollte man sich nicht in eine publizistische Gegenbewegung mit einer Mischung aus neuer Religiosität und nationaler Romantik flüchten. Das ist nicht Aufgabe des Journalismus. Dieser ist ein skeptischer, ironischer Beruf. Das wird in den angelsächsischen Ländern viel eleganter beherrscht, ohne dass man ständig zynisch oder negativistisch argumentieren müsste. Ein Journalist muss eine distanzierte Grundhaltung zu nationalistischen Strömungen, die mit Kampagnen wie »Du bist Deutschland« befeuert werden, einnehmen.

Sie sagen, der Journalismus ist kein konservativer Beruf. Gleichzeitig halten Sie Frank Schirrmacher für den innovativsten Journalisten in diesem Land. Ist das kein Widerspruch?

Er argumentiert ja selber widersprüchlich. Irgendwann hat Schirrmacher entdeckt, dass die letzten Reste der Nationaldebatte, ob es Walser gegen Bubis war oder die Mitgliedschaft von Günter Grass in der SS, nur noch Themen für die traditionelle Klientel der FAZ sind. Auf der anderen Seite hat er versucht, die »Berliner Seiten« durchzusetzen, Donaldisten und Popjournalisten im Blatt gefördert. Einerseits bedient er die alte Klientel, andererseits hat er das Blatt erheblich modernisiert. Die FAZ ist insgesamt sehr viel wagemutiger als die Süddeutsche Zeitung oder gar die taz. Ob einem das politisch gefällt oder nicht, Schirrmacher ist einer der wenigen Konzeptionisten in der deutschen Presselandschaft.

Die Berliner Seiten von FAZ und SZ wurden allerdings wieder eingestellt. Die riesige Anzahl der »Haupstadtredakteure« sorgt bei weitem nicht für eine entsprechende qualitative Berichterstattung aus Berlin. Ist der »Hauptstadtjournalismus« gescheitert?

Paradox ist, dass der politische Journalismus in seinen klassischen Formen, also der Parlamentskorrespondent oder der politische Leitartikler, erheblich unwichtiger geworden ist. Das heißt nicht, dass wir nicht vor enormen internationalen Problemstellungen stehen, aber die sind abstrakter und dem Leser nicht so spannend zu vermitteln wie eine Redeschlacht zwischen Franz Josef Strauß und Herbert Wehner.