Beschuss von allen Seiten

Neben den Jihadisten bedrohen auch die Armeen des Iran und der Türkei die kurdische Autonomieregion im Irak. kommentar von thomas schmidinger

Es galt als großer Erfolg für die kurdische Regionalregierung, dass Austrian im Dezember 2006 als erste westliche Fluggesellschaft reguläre Li­nien­flüge in die kurdische Hauptstadt aufnahm. Doch in der vergangenen Woche flog die vorerst letzte Maschine von Arbil nach Wien. Nach dem Beschuss einer schwedischen Passagiermaschine beim Start in Suleymaniah, dem zweiten internationalen Flughafen im Nordirak, am 9. August setzten eine Reihe internationaler Gesellschaften ihre Flüge aus.

Das auf die Maschine der Nordic Airways abgefeu­erte Geschoss verfehlte sein Ziel, die kurdischen Behörden versuchten, den Vorfall herunterzuspie­len. Der Direktor des Flughafens in Su­ley­maniah erklärte zunächst, der von Pilot und Passagieren gesehene Lichtblitz gehe offenbar auf Scheinwer­fer zurück, die kurdische Jäger einsetzten. Unter der Hand berichten Piloten aber von ähnlichen Zwischenfällen bei Landungen in der kur­dischen Hauptstadt, die meisten westlichen Flug­linien gehen davon aus, dass der Flughafen Arbil nicht weniger gefährlich ist.

Für die kurdische Regionalregierung steht viel auf dem Spiel: Bislang galten die kurdischen Provinzen Dohuk, Arbil und Suleymaniah als sicher, deutschen und britischen Asylbehörden sogar als so sicher, dass abgewiesene Asylwerber dorthin abgeschoben wurden. Doch für November ist ein Referendum geplant, im dem über die Zugehörig­keit der Provinz Kirkuk zum kurdischen Autonomiegebiet entschieden werden soll. Die kurdischen Behörden bestehen auf der Einhaltung des Zeitplans, während islamistische und post-ba’ath­is­tische Untergrundgruppen die Angriffe verstärken. Nicht nur Kirkuk wird vermehrt zum Ziel von Anschlägen, vieles deutet darauf hin, dass sich der Kampf der Jihadisten zunehmend nach Norden verschiebt.

Hinzu kommt der Druck aus den Nachbarstaaten auf das kurdische Autonomiegebiet. Mit den militärischen Erfolgen der PKK-Schwesterpartei PJAK im Iran rücken das Nato-Mitglied Türkei und der Iran in der Kurdenfrage zusammen. Gerüchte über einen größeren konzertierten Militär­einsatz des Iran und der Türkei verbreiteten sich in den vergangenen Wochen in beiden Staaten. Bereits Mitte August hatte ein Sprecher der Peshmerga der Autonomieregierung in Arbil erklärt, dass mehrere Dörfer im Umkreis der Ortschaft Sidkan von den Truppen der Türkei und des Iran mit Artilleriefeuer angegriffen worden seien. Ver­gangene Woche bombardierte der Iran Dörfer in der östlich von Suleymaniah gelegenen Region um die Stadt Penjwin, während im Norden in den Qendil-Bergen, wo die Hauptbasen von PKK und PJAK zu finden sind, bereits iranische Truppen auf irakisches Territorium vorgedrungen sein sollen.

Außerdem verschärfen sich die Spannungen zwischen kurdischen Nationalisten und den Zehntausenden arabischen Binnenflüchtlingen, die von immer größeren Teilen der kurdischen Bevölkerung als Sicherheitsrisiko gesehen werden. Schon gehen in Suleymaniah Gerüchte um, die Flüchtlinge seien für den Ausbruch der Cholera verantwortlich. In Suleymaniah und Kirkuk liegen jeweils etwa 2 000 Menschen mit Choleraverdacht im Krankenhaus, acht sind bereits gestorben. Gesundheitsexperten führen den Ausbruch der Cholera auf verschmutztes Trinkwasser zurück. Das dürfte wohl auch der Grund dafür sein, dass die kurdische Regionalregierung erst Tage, nachdem die Erkrankungen nicht mehr zu verheimlichen waren, die Epidemie eingestand und entsprechende Maßnahmen ergriff.