Demokratie ohne Grenzen

Antisemitismus ist keine Meinung. Das Dilemma der akademischen Antisemitismusforschung. kommentar von sonja niehaus

Die Liste der angekündigten Redner der zweiten »Sommeruniversität gegen Antisemitismus« des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) an der TU Berlin war durchaus vielversprechend. Dem Auditorium wurde drei Tage lang Einblick gewährt in Genesis und Aktualität von Verschwö­rungstheorien, »Antizionismus von links« und Antisemitismus in Medien und Internet. Hauptsächlich sollte jedoch der »radikale Islamismus« beleuchtet werden. Meist blieb es bei Beschreibungen der verschiedenen Ausprägungen des Antisemitismus auf der Ebene der Erscheinungsformen.

Dass Verschwörungstheorien eines der zentralen Elemente im gegenwärtigen Antisemitismus sowohl islamischer als auch linker Provenienz sind, wie von Wolfgang Benz vom ZfA referiert, ist evident. Was jedoch die Funktion dieses genuin antiaufklärerischen Motivs für den Antisemiten ist, erfuhr man nicht. Mehrere Redner konstatierten dagegen zu Recht, dass es sich bei der »Kritik an Israel« meist um Antizionismus und damit um einen verkappten Antisemitismus han­dele, der sich wegen eines vermeintlichen Tabus über einen Umweg äußere.

Enervierend häufig war zu hören, der islamische Antisemitismus sei zurückzuführen auf die »soziale Benachteiligung« der Moslems sowohl hierzulande als auch in der »islamischen Welt«. Als zaghaft Gegenstimmen aus dem Auditorium darauf hinwiesen, dass die suicide bombers in der Regel keineswegs aus desolaten sozialen Verhältnissen kommen, hatte Benz’ Mitarbeiterin Juliane Wetzel dafür keine Erklärung. Was nicht weiter überrascht, vermittelten doch die Veranstalter insgesamt den Eindruck, auf die Entwicklung eines stichfesten analytischen Begriffs von Antisemitismus lieber verzichten zu wollen. Dass Antisemitismus eine antiaufklärerische, antimoderne, wahnhafte Ideologie ist, die irrational auf unverstandene gesellschaftliche Missstände reagiert, konnte man auf der Sommeruniversität nicht lernen. Allein Götz Nordbruch von ufuq.de wies in einem Workshop darauf hin, dass Antisemiten auch sich selbst um die Möglichkeit der Erkenntnis und damit um die Voraussetzung für befreiendes Handeln bringen.

Dagegen tat sich Anja Middelbeck-Varwick vom Katholischen Seminar der FU Berlin mit der Ansicht hervor, der islamische Antisemitismus wer­de durch »Kolonialismus und Zionismus« hervor­gebracht, sprich: von den Juden auch selbst verschuldet. Ein Ausrutscher? Wohl kaum.

Auch ein Beispiel für die klassische anti-antisemitische Arbeit im Feld wurde den »Multiplikato­ren aus der Praxis« frei Haus geboten: Zu Gast im Hörsaal war Stefan Lux, langjähriges Mitglied der NPD. Da er ordnungsgemäß angemeldet war, sahen die Veranstalter keinen Grund, ihn des Saales zu verweisen. Jegliche Diskussion über die An­wesenheit eines Rechtsextremisten auf einer Ver­anstaltung gegen Antisemitismus wurde unterbunden. Im Laufe der in den drei Tagen immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen konnte man beobachten, wie die Dinge verdreht wurden. Antifas wurden von einigen Anwesenden in aggressiver Weise aufgefordert, den Mann von der NPD nicht weiter zu »stigmatisieren«, man kam zu dem Schluss, er sei zwar Antisemit, aber das sei »eben seine Meinung«. Wolfgang Benz solidarisierte sich in einem kleinen Showdown am Ende der Veranstaltung mit dem demokratischen Mob, indem er die Antifaschisten als »aufgebrachte Vorkämpfer politischer Moral« diffamierte.

Die Sommeruniversität war nicht nur eine enttäuschende, sondern auch eine nervtötende Veranstaltung. Der Anspruch, ausnahmslos alle zu Wort kommen zu lassen, hatte einen eklatanten Mangel an Gesellschaftskritik ebenso zur Folge, wie er einen adäquaten Umgang mit dem Rechts­ex­tremisten Lux verhinderte. Dem Anspruch, den »Multiplikatoren« die »notwendige Kompetenz zur argumentativen Behandlung des Themas« zu vermitteln, konnte die Sommeruniversität nicht gerecht werden.