»Im Moment herrscht wieder Hitler-Flaute«

Unter dem Motto »Pigor singt, Eichhorn muss begleiten« tourt das aus dem Sänger und Komponisten Thomas Pigor und dem Pianisten und ewigen Sidekick Benedikt Eichhorn bestehende Neo-Chanson-Duo über deutschsprachige und französische Theaterbühnen. Mit neuen Songs und Conférencen (»Volumen 6«) sind die beiden Kabarettisten und der Musiker ulf hettrich am Sampler derzeit in der Bar jeder Vernunft in Berlin zu sehen.

Der Schlüsselsong des neuen Programms heißt »Kevins« und handelt von der Generation der heute 20jährigen, die irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft den Bundeskanzler stellen wird. Was ist verkehrt an den Kevins? Pigor: Der Song ist eine Stichelei gegen die nachwachsende Generation und nimmt die klassische Perspektive der Älteren ein, die den Nachgeborenen erstmal nichts zutraut. Man sieht die an der Bus­haltestelle rumstehen und denkt, o je, das sind die Entscheidungsträger in zwanzig Jahren? Die trauen sich zwar alles zu, haben mehr Selbstbewusstsein als wir damals, können Snowboard fahren … Eichhorn: … haben Schweinsteiger-Frisuren und Schlabberhosen, die bis in die Kniekehlen hängen … Pigor: … aber was haben die für einen Bildungshorizont? Die Komik kommt dadurch zustande, dass man mit »Kevin« eine bestimmte Generation verbindet. Wenn mich Bekannte fragen, wie sie ihre Kinder nennen sollen, sage ich immer, setz’ mal einen Doktor vor den Namen. Dr. Kevin Sowieso klingt für uns eben nicht so vertrauenerweckend wie Dr. Johann Sowieso. Der Song spielt mit diesen Klischees und sagt, stell dir vor, der zukünftige Bundeskanzler heißt Kevin. Ist das Kabarett das letzte Refugium des Nicht-Einverstandenseins? Pigor: Wir bedienen uns der Pose des Protests und unterlaufen ihn gleichzeitig dadurch, dass er völlig maßlos daherkommt. Sich über die Verpackung von Videocassetten aufzuregen und zu behaupten, das sei jetzt engagiertes Chanson, mit dem man die Welt verändern kann, ist natürlich ironisch gemeint. Aussagen, die das Publi­kum provozieren, von denen man genau weiß, das denkt die Mehrheit im Saal jetzt nicht, findet man bei uns eher in Nebenbemerkungen. Oder in dem Stück »Don’t look so alliiert at me«, da beschwer’ ich mich erst darüber, dass man als Deutscher im Ausland komisch angesehen wird, das Publikum ist einverstanden, doch ich treibe das Spiel immer weiter, bis klar wird, dass der, der das sagt, eigentlich ein völliger Idiot ist. Dann habe ich sie aufs Glatteis geführt. Es ist ein Spiel mit dem Protest und der Form des Pro­testsongs. Eichhorn: Am Schluss unseres neuen »IT«-Songs heißt es, wer das und das Problem hat, soll aufstehen. Ein Zitat aus einem der großen Protestsongs von den Bots, aber ernsthaft kann man diese Formulierung heute nicht benutzen. Pigor: Der Song heißt »Rache für die gebrochenen Versprechen von IT« und spricht die ganze alltägliche Problempalette mit der Technik an: dass man nicht ausdrucken kann, dass die Sachen viel zu schnell veralten, dass man immer wieder was Neues kaufen soll. Wir hauen den Leuten sieben Minuten ihre eigenen Erfahrungen mit den Computern um die Ohren, erklären ihnen, dass das eine Folge der Markt­wirt­schaft ist, die die Gesellschaft in Geiselhaft nimmt usw., bis zum Schluss alle so weichgekocht sind, dass, wenn ich skandiere, jeder der im Moment nicht ausdrucken kann, und jeder, der seine selbstgebrannten CDs nicht lesen kann, soll aufstehen, sich das Publikum tatsächlich erhebt. Das hat was von Volksaufstand. Wir sind wahrscheinlich die ersten, die dieses Problem auf die Bühne bringen. Wie sieht die Zusammenarbeit aus? Wie einigt man sich immer wieder auf die Songs? Eichhorn: Pigor schreibt die Texte, die er selber singt, deshalb würde ich sagen, die Texte zeigen erst mal seine Sicht der Dinge. Unser kul­tureller Hintergrund und die Kitschgrenzen sind aber grundsätzlich sehr ähnlich. Pigor: Vieles entsteht durch Diskussionen im Vorfeld. Wir reden auf der Tour ständig, und irgendwann ist dann ein Stück draus geworden. Der Song »Hitler« von 1995 entstammt zum Beispiel ganz konkret einem Geschichtsseminar, das Benedikt mal besucht hat. Das ist die Führer-Parodie vor dem Spiegel, Hitler, das Eau de Cologne für den Mann? Pigor: Genau, nicht der »Bonker«-Song zusammen mit Moers, sondern der Hitler im Bad. Was war das Seminarthema? Eichhorn: Es gab da im Anschluss eine Diskussion um die NS-Sozialisation männlicher Historiker der älteren Generation und um das Faszinosum, das der Gigantismus der Nazi-Größen für diese Männer darstellt. Pigor: Dass die Nazis für das Böse an sich stehen und das Böse männlich ist, nimmt das Stück dann auf, indem es quasi den Extrakt des Bösen in eine Rasierwasserflasche sperrt und als Männlichkeits­attribut verfügbar macht. Walter Moers kam über diesen Song auf Sie, als er nach der richtigen Stimme für sein »Bonker«-Stück suchte. Wie ist »Ich hock’ in meinem Bonker« zum Hype geworden? Pigor: Die Animation wurde aufwändig produziert, weil die Filmproduktion plante, mit der Adolf-Figur von Moers einen Spielfilm zu machen. Als nichts draus wurde, hat Moers den Clip auf seine DVD gepackt, die seinem neuen Comicbuch beigelegt wurde. Dann hat es keine zwei Wochen gedauert, bis der Strip im Internet stand. Lea Rosh und Ralph Giordano sahen darin eine Verharmlosung Hitlers. War die Aufregung für Sie nachvollziehbar? Pigor: Die Comicfigur ähnelt zwar eher dem kleinen Bruder von Joe Dalton aus »Lucky Luke« als dem historischen »Führer«, sie heißt aber Adolf, und gerade darin liegt auch der Tabubruch: den Führer-Mythos mit der kleinen Comicfigur, die auf dem Klo hockt, zusammenzubringen. Dani Levys Film hat ganz ähnlich mit diesem Tabubruch gespielt. Nach dem »Untergang« war das fällig. Das war der historische Zeitpunkt. Im Mo­ment herrscht ja wieder Hitler-Flaute. Ihre Stücke bekommt man bei Roof Music oder auf Ihrer Homepage als Downloads. Wie wichtig ist das Internet, um neue Publikumsschichten anzusprechen, und wie wichtig ist der Bereich ökonomisch? Pigor: Es ist so, dass wir in der Roof-Download-Hitparade ganz gut dastehen. Es ist aber längst nicht alles ausgeschöpft. Dass »Bonker« bei YouTube, MyVideo und Google auf acht Millionen Klicks gekommen ist, zeigt, was da für ein Potenzial drin ist, was man da für einen enormen Werbeeffekt haben kann. Wir werden dieses Feld mit Sicherheit ausbauen, die bei Roof sind da aufgeschlossen. Im Moment verkaufen wir die CDs zur einen Hälfte nach dem Live-Auftritt und zur anderen Hälfte in den Läden. Mit den Download-Plattformen hat man eine dritte Möglichkeit geschaffen, auch für Leute, die gezielt einen ganz bestimmten Song haben wollen, was bei uns relativ häufig vorkommt. Eichhorn: Ökonomisch ist es allerdings zurzeit völlig unbedeutend, dass man die »Kevins« für 99 Cent downloaden kann. Es gibt eigentlich auch keine Rückkopplung von dem »Bonker«-Erfolg auf unsere sonstigen Programme. Von den acht Millionen, die den Clip angeklickt haben, sind keine zehn Prozent je in Kontakt mit unseren anderen Sachen gekommen, weil die den Clip völlig isoliert wahrnehmen und sich nicht für sowas wie Autorenschaft interessieren. Pigor: Umgekehrt hat unser Chanson-Publikum den Clip aber sehr wohl wahrgenommen. Was macht ein Stück internet-affin? Können Sie sich vorstellen, gezielt im Hinblick auf das Netz zu produzieren? Pigor: Dass wir einen Song gezielt fürs Internet geschrieben haben, kam jedenfalls noch nicht vor. Aber wir haben einiges dazu im Hinterkopf. Mittlerweile greifen wir im Studio einfach mal zur Amateurkamera, damit wenigstens schon mal ein paar Bilder da sind und wir im Ernstfall visuelles Material liefern können. Wer sind Ihre Humorgötter? Pigor: Karl Valentin. Welche musikalischen Einflüsse waren wichtig? Pigor: Meine letzte große Erleuchtung war ­Prin­ce, ansonsten Jazz und französischer HipHop. Eichhorn: Wenn ich Musik höre, ist da alles zwi­schen dem frühen Pat Metheny, Wagner-Ouvertüren und Funk dabei. Keine deutsche Popmusik? Eichhorn: Hör’ ich deutschsprachige Popmusik? Nein, höre ich nicht. Pigor: Ich habe im letzten Jahr Rocko Schamoni wiederentdeckt. Es passiert einem ja nur alle zwei Jahre, dass man sich in eine Platte verliebt und in diesen Rausch kommt, sie immer wieder hören zu müssen. Das ging mir mit Scha­mo­ni so nach seinem letzten Konzert in Kreuzberg. Wunderbare Ironie, gut getextet, und diese Kunstfigur, die er schafft, ist einfach großartig. Das Dogma der Kleinkunst ist der direkte Kontakt zum Publikum. Was schätzen Sie an der Kleinkunstszene besonders? Eichhorn: Dass man es im Unterschied zur Me­dienbranche in der Kleinkunst eigentlich nie mit Arschlöchern zu tun hat. Das ist schon sehr angenehm.

Interview: Heike Runge

Tourdaten unter: pigor.de, bar-jeder-vernunft.de