Ideologie aus dem Nichts

Ein neues Buch über die Junge Freiheit zeigt die Grenzen der »Extremismusforschung« auf. So ist nach diesem Ansatz beispielsweise nicht vorgesehen, dass Verfassungsfeindlichkeit und Staatstreue zusammenfallen können. von jan langehein

Spätestens seit Filbingers Zeiten gilt Baden-Württemberg als Hochburg der westdeutschen Nationalkonservativen, der neurechten Grenzgänger zwischen demokratischer Staatstreue und Propaganda für die nationale Revolution. Hier haben die Republikaner ihre Hochburg, hier sitzt das Studienzentrum Weikersheim, und hier wurde auch die wohl einflussreichste Zeitung gegründet, die die Neue Rechte hervorgebracht hat. Das Wochenblatt Junge Freiheit entstand im Jahr 1986 in Freiburg als Organ der Jugendorganisation der »Freiheitlichen Volkspartei«.

Vielleicht liegt es an dieser Tradition, dass gerade zwei Sozialdemokraten aus Baden-Württemberg ein Buch über die »Junge Freiheit« veröffentlicht haben: Ute Vogt, die stellvertretende SPD-Vorsitzende und Chefin der Landtagsfraktion in Stuttgart, und Stephan Braun, der in derselben Fraktion für Fragen des »Extremismus« zuständig ist. Neben den beiden gehören Politikwissenschaftler und Journalisten zu den Autoren sowie weitere SPD-Politiker und Funktionäre des Verfassungsschutzes. Diese Liste lässt bereits auf die Machart des Buches schließen: Behandelt wird die Frage, ob die Ideologie der Jungen Freiheit mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Anlass für die Veröffentlichung ist passenderweise ein Urteil, in dem das Bundesverfassungsgericht den Verfassungsschützern untersagt, die Junge Freiheit weiter in ihren Berichten zu führen – die abgedruckte Urteilsbegründung verweist auf die Pressefreiheit und erweitert die Kriterien, die für die Überwachung einer Zeitung gegeben sein müssen. Damit sei aber nicht ausgeschlossen, dass die Junge Freiheit trotzdem rechtsextremes Gedankengut verbreite, schreiben Vogt und Braun: »Nach wie vor gilt die JF als zentrale Publikation der Neuen Rechten in Deutschland, einer Strömung, die unter dem Deckmantel des Konservatismus ein Scharnier zwischen Rechtsextremismus und demokratischem Spektrum bildet.« Um dies zu belegen, greifen die Autoren auf die »Extremismusforschung« zurück, deren Anhänger die Totalitarismustheorie des Kalten Kriegs auf die Innenpolitik übertragen. Der Zweck dieser Art Forschung besteht darin, die Grenzen des demokratischen Spektrums festzulegen – inhaltlich definiert durch die so genannte freiheitlich-demokratische Grundordnung. Der Ansatz lässt sich auf ein Schaubild beschränken, das im Buch auch tatsächlich abgedruckt ist: In der Mitte findet sich das demokratische Spektrum, rechts und links davon das radikale (gerade noch zu duldende), und jenseits zweier dicker Striche sitzen die Extremisten. Dass zum Beispiel der Übergang zwischen Nationalkonservatismus und Rechtsextremismus fließend ist, wird ignoriert. Mithilfe solcher Schemata – und das ist das Schöne an ihnen – kann man den Feind definieren, ohne groß kritisieren und analysieren zu müssen.

Dass sie auf Analyse verzichteten, kann man den Autoren freilich nicht vorwerfen, sie haben ein Stück Fleißarbeit geliefert. Die Artikel loten die Ideologie der Zeitung aus und weisen ihr rassistische und antisemitische Ansichten nach; sie beschreiben ihren Werdegang und suchen bei Autoren, Lesern und sogar bei den Anzeigenkunden nach Hinweisen auf eine extremistische Gesinnung. Wolfgang Gessenharter arbeitet als Kern der Ideologie der JF den so genannten Schmittismus heraus, also die Begeisterung für die Lehre des Staatstheoretikers Carl Schmitt, der der so genannten Konservativen Revolution in der Weimarer Republik zugerechnet werden kann. Mit seiner Verteidigung des Souveräns gegen das Recht legitimierte Schmitt das Führerprinzip: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand gebietet.« Oder: »Der Führer schützt das Recht.« Gessenharter urteilt messerscharf: »Schmitt kann also nicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) tolerieren, ebenso wenig wie Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) oder die Rechtsgleichheit der Menschen (Art. 3 GG).«

Hier zeigt sich die Krux an der Extremismustheorie: Gessenharter kann Schmitt den (nie bestrittenen) Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung nachweisen und damit der Ideologie, welche der JF zugrunde liegt, einen extremistischen Charakter. Er kann aber nicht einmal im Ansatz begreifbar machen, warum Schmitt und andere »Konservative Revolutionäre« wie Ernst Jünger dennoch Stichwortgeber der national-konservativen Eliten der Bundesrepublik waren, warum ihr antidemokratisches Denken also eine wichtige Rolle beim Aufbau der Demokratie spielte, die die JF heutzutage mit Verweis auf denselben Schmitt bekämpft. Staats­treue und Verfassungsfeindlichkeit scheinen sich hier keineswegs auszuschließen. Statt sich damit auseinander zu setzen, hängt Gessenharter an seinen Text ein windelweiches Kapitel an, in dem er Verletzungen der Menschenwürde in der Bundesrepublik beklagt.

Ähnliche Probleme handeln sich auch andere Autoren des Buches ein: Helmut Kellershohn z.B. gelingt es mühelos, der Jungen Freiheit ein völkisches und kulturalistisches Nationenverständnis nachzuweisen; er lässt diese Erkenntnis aber auf sich beruhen. Wie kann es sein, dass deutsche Intellektuelle 60 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus plötzlich wieder auf völkisches Gedankengut verfallen? Geschah das tatsächlich »plötzlich«, oder ist der deutsche Glaube an Blut und Boden trotz demokratischer Verfassung und türkischer Einwanderung niemals verschwunden? Darauf findet Kellershohn keine Antworten, und er stellt nicht einmal die Fragen.

Wer Fakten über die Junge Freiheit sucht und sich vom trockenen Hausarbeitsstil nicht abschrecken lässt, der findet in der Textesammlung eine wichtige Quelle. Nie zuvor wurden Inhalt und politisches Handeln dieser Zeitung auf knapp 350 Seiten so umfassend dargestellt. Auf Erkenntnisse darüber, wie die vermeintlich offene bundesdeutsche Gesellschaft die neurechte Ideologie hervorbringen konnte, hofft man vergeblich. Rassismus und Antisemitismus erscheinen nicht als gesellschaftlich bedingt, sondern nur als falsche Meinungen der Autoren der JF. Pädagogik statt Kritik scheint das Leitmotiv zu sein. Im letzten Abschnitt fordert Albert Scherr »politische Bildung«, und Thomas Schlag sieht in der Jungen Freiheit eine »Herausforderung für die schulische und außerschulische Jugendarbeit«. Der Verdacht drängt sich auf, das Buch sei genau zu diesem Zweck geschrieben worden: Als Lehrmaterial für die Staatsbürgerkunde in der Oberstufe leistet es einen hervorragenden Dienst.

Stephan Braun, Ute Vogt (Hrsg.): Die Wochenzeitung »Junge Freiheit«, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, 358 Seiten, 39,90 Euro