Traumschiff Enterprise

Auch nach dem Ende der Blockkonfrontation der politischen Systeme zeigt sich am Willen zur Eroberung anderer Planeten vor allem die Konkurrenz irdischer Groß­macht­ambitionen von ron steinke

Es scheint mal wieder pathetisch zu werden. Bei der Erinnerung an die machtpolitische Symbolkraft der im Jahr 1969 auf dem Mond gehissten stars and stripes, die damals die technische Überlegenheit der USA über die Sowjetunion demonstrieren sollten, und erst recht bei dem Gedanken daran, welche symbolische Wirkung es im 21. Jahr­hundert haben könnte, wenn ein Astronaut aus einem anderen Land der erste Mensch wäre, der seine Fahnenstange in den Boden eines neuen Planeten steckt, überkommt heute offenbar eine ganze Reihe von Regierungen weltweit ein wohlig-schauerliches Kribbeln. Als George W. Bush vor drei Jahren theatralisch die Nasa damit beauftragte, die Landung des ersten Menschen auf dem Mars anzustreben, beeilten sich China, Russland und die EU umgehend klarzustellen, dass sie nicht gedenken, den USA alleine das Marsfeld zu überlassen. Der Kalte Krieg ist zwar seit fast 20 Jahren vorbei, für einen veritablen »Wettlauf zum Mars« fehlt es den genannten Staaten aber anscheinend dennoch nicht an Gründen.

Ähnlich wie im Jahr 1969, als der erste, kleine Schritt Neil Armstrongs im Mondsand der Sow­jetunion mitnichten als giant leap for mankind erschien, verfolgen auch heute die einzelnen Regierungen den vermeintlichen »Traum der gesamten Menschheit« so weit wie möglich für sich alleine, als nationale Projekte. Wo Kooperationen zwischen verschiedenen Raumfahrtorganisationen unumgänglich sind, werden die USA häufig gemieden. Für Russland, dessen Raumfahrtbehörde viel Know-how, aber wenig Geld hat, bieten sich dagegen kurzfristig neue Möglichkeiten. So will China, das seit 2003 drei »Taikonauten« ins Weltall geschickt hat, im Jahr 2009 mit Russland kooperieren, um mithilfe einer russischen Trägerrakete einen chinesischen Satelliten in die Umlaufbahn des Mars zu bringen. Die nächsten Schritte will China dann aber alleine unternehmen.

Während die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos derzeit noch auf eine Finanzierung für den bemannten Flug zum Mars wartet, gibt die Regierung bereits unbeirrt das Jahr 2017 als Datum für die Landung des ersten Russen auf dem Mars aus. Vom nächsten Frühjahr an soll Roskosmos schon einmal damit beginnen, in einem Moskauer Vorort Entschlossenheit zu zeigen. Um die Belastungen zu erforschen, denen Kosmonauten durch die lange Dauer des Fluges zum Mars ausgesetzt sein würden, sollen im Rahmen des Projekts »Mars 500« sechs Wissenschaftler für 500 Tage in einer Raumschiff-Attrappe eingesperrt werden. Schwerelosigkeit wird es dort aber natürlich ebenso wenig geben wie Weltraumstrahlung.

Diesen aufgeregten Eifer der Regierungen ausschließlich mit militärischen Interessen zu erklären, würde hinsichtlich der Marsforschung nicht ausreichen. Ein direkter militärischer Nutzen ist hier mehr als zweifelhaft. Der Abstand des Mars zur Erde beträgt 680 Millionen Kilometer. Raumschiffe, die sich so weit von der Erde entfernen, dass die Erde selbst zu einem weiteren Stern am Himmel schrumpft, helfen bei der irdischen Kriegsführung wenig weiter. Wenn es den Staaten andererseits bei ihren Mars-Programmen nur darum ginge, der heimischen Rüstungsindustrie Geld zuzuschanzen, wären sie vermutlich nicht auf eine umständliche Marsmission angewiesen. Die Ankündigung der russischen Regierung von vergangener Woche, wonach ein neues Rüstungsprogramm für das gesamte russische Militär aufgelegt werden soll, in dessen Rahmen unter anderem Hunderte neuer Kampfjets und sechs neue Flugzeugträger eingekauft werden sollen, zeigt, dass man das auch ganz offen tun kann. China hat seinen Rüstungsetat erst im März um ganze 18 Prozent erhöht. Kein Grund also für interstellare Ablenkungsmanöver.

Für die zivile Forschung ist eine Landung von Menschen auf dem Mars, der bereits seit 1996 mit Roboter-Fahrzeugen erforscht wird, denkbar überflüssig. Wissenschaftlich brachten bereits die Mondspaziergänge im Jahr 1969 keinerlei neue Erkenntnisse, die man nicht ebenso gut und wesentlich günstiger durch unbemannte Flüge zum Mond hätte erlangen können.

Vielleicht würden die heutigen Regierungen ihre Marsprojekte ja tatsächlich nicht ganz so wichtig nehmen, wenn nicht auch die Aussicht darauf bestünde, auf dem Nachbarplaneten dasselbe alberne Ritual aufzuführen, mit dem Neil Armstrong heute in zahllosen Geschichtsbüchern abgebildet ist: sich mit einer Flagge fotografieren zu lassen, bevor es jemand anderes tut. Der Wettlauf ins All ist heute zwar kein Propaganda-Wettbewerb zwischen politischen Systemen mehr. Ein Raumfahrtprogramm gilt aber nach wie vor als wichtiges Statussymbol für Großmächte. Und zumindest in dieser Hinsicht wollen mittlerweile mehr als nur zwei Blöcke weltweit ernst genommen werden.

Zum Mars will auch die EU. Allerdings besitzt sie bislang keinen bemannten Träger, um Menschen eigenständig ins All transportieren zu können. Für 2013 plant die europäische Welt­raumagentur Esa daher erst einmal, mit einem Roboter-Fahrzeug auf dem Mars zu landen und dort sechs Monate lang nach Lebensspuren zu suchen. Immerhin sei das europäische Roboter-Fahrzeug »wendiger« als jenes der »amerikanischen Kollegen«, vermerkte das Handelsblatt stolz. Das europäische Raumfahrtprogramm wird unterdessen aber bereits auf weitaus ehrgeizigere Ziele vorbereitet.

Während Frankreich noch immer den größten Anteil an der Finanzierung der Esa übernimmt, blieb es jüngst der deutschen Regierung überlassen, die »Umorganisation« der europäischen Raumfahrt zu betreiben. »Nur ein Europa mit den strategischen Fähigkeiten, die die Raumfahrt bietet, wird in der Welt eine Rolle spielen«, begründete der Leiter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) die von ihm im Jahr 2003 vorgetragene Forderung nach einer weitgehenden Zentralisierung der einzelstaatlichen Raumfahrtprogramme und der Abschaffung des Prinzips »ein Land, eine Stimme« in der Esa. Im Mai dieses Jahres konnte der deutsche Koordinator für die Luft- und Raumfahrt, Peter Hintze (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, dann Vollzug melden: »Alle wichtigen Akteure – die Esa, die EU und ihre Mitgliedstaaten – haben sich unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf gemeinsame Ziele und Schwerpunkte sowie einen Plan für die Umsetzung der Aktivitäten verständigt.« Nun kann es also losgehen. In das Projekt »Mars 500« der russischen Raumfahrtbehörde hat sich die EU bereits eingeklinkt.

Die EU müsse nun darüber nachdenken, bemannte Träger anzuschaffen, um ihre Astronauten künftig auch eigenständig ins All schicken zu können, forderte der neue Leiter des DLR, Johann-Dietrich Wörner, kürzlich im Spiegel. Zuvor hatte die deutsche Regierung noch einmal mit der völlig überraschenden Ankündigung eigener nationaler Projekte auf sich und ihre neue Rolle in der europäischen Raumfahrt aufmerksam gemacht: Eine unbemannte deutsche Sonde soll bald den Mond umkreisen und vermessen. Daneben hat die Bundesrepublik zu Beginn dieses Jahres ein eigenes Satellitensystem für militärische Aufklärung (»Sar-Lupe«) in Betrieb genommen, mit dem künftig die Bundeswehr von US-amerikanischen und französischen Satellitenbildern unabhängig werden soll. Dabei gehe es, erklärt Eduard Müller vom DLR offen, für Deutschland neben der militärischen Unabhängigkeit natürlich auch darum, »auf Augenhöhe« mit den Raumfahrtnationen USA und Russland zu kommen. Die Bundesregierung drückte sich während ihrer EU-Ratspräsidentschaft dagegen etwas wolkiger aus: »Europa wird künftig die Raumfahrt stärker nutzen, um seine politischen Ziele zu erreichen.«