Inquisitoren aus dem Wilden Westen

Der Korruptionsskandal bei Siemens kommentar von jörn schulz

Wenn die Werte in Gefahr sind, dann sind Werte gefragt. Die Börsenkurse haben sich vorläufig stabilisiert, doch noch immer besteht die Gefahr weiterer Bankenpleiten, die sich auf die Unternehmen auswirken könnten. »Zu viel Interpretationen und Analysen der Ausnahmesituation an den Finanzmärkten können die Lage noch verschlimmern«, mahnt Simone Boehringer in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung. Hinfort mit der Vernunft, gefragt sind die christlichen Kardinaltugenden Glaube und Hoffnung.

Wie aber sollen der Glaube an künftige Kurssteigerungen und die Hoffnung auf höhere Profite die Herzen erfüllen, wenn die Menschen von jenen enttäuscht werden, die solide Werte symbolisieren? Kaum ein Unternehmen steht so beispielhaft für »deutsche Wertarbeit« wie Siemens. Und kaum ein Unternehmen taucht so häufig in Verbindung mit dem Begriff »Korruption« in den Schlagzeilen auf.

Die Unternehmensführung kann nicht mehr behaupten, es handle sich um unbedeutende Misse­taten einiger fehlgeleiteter Untergebener. Eine Enthüllung folgt der anderen, Mitte August wurde bekannt, dass Ermittler allein in der Kommunikationssparte auf dubiose Transferzahlungen in Höhe von 900 Millionen Euro gestoßen sind. Einem Manager, der davon nichts merkt, würde man nicht einmal die Leitung einer Würstchenbude anvertrauen. Ausgerechnet in der vergangenen Woche, als Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete, sie werde bei ihrem Besuch in Peking über schändliche Produktpiraterie dozieren, musste Siemens »unangemessene Geschäftsaktivitäten« in China eingestehen.

Leider sei »der Eindruck entstanden, die auf Shareholder-Value getrimmte Welt der Manager führe zum Verlust tradierter Werte«, schrieb Heinrich von Pierer, damals Siemens-Vorstandsvorsitzender, im Jahr 2003. Doch geschmiert wurde immer. Bis zum Jahr 1999 war die Bestechung ausländischer Politiker und Beamter legal, die Unternehmen konnten die Kosten von der Steuer absetzen. Nur unwillig beugte sich die Bundesregierung dem internationalen Druck und strich diese im glo­balen Wettbewerb so vorteilhafte Regelung.

In Deutschland tragen wohlwollende Beamte und unterwürfige Staatsanwälte dafür Sorge, dass Haftstrafen für kriminelle Manager ein unvorstellbares Sakrileg bleiben. In den USA dagegen ist die Toleranz geringer, nach dem Bilanzfälschungsskandal bei Enron wurde Generaldirektor Jeff Skilling zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt. »Die rechtlichen Instrumente in Deutschland sind nicht so eindrucksvoll wie in den USA«, erläutert der Ökonom Christoph Kaserer dem Manager-Magazin. Er hält für Siemens-Manager in den USA Haftstrafen für denkbar.

So sind denn auch der SEC, der Börsenaufsicht in den USA, die wichtigsten Ermittlungsergebnisse zu verdanken. Sie ist sozusagen als Inquisitionsbehörde des globalen Kapitalismus tätig. Ihr Tun ist wichtiger denn je, Investoren sollen möglichst sicher sein können, dass ihnen keine gefälschten Bilanzen vorgelegt und die von ihnen gewählten Unternehmen nicht durch Korruption übervorteilt werden. Der Glaube muss wiederhergestellt werden, damit Hoffnung aufkeimen kann. Diese Ansicht scheint sich sogar in Deutschland zu verbreiten. Im Manager-Magazin, das 1999 über das »Rechtssystem aus der Zeit des Wilden Westens« klagte, fordert Kaserer nun, dass Siemens »die Mentalitäten und Überzeugungen vieler Führungskräfte« ändern müsse.