»Du fängst dir gleich eine!«

Der Sänger, Schauspieler und Hörspielautor Jens Rachut spricht in der Jungle World über konsequente Verweigerung, das Älterwerden als Punkmusiker und über Rentner in Norwegen

Jens Rachut sang in den achtziger Jahren in der Band Angeschissen. Anders als der Name vermuten lässt, spielte sie nicht die im Deutschpunk übliche anti­amerikanische Volksmusik für Hundebesitzer mit Irokesenschnitt. Neben dem emotionalen Stil der Gruppe machten vor allem Rachuts gesungene, skurrile Alltagsbeobachtungen Angeschissen zu einer Besonderheit. Seine Texte prägten auch die Songs der Nachfolgebands Blumen am Arsch der Hölle, Dackelblut und Oma Hans. »Jamaica«, das neue Album von Rachuts derzeitiger Band Kommando Sonne-Nmilch, ist kürzlich erschienen. Des Weiteren hat der Hamburger das dreiteilige Hörspiel »Der Seuchenprinz« veröffentlicht, das rückwärts erzählt wird. Darüber hinaus trat Rachut u.a. an der Berliner Volksbühne und im Schauspielhaus Zürich in den Stücken »Schön ist es gewesen«, »Eisstadt« und »Macht Fressen Würde« auf. Sie wurden von Schorsch Kamerun inszeniert, dem auch als Regisseur tätigen Sänger der Hamburger Post-Punkband Die Goldenen Zitronen. Auf der Platte »Peggy« deiner nicht mehr bestehenden Band Oma Hans hast du die Ko­operationsseligkeit von nach Höherem strebenden Undergroundkapellen im Allgemeinen und von Kettcar aus Hamburg im Speziellen angegriffen. Die Zeilen haben für großen Aufruhr gesorgt. Das wurde völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Der Text war nicht direkt gegen Kettcar gerichtet, sie waren nur als Beispiel genannt. Ich habe mir bloß die Frage gestellt, warum diese Bands so komisch werden. Sie könnten einfach sagen: Wir haben jetzt Kinder zu versorgen, unterschreiben einen Vertrag und machen Werbung für uns. Stattdessen wird – auch bei Bands wie Turbostaat und Muff Potter – immer stundenlang diskutiert. Aber was wäre denn schlimm daran zu sagen: Wir wollen den Vorschuss – und fertig? Sobald das Interesse an ihnen wächst, begeben sich manche Punk-Bands oder solche, die aus dieser Richtung kamen, in die Zusammenhänge, gegen die sie offiziell einmal angetreten waren. Gern wird dann von allen Seiten die Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung beschworen. Diesen Konsens stellst du doch in Frage. Ach, aber ich hole mir mein Geld doch auch irgendwoher, ganz trist aus Staatsbetrieben wie dem Theater. Früher war ich Konzert-Booker in der Fabrik in Hamburg. Es ist doch nicht so, dass ich in einer Höhle wohne und noch meine gemütliche Feuerstelle habe. Es macht doch keinen Unterschied, ob du bei einem Major­label bist oder am Schauspielhaus Zürich. Das Theater ist ja auch ein Major in gewissem Sinne. Du hast dich lange der CD, der Promo-Arbeit, dem Ruhm und langlebigen Bandgefügen verweigert. Das ist sehr konsequent. Hat diese Konsequenz nicht auch etwas Schmerzhaftes? Ach komm, von wegen »Tod der CD«. Man sieht ja, wie weit ich mit der Angeberei gekommen bin. Meine letzten Aufnahmen sind allesamt auch auf CD erschienen. Was den Rest angeht: Du machst eine Platte, gibst dir Mühe, siehst zu, dass das Label die Kosten decken kann, und alles Weitere ist Luxus. Und auf Tour gehst du, weil du eben unterwegs sein willst. Selbstverständlich freust du dich, wenn viele Leute kommen oder du viele Platten loswirst. Aber dafür würde ich jetzt nicht auf diesen Gaul springen und alle Magazine abklappern. Das ist so trist und langweilig. Da gehst du doch ein. Man bekommt den Eindruck, du schaffst dir musikalische Nebenprojekte, um dich von der Hauptband zu erholen, dann löst du die Hauptband auf, und plötzlich muss die ehemalige Spaßcombo den ganzen Druck aushalten. Nachdem sich Oma Hans aufgelöst haben, klingt die neue Platte von Kommando Sonne-Nmilch auf einmal sehr konzentriert. Ich wollte die Produktion eigentlich nicht in dieser Form, ich finde, zehn Punkplatten sind genug. Das sind eher drei zu viel. Ich hätte eher Bock gehabt, irgendeinen anderen Quatsch zu machen – kann ja trotzdem hart sein. Es ist reiner Zufall, dass die neue Platte so klingt. Muss man befürchten, dass Kommando Sonne-Nmilch von dir früher oder später wieder aufgegeben werden, weil dich deine Hauptbands eben schneller langweilen? Ich habe auf jeden Fall keine Lust, jetzt noch mal so eine Punkplatte zu machen. Ich bin einfach nicht gern in Studios. Immer drinhocken und überlegen, das ist doch erbärmlich. Aus diesen Dreckskisten will ich immer nur raus! Es langweilt dich also, Punk zu spielen. Aber was hörst du denn gern? Ja, was denn? Das »Mush«-Album von Leatherface. Da geht doch immer noch nichts drüber. Oder die Wipers. Aber trotzdem bin ich immer interessiert, wenn mir jemand etwas vorspielt oder etwas empfiehlt, das ich mir anhören soll. Aber meistens gefallen mir diese Sachen trotzdem nicht. Ich bin aber auch nicht verbittert oder so. Mit Frankie (Frankie Stubbs von Leatherface, der auch die Alben »Schützen und Fördern« und »Fluten und Tauchen« von Dackelblut produzierte, Anm. d. Interviewers) habe ich übrigens immer noch Kontakt. Er hat als Tontechniker im Wembley-Stadion gearbeitet und dort beim Aufbau der Anlage Dackelblut zur Probe laufen lassen. Aus 3 000 Lautsprechern. Da hat ihn sein Chef angerufen und verlangt: »Stop this!« Die für Punk typische Kompromisslosigkeit gehört ja auch zu deiner Geschichte. Wenn man das noch einmal in dem Kontext sieht, dass viele Bands in weit jüngeren Jahren beim Sound einlenken und die physische Dringlichkeit gegen Abgeklärtheit tauschen, hört man bei dir im Vergleich dazu überhaupt kein Abrücken. Wirst du nicht dieses Jahr 50? Du fängst dir gleich eine! Außerdem bin ich 53. Und wenn du auf meine Gebrechlichkeit hinauswillst: Es ist immer anstrengend, etwas zu stemmen. Du musst Termine vereinbaren, dich mit Leuten treffen, alles unter einen Hut kriegen – das ist ja keine Frage des Alters. Du kannst altersbedingt nicht mehr so viel trinken, musst früher ins Bett, kannst keine Zigaretten mehr rauchen. Du brauchst eine Brille zum Lesen, die du aber nie dabei hast. Hast du denn tatsächlich noch Lust, auf Tour zu gehen? Wenn man nur im deutschsprachigen Raum unterwegs ist, wiederholt sich doch alles irgendwann. Touren hat ja ohnehin viel mit Wiederholungen zu tun. Mir reicht es, wenn nach einer schlimmen Stadt immer auch mal wieder eine gute kommt. Ach, manchmal gehen wir auch schwim­men, wenn wir unterwegs sind. Außerdem willst du Leute in ganz Deutschland treffen, die du kennst, und natürlich auch gute Clubs unterstützen. Einige gibt es ja noch. In der Clubszene spiegelt sich die Regression wider. Es sind höchstens noch Durchhalteparolen für die Gegenkultur zu hören. Das war doch in autonomen Läden vor vielleicht zehn oder 15 Jahren noch anders. Den pädagogischen Wunderheiler für Clubs kann ich nicht geben. Ich glaube, die Leute, die sie betreiben, sind genauso müde geworden wie die Bands, die dort auftreten. Welche Band ist da noch so gut, dass du denkst: Wow? In dieser Situation werden eben in dich sehr große Hoffnungen gesetzt. Weil du noch glaubwürdig solche Punkentwürfe verkörperst. Also, ich kann nur sagen, dass ich mich anders sehe. Mit diesem Status kann ich auch nichts anfangen. Ich möchte meinen ganzen Quatsch loswerden und weg sein, bevor es stinkt oder man verrückt wird. Und dann schreibe ich lieber eine Platte oder ein Hörspiel. Wirst du nicht mit dieser Projektion konfrontiert, du seist der Punkerlöser, wenn Leute zum Beispiel auf Tour auf dich zukommen? Nein, das geschieht nicht so häufig. Ich sehe schon so aus, als wollte ich nicht angesprochen werden. Siehst du dein eigenes Werk auch so unsentimental? Vor kurzem haben wir beim Grillen den Song »Fick Dich, Industrie« von Blumen am Arsch der Hölle gehört. Und ich dachte: Die Zustände sind ja immer noch so. Das bin ja ich, der da schreit. Vor 15 Jahren. Und auch wenn es blöd klingt, aber ich kann die Aussage immer noch unterschreiben: Wir steigen ein wie in einen Sessellift, wollen hinauf ins Gebirge und ein we­nig Geld zum Leben bekommen. Aber wir können nicht zu Fuß über die Berge, wir müssen immer in diesen Scheiß-Sessellift. So ist das. Also so aktiv wie die Goldenen Zitronen das restlinke Erbe der Sub- und Punkkultur zu interpretieren, wäre gar nichts für dich? Ich bekomme das über Schorsch Kamerun ja immer mit, weil wir zusammen Theater spielen. Aber mir wäre das zu ernst, was er mit den Goldenen Zitronen macht. Ich empfinde das als Politunterricht und verstehe ihn nicht. Mit dieser Form von Edutainment musst du dich aber doch gerade in Schorsch Kameruns Bühnenstücken besonders auseinandersetzen. Das ist wie bei einer Band. Manchmal ist die Arbeit gut, weil ja auch die Stücke gut sind, manchmal ist sie auch mühselig. Aber die Aufführung von »Metropolis« in Zürich war der Hammer. Das war einfach Stummfilmtheater, das fand ich klasse. Hattest du am Anfang Hemmungen, ohne Ausbildung auf die Theaterbühne zu gehen? Oder funktionierte das als vom Punk getragene Selbstermächtigung? Ach, man ist ja nur ein Darsteller. Ich bin auf die Bühne gegangen, hab’ es einfach gemacht. Und da umgeben einen ja nicht nur Diven, sondern auch Leute, die wirklich etwas drauf haben. Mir bringt es etwas, mich auszuprobieren oder auch nur irgendwie aufzugehen. Es geht auch nicht darum, in eine Rolle zu schlüpfen. Das will Schorsch Kamerun auch nicht, deshalb hat er auch nur normale Typen engagiert. Du schreibst doch auch selbst neben den Songtexten und Hörspielen Bühnenstücke? Ich habe mal eine Sache gemacht. Aber nur etwas Kurzes. Und das hieß? Sag’ ich dir nicht. War nicht so gut. Wurde dieses Stück denn aufgeführt? Ja, drei Mal. In Berlin. Aber wäre es eine Perspektive für dich, ­Theaterautor zu werden? Ja, klar. Ausprobieren! Mann, ich will nicht mit 56 Jahren noch in irgendwelchen Jugendzentren singen und den Leuten meine Geschichten erzählen. Da habe ich keine Lust. Und ich glaube, die Leute wollen das auch gar nicht hören. Das stimmt sicher nicht. Aber zumindest wird man von dir seit Jahren auf den Abschied vorbereitet. Mann, hör’ doch endlich mal damit auf! Wir sind doch keine Millionenband, wir verkaufen nicht gerade viele Platten. Wenn wir nach Köln kommen, sind da vielleicht 250 Leute, in der Provinz sind es noch weniger. Das ist doch nicht viel in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern. So kann man sich ja alles klein rechnen. In diesem Punkkosmos bist du aber eine Instanz. Na gut, meine Eltern kennen dich vielleicht nicht … Gib mir mal ihre Nummer! Verfolgst du die Diskussionen in der Linken, die Konflikte um Antideutsche und Anti­imperialisten? Nein, ich bekomme sie nicht mit. Das ist doch dein Milieu. In den vergangenen vier Monaten war die Volksbühne in Berlin mein Milieu. Für die Band ist mir nur wichtig, dass wir bei guten Leuten auftreten. Wir sind keine ultralinke, kommunistische Band. Das haben wir nie behauptet. Ihr habt euch ja auch immer negativ über die »Szene« geäußert. Es gibt auf der neuen Platte das Stück »Stand der Dinge«. Am Ende heißt es: »Schlecht gelaunt. Kleine Bande unbenannt. Und wir scheißen auf die Szene. Und wir scheißen auf den Stand der Dinge.« Auf der Platte »Fluten und Tauchen« findet man den Song »Stille Post«, der sich in den Neunzigern gegen die Schauprozesse gegen Bands oder Personen innerhalb der autonomen Szene richtete. Die Abgrenzung war mir immer wichtiger als das Dazugehören. Ich hänge auch nicht im Golden Pudel Club in Hamburg ab. Ich bin ja häufig in Norwegen. In dieser kleinen Stadt dort steht eine Parkbank, und da hängen immer einige Rentner ’rum. Der jüngste ist 60, der älteste 90. Der 90jährige sitzt im Rollstuhl, raucht noch, hat ein winziges Gesicht und eine riesige Tolle vorne. Und die hocken da immer zu acht oder neunt. Ich habe Bilder von ihnen gemacht, aus ihnen könnten drei Albumcover entstehen. Und so etwas interessiert mich 1 000 Mal mehr, als in den Kneipen herumzustehen und über die Szene zu plappern oder überhaupt zu irgendeiner Szene zu gehören. Aber ist ja auch klar. Mit 53, ich bitte dich! Man muss dich zwangsläufig auch einmal auf die Wahl der Bandnamen ansprechen. Sie wirken, gelinde gesagt, sehr spleenig. Also gut. Angeschissen: dürfte klar sein. Blumen am Arsch der Hölle: ist ein Gedicht von Bukowski. Dackelblut: eine Freundin hat bei »Bring mir den Kopf von Adolf Hitler«, einem Theaterstück von Christoph Schlingensief, mitgespielt, das von dem an Aids gestorbenen Neonazi Michael Kühnen handelt. In dem Stück sagte sie das Wort »Dackelblut«. Oma Hans: es gibt ein Bild von einem Soldaten, den man mit Lippenstift bemalt hatte, er war Transvestit, er hat den Soldaten das Tanzen beigebracht. In Argentinien, er war ein Deutscher. Kommando Sonne-Nmilch: na, halt so eben. Das ist ja auch ein Erbe. Bei der nächsten Band kannst du doch eigentlich nicht hinter diesen Standard zurückfallen. Die nächste Band soll heißen: Smith Boys And The Weppers. Im nächsten Februar werden wir auftreten. Auf der Bühne soll eine Schrankwand stehen. Neben mir werden noch zwei Personen mitwirken, die auch am »Seuchenprinz« beteiligt sind. Wir werden Texte von mir sprechen. Überall werden Mikrofone stehen, alle extrem empfindlich, es wird alles nur gesprochen werden, aber sehr laut. Die sprechende Schrankwand. Das ist die Idee. Deine Platten sind optisch immer sehr auffällig gestaltet. Auf dem Cover von »Peggy«, der letzten Platte von Oma Hans, war eine jugendliche, migrantische Großstadtclique zu sehen. Dieser Hyperrealismus hat stark an den Film »Kroko« von Sylke Enders erinnert. Auf dem Cover der neuen Platte »Jamaica« von Kommando Sonne-Nmilch zeigt ihr Fuchsfelle, die an einer Wäscheleine hängen.