Brandschneisen für Bauherren

Die griechische Regierung macht äußere Mächte und anarchistische Gruppen für die verheerenden Waldbrände verantwortlich. Kurz vor der Parlamentswahl sollen Geldgeschenke die Geschädigten besänftigen. Doch viele Griechen protestieren gegen die Regierung. von ralf dreis

Wenige Wochen, nachdem Brände die Wälder in der Umgebung von Athen in Asche verwandelt hatten, wurden Ende August riesige Gebiete in anderen Teilen des Landes ein Raub der Flammen. Der vollmundigen Erklärung des konservativen Ministerpräsidenten Kóstas Karamanlís im Frühjahr, die Regierung sei »gut vorbereitet, möglichen Waldbränden im Sommer entschlossen entgegenzutreten«, folgten keine entsprechenden Taten.

Die von jeglicher staatlichen Unterstützung abgeschnittene Bevölkerung der Brandgebiete versuchte verzweifelt, mit Wassereimern und nassen Tüchern, ihre Dörfer, Häuser, Tiere und letztendlich ihr Leben zu retten. Das gelang oftmals nicht. In über 100 Dörfern sind die Häuser und Ställe bis auf die Grundmauern abgebrannt, meh­rere tausend Tiere und 65 Menschen kamen in den Flammen ums Leben. Erst als die Winde nach­ließen und internationale Unterstützung mit Löschflugzeugen und Hubschraubern eintraf, die auf der Insel Euböa und dem Pelopon­nes im Einsatz waren, konnten die Brände eingedämmt werden. Weite Teile der Katastrophengebiete waren tagelang von der Wasser- und Stromversorgung abgeschnitten.

Von einer »biblischen Katastrophe« und einer »nationalen Tragödie« war in den folgenden Tagen die Rede. Noch während die Feuer wüteten, verkündete Karamanlís eine dreitägige Staatstrauer, er verhäng­te den Ausnahmezustand und erging sich in Verschwörungstheorien. In seiner Rede an die Nation betonte er, die Brände seien »kein Zufall«. Für Hinweise, die zur Festnahme von Brandstiftern führen, versprach er bis zu einer Million Euro. Nicht seine eigene Unfähigkeit, sondern Terroristen, Anarchisten, die sozialdemo­kratische Pasok oder die USA sollen für die Brände verantwortlich sein. Denn die brachen dumme­rweise in der heißen Phase des Wahlkampfes aus, am 16. September sollen in Griechenland vorgezogene Neuwahlen stattfinden. Der bis vor kurzem sicher geglaubte Sieg von Karamanlís und seiner Partei Néa Dimokratía scheint nun fraglich.

Der Vorsitzende der oppositionellen Sozialdemokraten, Geórgos Papandréou, wirft der Regierung »kriminelle Nachlässigkeit« vor. Geflissentlich verschweigt er, dass die Umwandlung von »nutzlosem« Wald in Bauland durch Brandstiftung gängige Praxis während der Regierungszeit der Pasok war. Und diese war seit 1981 immerhin 20 Jahre an der Macht.

Nach Angaben von Greenpeace sind mehr als 200 000 Hektar Land verbrannt, das ist weit mehr als das Zehnfache im Vergleich zum vergangenen Jahr. Das Inferno hat mehrere Ursachen. Ohne die extreme Hitze, die das Land ausgedörrt hat, und ohne die starken Winde, die die Feuer zusätzlich angefacht haben, hätten die Brände nicht solche Ausmaße angenommen. Die eigentlichen Gründe aber sind altbekannte Versäumnisse und ein durch und durch korruptes politisches System.

Viele Wälder in Griechenland werden nicht bewirtschaftet, den Forstverwaltungen fehlt es an Geld, Gerät und Personal. Das Unterholz wuchert, Brandschneisen oder zumindest befahrbare Wirtschaftswege für die Feuerwehr gibt es kaum. Die Berufsfeuerwehr hat nur 9 400 Mitarbeiter, freiwillige Feuerwehren zählen gerade einmal 3 500 Aktive, und Geld der EU für den Brandschutz wurde seit dem Jahr 2002 nicht abgerufen. Umweltgruppen machen seit Jahren auf die Missstände aufmerksam, es ändert sich jedoch nichts.

So werden allein durch Achtlosigkeit und die mehr als 400 vor sich hinglimmenden Müllkippen jedes Jahr mehrere Brände ausgelöst. Das Hauptproblem jedoch ist die verbreitete Bau­spe­ku­lation. Aufkommende Winde nach Hitzeperioden werden genutzt, um »wertlosen« Wald durch Brandstiftung in lukratives Bauland zu verwandeln. Dass Griechenland als einziges Land der EU über kein nationales Grundbuch verfügt, erleichtert das Geschäft.

Auch dieses Mal dürfte die Rechnung aufgehen. Zwar gibt es Gesetze, die besagen, dass abgebrann­ter Wald aufgeforstet werden muss, doch nach einer Schamfrist von einigen Jahren – manchmal nur Monaten – wird trotzdem gebaut und die Bauten werden später legalisiert. Vor allem dann, wenn ein »fakeláki«, ein mit Geldscheinen gefüllter Briefumschlag, die Beamten der Baubehörde überzeugt. Die Politiker schauen weg und sichern sich so finanzielle und politische Unterstützung für die nächste Wahl. Wenn Karamanlís jetzt ausruft: »Wo Wald war, wird wieder Wald sein«, ist das verlogen. Zu behaupten, die einge­äscherten Wälder würden aufgeforstet, ist schon angesichts des Ausmaßes der abgebrannten Fläche eine allzu offensichtliche Lüge.

Der Fall des im Juli abgebrannten »Hausbergs« von Athen, Párnitha, verdeutlicht die kapitalistische Realität. Auf dem Gipfel befindet sich das Casino, das im Gegensatz zu Wald und privaten Wohnhäusern vor den Flammen gerettet wurde. Der Brandgeruch war kaum verzogen, da stand im offiziellen Mitteilungsblatt der Regierung vom 24. Juli, dass 6,3 Hektar des abgebrannten Naturschutzgebietes von der Aufforstung ausgenommen und dem Casino zur Erweiterung geschenkt würden. Eine wütende Demonstration anarchistischer Gruppen, unter der Parole: »Brennt das Casino nieder, nicht die Wälder«, trieben Spezial­einheiten der Polizei mit Tränengas und Knüppeln auseinander. 27 Personen wurden festgenommen, teilweise misshandelt und zu Bewährungsstrafen verurteilt. Am 29. Juli sagte Aris Spiliotópoulos, ein Abgeordneter der Néa Dimokratía: »Niemand kann sicher sein, dass nicht irgendwelche Stadtguerillagruppen oder Anarchisten, die natürlich nie die Verantwortung dafür übernehmen, um nicht das Volk gegen sich aufzubringen, die Brände legen, um den Staat zu destabilisieren.«

Auch jetzt versucht die Regierung, Angst zu schü­ren, indem sie Bedrohungsszenarien heraufbeschwört und sich selbst als Garant von Sicherheit und Ordnung präsentiert. Von einer »Verschwörung« und »gezielten Angriffen« ist die Rede. Einige Hinterbänkler der Néa Dimokratía versuchten sogar, im nationalen Gleichschritt mit der Kommunistischen Partei die Brände als Bestrafungsaktion der USA für die mit Russland geplan­te Pipeline von Aserbaidschan ins nordgriechische Alexandroúpoli zu verkaufen. Das Vorgehen, ano­nyme Mitglieder der Pasok der Brandstiftung zu bezichtigen, stieß auf allgemeine Empörung. Also verbreitete Außenministerin Dóra Bakogián­ni am 28. August über den Radiosender Flash erneut die Mär vom zündelnden Anarchisten – ohne, dass es einen Widerspruch des anwesenden Pasok-Politikers Theódoros Pánggalos gegeben hätte. Die von Bakogiánni eingeführte Definition einer »asymmetrischen Bedrohung« durch anarchistische Gruppen kommt ihnen beiden gelegen.

Dieser bis dahin in rein militärischen Zusammenhängen benutzte Begriff tauchte nach den Anschlägen vom 11. September in Strategiepapieren der Nato auf. Im Nato-Dokument MC 161 vom Januar 2002 heißt es: »Asymmetrische Bedrohung meint jede unvorhergesehene Bedrohung, die sich gegen strategisch wertvolle Anlagen des Landes richtet (z.B. militärische Einrichtungen, dicht besiedelte Zentren, Brücken, Telekommunikationsanlagen, Häfen, Elektrizitätswerke und ähnliches), mit dem Ziel, Konfusion und Destabilisierung hervorzurufen.«

Bakogiánni instrumentalisiert den Begriff innenpolitisch und bringt unausgesprochen eine Art griechischer al-Qaida ins Spiel, um die Regierungsarbeit aus der Kritik zu bekommen und nebenbei die Repressalien gegen den aktivsten innenpolitischen Gegner der vergangenen drei Jahre weiter verschärfen zu können. Einen Tag nach ihren Ausführungen im Radio zitierte die Tageszeitung To Ethnos sie mit folgenden Worten: »Verantwortlich sind berüchtigte Bauspekulanten, die Oma, die ihr Unkraut anzündet, und jene Typen, die im vergangenen Winter in Athen ohne Skrupel Geschäfte geplündert und in Brand gesetzt haben – sogar das Denkmal des unbekannten Soldaten haben sie angezündet. Sie glauben nun, sie können auf diese Art weitermachen, und legen Brände außerhalb Athens, um den Staat zu unterminieren.« Es blieb Offizieren der so genannten Antiterroreinheit vorbehalten, in der konservativen Tageszeitung Kathimeriní klarzustellen, dass Anarchisten keine Waldbrände legen. Sie betonten, dass »die Liebe zur Natur eine der inhaltlichen Grundlagen der anarchistischen Ideologie« sei.

Indessen versucht Karamanlís mit altbekannten Mitteln, seinen Wahlsieg zu sichern: Er verspricht Geld. Am 26. August sicherte er den Brand­opfern eine finanzielle Entschädigung zu. Demnach sollen 3 000 Euro an Menschen aus­gezahlt werden, die Eigentum verloren haben, und 10 000 Euro sollen diejenigen erhalten, deren nächste Verwandte ums Leben gekommen sind. Betroffenen soll zudem bei der Darlehensrückzahlung Hilfe zuteil werden. Die Feuerwehr und sonstige Einsatzkräfte erhalten eine einmalige Bonuszahlung von 2 500 Euro. Ob das für einen Wahlsieg ausreicht, ist unklar.

Auf zentralen Plätzen ihrer Städte demonstrieren seit vergangener Woche mehrere zehntausend schwarz gekleidete Menschen gegen die Regierung. Die Bewohner von Néa Figalías auf dem Peloponnes jagten am 28.August den Staatssekre­tär im Wirtschaftsministerium, Chrístos Fólias, und die ihn begleitende Polizeieinheit mit Steinwürfen aus dem Dorf.

Für die Ökologie Griechenlands ist der Wahlausgang ohnehin belanglos. Pasok und Néa Dimo­kratía stehen für die gleiche Politik kapitalistischer Ausbeutung von Menschen und Natur. Eine dieser Parteien wird auf Grund des so genannten »verstärkt analogen Wahlsystems« – die stärkste Partei erhält 20 Sitze zusätzlich – aller Wahrschein­lichkeit nach mit absoluter Mehrheit regieren. Den anarchistischen Gruppen ist es egal, welche von beiden das sein wird.