Bessere Welten sind möglich

Der Weltraum – unendliche Weiten. Die Sonden kapitalistischer Staaten sind unterwegs, um zu Profitquellen vorzudringen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Die gesellschaftliche Emanzipation scheint viele Lichtjahre entfernt zu sein. Doch sie könnte es uns vielleicht ermöglichen, fremde Welten, unbekannte Lebensformen und neue Zivilisationen zu entdecken. von jörn schulz

Es sind die Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs, in denen die Menschen ein neues Weltbild entwickeln. Ende des 16. Jahrhunderts, in der ersten Phase der Globalisierung, als europäische Schiffe in alle Welt ausschwärmten, der Aufstieg des Bürgertums begann und die Allmacht der katholischen Kirche erschüttert war, reiste auch ein entflohener Mönch durch Europa, der weiter blickte. »Ich behaupte, dass das All unendlich ist, dass eine Unzahl von Weltkörpern existiert: Gestirne, Erden, Sonnen«, lehrte Giordano Bruno. Wohl als erster Mensch nahm er an, dass auf anderen Welten, »von denen gewiss die meisten mit einem besseren Lose begabt sind als wir«, Lebewesen existieren.

Bruno wurde im Jahr 1600 in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dass er mit seiner Lehre über die »Unzahl von Weltkörpern« richtig lag, ist heute allgemein bekannt. Die Frage, ob auch andere Welten bewohnt sind, ist dagegen auch mehr als 400 Jahre später noch ungeklärt.

Auch die bislang letzte bedeutende Änderung unseres Weltbildes fällt in eine Epoche des gesellschaftlichen Umbruchs. Im Jahr 1968 fotografierten amerikanische Astronauten die über dem Mond aufgehende Erde. Das Bild der blau-weißen Kugel im schwarzen Weltall machte zwar etwas theoretisch längst Bekanntes sichtbar, dennoch hat James Lovell, der in der Raumkapsel »Apollo 8« mitflog, recht: »Wir reisten zum Mond und entdeckten die Erde.«

Die Erkenntnis, dass die in kosmischer Perspektive doch recht kleine Erde ungeeignet ist für nationalistische Streitereien und es nicht klug wäre, sie unbewohnbar zu machen, hat seitdem die politische Praxis noch nicht wirklich verändert. Dennoch begünstigte der neue Blick auf die Erde die Verbreitung eines globalen Bewusstseins und universalistischer Ideen. Ob in der Hippie-Kultur oder im »Wettbewerb der Systeme« zwischen den USA und der Sowjetunion, jeder hatte damals eine Botschaft, die sich an alle richtete, und war überdies bemüht, die Ebene irdischer Bodenständigkeit wenigstens hin und wieder zu verlassen.

Allerdings wurde der große Moment der Mondlandung im Jahr 1969 schon wieder getrübt durch das erbärmliche Schauspiel des Aufstellens einer Nationalfahne. Doch der Kapitalismus kann nun einmal durch die Entfaltung der Produktivkräfte nur die Voraussetzungen für die gesellschaftliche und geistige Emanzipation schaffen. Die Erfordernisse des warenproduzierenden Systems und die Zwangsneurosen, die der untrennbar mit ihm verbundene Nationalstaat hervorbringt, sorgen dann immer wieder dafür, dass beim Start in neue Welten die alte Welt im Gepäck mitgenommen wird.

Die kapitalistische Raumfahrt besteht daher zum größten Teil aus Umkreisungen der Erde, und dies geschieht recht häufig zu militärischen, polizeilichen und ökonomischen Zwecken. Die Nutzung des Orbits ist nicht gänzlich sinnlos, sie bescherte uns wissenschaftliche Erkenntnisse und zusätzliche Fernsehprogramme. Im Grunde aber handelt es sich gar nicht um Raumfahrt, jemand, der immer um sein Haus herumläuft, kann schließ­lich auch nicht behaupten, er unternehme eine Reise.

Glücklicherweise verheißen auch wissenschaftliche Erkenntnisse nationales Prestige, sodass immer wieder Sonden zur Erkundung des Sonnensystems gestartet werden. Derzeit rückt der Mars in den Mittelpunkt des Interesses. Ungeachtet des kleinlichen nationalistischen Wettstreits, der nun wieder einsetzt, werden die Mars-Missionen wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse vor allem über die Geologie und Atmosphäre unseres Nachbarplaneten bringen.

Sicherlich werden die meisten dieser Erkenntnisse für das Leben auf der Erde nicht von unmittelbarer Bedeutung sein. Dennoch gibt es aus linker und emanzipatorischer Sicht keinen Grund, die Mars-Missionen wegen der hohen Kosten abzulehnen. Mit den 2 000 Milliarden Dollar, die in den vergangenen Wochen an den Börsen verspielt wurden, hätte man allen Menschen ausreichend Wasser, Nahrung und Medikamente verschaffen sowie einige Reisen zum Mars finanzieren können, und es wäre immer noch genug übrig geblieben, um jedem Erdenbürger 100 Dollar Trinkgeld in die Hand zu drücken. Die Erkundung des Mars und des Sonnensystems verschafft uns immerhin schöne Bilder, und sie schadet niemandem. Bereits das ist mehr, als man von den meisten anderen Staatsausgaben behaupten kann.

Überdies ist die Erforschung des Mars möglicherweise entscheidend für die Klärung der Frage, ob Giordano Bruno Recht hatte. Ist das Leben auf der Erde nur eine temporäre Kohlenstoffverschmutzung in einem ansonsten toten Weltall? Die Feststellung, dass dies hier alles ist, was ein aus rund 150 Milliarden Galaxien mit im Durchschnitt jeweils 150 Milliarden Sonnen bestehendes Universum hervorgebracht hat, wäre ausgesprochen niederschmetternd. In wissenschaftlicher Hinsicht ist das jedoch kein Argument, folglich müssen wir wenigstens dort nachschauen, wo es mit den begrenzten Mitteln der kapitalistischen Raumfahrt möglich ist.

Die für die Entstehung von Leben nötigen Elemente sind überall im uns bekannten Universum vorhanden. In den vergangenen Jahren wurde nachgewiesen, dass auch um andere Sonnen Planeten kreisen. Zwar können mit den derzeitigen Methoden erdähnliche Planeten nicht aufgespürt werden, doch gilt es mittlerweile als sehr wahrscheinlich, dass sich recht häufig dem unseren ähnliche Sonnensysteme gebildet haben. Ob die Entstehung von Leben ein extrem seltener Zufall oder das fast zwangsläufige Ergebnis geeigneter Bedingungen ist, bleibt hingegen umstritten.

Erfreulich für die Freunde außerirdischen Lebens ist, dass das Ergebnis einer Suche im Sonnensystem sie nicht enttäuschen kann. Wenn sich keine weiteren Spuren von Leben finden, bleiben immer noch viele Millionen Chancen allein in dieser Galaxis. Stoßen wir dagegen jenseits der Erde auch nur auf die kleinsten Mikroorganismen oder auf Spuren vergangenen Lebens, wäre damit bewiesen, dass die Entstehung von Leben ein häufiger Vorgang ist.

Auf drei Himmelskörpern wäre Leben nach dem derzeitigen Wissensstand möglich. Europa, ein Mond des Jupiter, ist von Wassereis bedeckt. An der Oberfläche ist es bei Temperaturen von ‑160 bis -220 Grad Celsius recht frisch, doch Gezeitenkräfte erwärmen das Innere. Dort wird flüssiges Wasser vermutet, in dem Mikroorganismen schwimmen könnten. Ähnliche Verhältnisse herrschen möglicherweise auf Enceladus, einem wesentlich kleineren Mond des Saturn.

Die besten Chancen bietet jedoch der Mars. Dort gibt es Wassereis in großen Mengen, und da auf der Erde Mikroorganismen entdeckt wurden, die in eigentlich lebensfeindlicher Umgebung existieren können, ist es nicht ausgeschlossen, dass es ähnliche Organismen auf dem Mars gibt. Ihr Stoffwechsel hat vielleicht das Methan produziert, das in der Atmosphäre gemessen wurde, allerdings auch geologischen Ursprungs sein könnte.

Der Mars wird, anders als die Erde, nicht von einem Magnetfeld geschützt, und die Atmosphäre ist sehr viel dünner. Daher würde die kosmische Strahlung wahrscheinlich jegliches Leben zumindest an der Oberfläche töten. Die Canyons können jedoch nur durch fließendes Wasser entstanden sein, es war also früher einmal wärmer, und auch die Atmosphäre war wohl dichter. Wahrscheinlicher als die Entdeckung lebender Organismen ist daher der Fund von Biosignaturen, Spuren längst ausgestorbener Lebensformen. Das aber würde vorerst genügen. Wir könnten uns dann ziemlich sicher sein, dass wir nicht allein sind.

Es ist schwer absehbar, welche Auswirkungen die Entdeckung außerirdischen Lebens hätte. Von einer Epoche des gesellschaftlichen Umbruchs kann derzeit nicht die Rede sein, möglicherweise würde sich das Weltbild zunächst nicht merklich ändern. Vielmehr wäre ein gesellschaftlicher Umbruch nötig, der die Menschen von banalen materiellen Sorgen und engstirnigen Ressentiments befreit, nebenbei wäre durch eine rationale Organisation der Wirtschaft auch gewährleistet, dass es ausreichende Ressourcen für weit ehrgeizigere Weltraummissionen gäbe.

Es ist möglich, dass die derzeit bekannten Naturgesetze tatsächlich absolute Grenzen darstellen und wir nie in der Lage sein werden, in andere Sonnensysteme zu reisen. Doch trotz aller wissenschaftlichen Fortschritte haben wir gerade einmal an der Oberfläche gekratzt. Die theoretische Physik operiert mit weit mehr als den uns geläufigen vier Dimensionen, und Kosmologen gehen davon aus, dass die gewöhnliche, mess- und wahrnehmbare Materie nur vier Prozent dessen ausmacht, was im Universum vorhanden ist. Der Rest besteht überwiegend aus »dunkler Materie« und »dunkler Energie«, dunkel deshalb, weil wir keine Ahnung haben, worum es sich da handelt.

Zweifellos hält das Universum noch viele Überraschungen bereit. Giordano Brunos Behauptung, Himmelskörper könnten Lebewesen sein, wurde bislang als naturphilosophische Spinnerei belächelt. Doch vielleicht tippte er nur knapp daneben. Jüngst entdeckten Forscher, dass sich Partikel in interstellaren Staubwolken zu komplexen, den DNS-Strängen ähnlichen Strukturen verbinden können. Sie »sind in der Lage, die Eigenschaften, die wir als Minimalforderung für Leben betrachten, zu reproduzieren«, sagt Gregor Morfill vom Max-Planck-Institut.

Vielleicht hält auch der Mars noch ein paar Überraschungen bereit. Einige könnten bereits im kommenden Jahr enthüllt werden, die Landung der Phoenix-Sonde der Nasa, die vor allem die vereisten Regionen untersuchen soll, ist für Ende Mai 2008 geplant. Dass Sonden kapitalistischer Staaten die ersten Forschungsarbeiten leisten, muss im übrigen niemanden betrüben. Denn wer immer sich dort zuerst breit macht, der Mars ist und bleibt der rote Planet.