So lasst uns denn ein Ablassbäumchen pflanzen …

Die neuen Carbon-Offsetting-Unternehmen bieten Ausgleich für die eigenen Klimasünden an. Ob das dem Klima wirklich nutzt, ist allerdings fraglich. Statt neue Märkte der Klimaökonomie zu unterstützen, wäre es für Linke an der Zeit, eine neue Konsumkritik zu formulieren. von moritz schröder

Weniger Fleisch essen, mehr Zug fahren, wegen schlechter Wärmedämmung die Miete kürzen und am besten gestern statt heute den Stromanbieter wechseln: Wissenschaft und Politik überhäufen die Menschheit mit Ratschlägen; Buße sollen wir tun für unsere Klimasünden. Die Diskussion um die Erderwärmung, die sich – gerade so, als würden Grönlands Gletscher erst seit einem halben Jahr tauen – plötzlich zum Lieblings­thema in Medien und Ministerien gemausert hat, gerät zunehmend zur moralischen Anklage. Mal abgesehen von der Scheinheiligkeit der selbsternannten ökologischen Vordenker ist das auch angemessen. Tatsächlich beuten die Industrieländer die Erde in einer untragbaren Weise aus. Der Klimawandel entblößt die Maßlosigkeit unseres Konsums, der wiederum Schmiermittel der Marktwirtschaft ist. Grund genug für eine antikapitalistische Linke, sich in der Debatte zu Wort zu melden.

Denn das Problem ist keineswegs, dass in weiten Kreisen, wenn auch sehr hysterisch, über den Klimawandel gesprochen wird. Eher werden häufig die falschen Konsequenzen gezogen. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) möchte den Klimawandel quasi mit seinen eigenen Waffen, dem wirtschaftlichen Aufschwung, bekämpfen. Marktwirtschaftliche Instrumente wie der Emissionshandel und neue Industrien sollen alles besser machen. Was vielleicht für die erneuerbaren Energien zutrifft, wurde an anderer Stelle aber nicht eingelöst. Wie Dirk Maxeiner bereits kritisiert hat (Jungle World 33/07), funktionierte der europäische Emissionshandel für die Energiekonzerne bisher wie eine Geldmaschine, weil sie die Kosten für ihre zugeteilten Verschmutzungsrechte einfach auf die Strompreise aufgeschlagen haben.

Eine relativ neue Branche gäbe es ohne den Klimawandel gar nicht: So genannte Carbon-Offsetting-Unternehmen sind vor allem im vergangenen halben Jahr aus dem Boden geschossen. Sie bieten an, für bestimmte Dienstleistungen und Produkte die entstandenen CO2-Emissionen »auszugleichen«, und investieren dafür in Klimaschutzprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern. Das erlaubt das Kyoto-Protokoll. Doch schon die Angebote klingen oft fragwürdig: Von »CO2-freiem Leben«, »CO2-freiem Einkaufen« und dem »CO2-freien Unternehmen« ist da die Rede. Firmen, die sich ein grünes Image zulegen wollen, beauftragen Anbieter wie »Myclimate« damit, die eigenen Emissionen »auszugleichen«. Das Problem ist: Die Unternehmen bestimmen selbst, welche Zahlen sie herausgeben, also zum Beispiel wie viele Flüge sie »ausgleichen« lassen. Trotzdem steht hinterher »CO2-frei« drauf.

Solche Angebote gibt es auch für Privatverbraucher. Wer in den Urlaub fliegt, Auto fährt, Pakete verschickt oder Blumen bestellt, kann das inzwischen »klimaneutral« tun. Ob das dem Weltklima nutzt, ist allerdings fraglich. Eine neue Windfarm in Madagaskar führt direkt dazu, dass Energie schonend erzeugt wird. Sehr umstritten sind allerdings Aufforstungsprojekte nach dem griffigen Motto: ein Baum fürs Klima. Wie viel CO2 ein Baum während seines Lebens tatsächlich bindet, ist schwer zu berechnen. Wenn der Wald abbrennt oder ihn Schädlinge befallen, ist der Klimaschutz schnell dahin. Unter bestimmten Umständen können solche so genannten CO2-Senken sogar mehr Kohlendioxid abgeben, als sie binden. Wegen der Unsicherheiten dürfen Unternehmen, die am europäischen Emissionshandel teilnehmen, ihren Ausgleich bisher nicht durch solche Aufforstungsprojekte vornehmen.

Trotzdem setzen Offsetting-Anbieter wie »Prima-Klima« oder »CO2OL«, das übrigens den Ausgleich für das Live-Earth-Spektakel organisiert hat, auf CO2-Senken. Bei den Live-Earth-Konzerten zahlten die Gäste 30 Cent pro Ticket, damit in den Tropen neue Bäume gepflanzt und geschützt werden. Zweifel hegte wohl kaum jemand: Wenn der Retter des Weltklimas, Al Gore, zum Tanz lädt, kann es für die Atmosphäre doch nur gut ausgehen.

Auch wenn es viele sinnvolle Projekte gibt, die tatsächlich das Klima schützen: Überall da, wo Unternehmen mit einem grünen Image Geld verdienen können, bleibt vom Klimaschutz in der Regel nicht viel übrig. Gerade an der Offsetting-Branche kritisieren Experten mangelnde Transparenz. »Die Verbraucher können häufig nicht nachvollziehen, ob durch ihr Geld tatsächlich Emissionen sinken«, sagt Lambert Schneider vom Öko-Institut. Das UN-Klimasekretariat, das die beantragten Ausgleichsprojekte nach dem Kyoto-Protokoll begutachtet, hat Dutzende Anträge abgelehnt. Ende Juli wurde etwa ein Projekt für ein neues Biomassekraftwerk in Indien zurückgewiesen, unter anderem weil der Nachweis nicht erbracht worden war, dass das Kraftwerk nicht ohnehin gebaut würde. Da wird die schöne neue »CO2-freie« Welt plötzlich zur reinen Geschäftsmasche.

Bei dem ganzen Emissions-Ausgleichs-Wirrwarr bleibt ein Gedanke auf der Strecke: Was bringt das überzeugendste Klimaschutzprojekt, wenn nicht gleichzeitig die Emissionen an der Quelle gesenkt werden? Damit wären wir wieder bei der Konsumkritik: Wer ernsthaft glaubt, persönlich etwas gegen den Klimawandel unternehmen zu können, ohne seine Kauf- und Lebensgewohnheiten zu verändern, der handelt naiv und wirtschaftshörig. Nein, die Unternehmen werden es nicht für uns richten. Für sie ist die Debatte vorwiegend nützlich dafür, neue Märkte zu erschließen.

Aufgrund der linken Ideenlosigkeit in der Klimadebatte einfach mal abzuwarten, wie sich die Großwetterlage entwickelt, halte ich daher für fatal. Es sind inzwischen genug Beweise erbracht, dass die derzeitige Erderwärmung von Menschen gemacht ist. Sie wird bestimmte Teile der Weltbevölkerung besonders hart treffen. Wenn die Gletscher am Himalaja schmelzen, dann sind auf lange Sicht Hunderte Millionen Menschen in China, Nepal und Indien davon betroffen, zunächst durch Überflutungen, später durch Wasserknappheit, warnt der Klimarat. Zudem werden Wetterextreme zunehmen, die in den Entwicklungsländern besonders viele Kosten und Todesoper fordern.

Während sich Bewohner von Pazifikinseln schon Gedanken darüber machen müssen, wie lange ihr Land den Fluten noch standhält, setzt sich hier der Streit darüber fort, ob die Klimaveränderung überhaupt stattfindet oder überschätzt wird. In diesem Zusammenhang halte ich Ivo Bozics verharmlosende Analyse der Klimaveränderungen (29/07) für geradezu zynisch.

Zuzustimmen ist Ferdinand Muggenthaler, wenn er fordert, dass sich die Linke der Debatte darum, wie eine gesellschaftliche Umgestaltung aussehen muss, nicht entziehen darf (31/07). Eine radikale Kritik müsste die wirtschaftszentrierten Heilsversprechen des Klimaschutzes infrage stellen, die marktwirtschaftliche Beschränkt­heit des Emissionshandels angehen. Sie müsste gegen die Pläne der Stromkonzerne für den Ausbau der Kohlekraftwerke vorgehen und darauf drängen, dass sich die Menschen ihre Energiequellen an Ort und Stelle erschließen, statt ihren Saft vom fernen AKW zu beziehen. Ein Autonomes Zentrum mit Solarstrom, warum nicht? Dafür gibt es vielleicht sogar Geld vom Staat.

Doch zunächst muss den Menschen das Ausmaß ihres Energieverbrauchs überhaupt erst einmal vor Augen gehalten werden. Etwa, dass die Blumen, die man an der Straßenecke gekauft hat, aus Kenia eingeflogen wurden. Klar, wenn RWE, Eon und Vattenfall nicht gleichzeitig von der Politik gezwungen werden, in effizientere Kraftwerke und Windkraft zu investieren und ihre Netze auszubauen, dann brauchen wir gar nicht erst anfangen, Strom zu sparen und Bahn zu fahren. Zum Vergleich: Bei den Energiekonzernen geht es um Millionen Tonnen Emissionseinsparung im Jahr, bei Privatleuten, die im Durchschnitt elf Tonnen im Jahr erzeugen, um vielleicht eine Tonne, wenn es gut läuft. Trotzdem gibt es darüber hinaus ein Druckpotenzial der Bevölkerung, das sich gezielt gegen die Interessen der Stromindustrie richten kann. Der massenhafte Wechsel des Stromanbieters hin zu einem mit erneuerbaren Energien ist die einfache Variante. Zudem sind in den vergangenen Monaten in zahlreichen Kommunen Protest­initiativen gegen neue Kohlekraftwerke entstanden.

Die Hysterie der Klimadebatte neigt sicher dazu, die tatsächlichen Probleme zu überdecken, nämlich dass sich das Weltklima zurzeit stark verändert und dies dramatische soziale Folgen nach sich zieht. Wer sich der Debatte deshalb verweigert, überlässt wieder mal der flexiblen Marktwirtschaft das Feld, die in erster Linie die Dürre in der eigenen Kasse verhindern will.