Auf freiem Fuß

Die Bereitschaft Frankreichs, an der juristischen Aufarbeitung des Genozids in Ruanda mitzuwirken, bleibt fraglich. von bernhard schmid, paris

Nur langsam kommt die Wahrheit ans Licht. Über mehrere Jahre hinweg hat die französische politische Klasse einen Konsens darüber gewahrt, dass ihr Land keine Mitschuld am Genozid von 1994 in Ruanda treffe. Doch möglicherweise wird die Öffentlichkeit in Frankreich bald ein anderes Bild bekommen.

Dazu beitragen könnte im November die Ausstrahlung des Films »Opération Turquoise«, der die Rolle der französischen Armee im Jahr 1994 behandelt. Der Regisseur Alain Tasma filmte in Ruanda, viele der Laienschauspieler waren selbst Überlebende oder Täter des Genozids.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten sind dagegen weiterhin unterbrochen. Ende Juli schien es, als würden sie in Bälde wieder aufgenommen werden. Zuvor hatten die französischen Behörden zwei mutmaßliche Täter des Genozids festnehmen lassen, den katholischen Priester Wenceslas Munyeshyaka sowie den ehemaligen Präfekten der Provinz Gikongoro, Laurent Bucyibaruta. Beide lebten in Provinzstädten, Munyeshyaka war als Priester tätig.

Gegen beide liefen bereits Ermittlungsverfahren, doch Frankreich hatte die Angelegenheit immer wieder verschleppt. Noch ist unklar, ob sie vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICTR) oder in Frankreich angeklagt werden sollen. Im Juni beantragte der ICTR ihre Inhaftierung. Eine Panne wie im Fall des ehemaligen Ministers Augustin Ngirabatware sollte vermieden werden. 1999 war er wenige Stunden, bevor er in Frankreich verhaftet werden sollte, nach Gabun entkommen. Offenkundig war er gewarnt worden.

Dem Wunsch des ICTR kamen die Behörden zunächst nach, was die Regierung Ruandas begrüß­te. Sogar von einem baldigen Besuch des französischen Außenministers Bernard Kouchner in Ruanda war die Rede. Doch dann entschied das Pariser Berufungsgericht am 1. August, Munyeshyaka und Bucyibaruta auf freien Fuß zu setzen. Die Richter betrachten den Haftbefehl als unwirksam, solange nicht über den Ort des Prozesses entschieden worden ist.

Ob die neue französische Regierung bereit ist, an der juristischen Aufarbeitung des Genozids mitzuwirken, könnte der Fall Isaac Kamali zeigen, der im Jahr 2003 wegen seiner Beteiligung am Genozid von einem Gericht im ruandischen Gitarama in Abwesenheit verurteilt wurde. Kamali sitzt in Frankreich in Haft, das ruandische Auslieferungsgesuch wird derzeit geprüft.